Einbettung / „Kon“-Text
4. Die „Einbettung“ eines literarischen Textes in einen vom Autor nicht geplanten Zusammenhang (Kontext) durch den Leser
- Peymanns Inszenierung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ als Beitrag zur Auseinandersetzung mit der RAF-Debatte
- Die Lektüre von Schillers „Die Räuber“ im Verbindung mit den Aktivitäten der US-Räuber-Bande in Vietnam
5. Die Verbindung eines literarischen Textes mit einem „Kon“-Text,
der bei der Analyse vom Leser entdeckt wird (als vom Leser unterstellter „Vergleich“
oder als intertextuelle, also vom Autor geplante, Verknüpfung)
- Zum Beispiel Kafka: „Heimkehr“ und das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Lukasevangelium
- 1. Georg Büchner: Woyzeck und 2. Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde
Erläutern Sie die Kontextualisierung. Ist sie dem Spannungsfeld „Selbstbestimmung
– Fremdbestimmung angemessen?
Vergleichen Sie mit dem Vorschlag Brück. |
- Ein Kontext wird einem künstlerischen Produkt „unterschoben“ – dadurch könnte ein heutiger Rezipient, das aus seiner „Umgebung“ herausgelöste Kunstwerk wieder so verstehen, wie die Zeitgenossen es verstanden haben.
Suchen Sie nach Möglichkeiten, in vergleichbarer Weise ein zeitgenössisches Rezipientenverhalten, beispielsweise bei Schillers „Die Räuber“ oder Kleists „Michael Kohlhaas“, verständlich zu machen. |
- Ein vom Autor angedeuteter, nahe liegender, aber nicht explizit nachweisbarer Kontext, der also nicht zur Verdeutlichung „unterschoben“, sondern „behauptet“ wird.
- Ein vom Autor verschwiegener Bezug, der jedoch als vermeintliche „Irritation“ im literarischen Text enthalten ist, stellt einen möglichen (vielleicht sogar den für das Verstehen entscheidenden) „Kontext“ her: Heine „Der Mohrenkönig“
-
Das Beispiel Francois Emmanuel: „Der Wert des Menschen“ (München
2000; aus dem Französischen übersetzt; auch als Hörspiel
und Theaterstück: „Humankapital“ erschienen) zeigt eine
weitere Form der Kontextualisierung, im Roman selbst als „Infratext“
bezeichnet. Der Autor unterlegt ihn – das Ganze wird in die Handlung
als anonymer Brief eingebunden - einem historischen Dokument vom 5. Juni
1942 - im Zusammenhang mit der Vernichtung Behinderter in Speziallastwagen
-, das als „Geheime Reichssache“ technische Anweisungen enthält,
in denen die Opfer mit Wörtern wie „Stückzahl“, „Ladegut“,
„Ladung“, ihre Angstschreie als „Lärm“, die
Leichen als „Schmutz“ benannt werden. Der „Infratext“
wird als blasser grafischer Hintergrund benutzt, auf den das Dokument gedruckt
wird, und enthält Auszüge aktueller Schriftstücke interner
Mitteilungen der Firma SC Farb, um die es in dem Roman geht. Im Roman wird
die entstandene Montage beschrieben als
„kompaktes Wortgewebe, dessen geisterhafte Machart seltsame, eher unpassende Assoziationen hervorrief. Erschreckend daran war weniger das Gefühl des Nichtverstehens als der Anschein ausgetüftelter Zerstörung, den diese Collage bot. Es war, als hätte ein Virus oder ein genetischer Defekt die beiden Texte erfaßt, ohne eigentliche Strategie, nur um ein sinnloses, aber grammatikalisch korrektes Endprodukt zu erzeugen.“
In einer weiteren Verarbeitung des Verfahrens werden noch Notenlinien unterlegt,
sodass das Ganze wie ein grafisch eindrucksvolles Spiel erscheint.
In einer weiteren Collage werden Sätze bzw. Wendungen aus einem modernen
Handbuch der Arbeitspsychologie mit Formulierungen aus einem NS-Dokument
zur Vernichtung unwerten Lebens vermischt, sodass ein ohne Interpunktion
gesetzter Textstreifen – wie ein Heissenbüttel-Text konstruiert
– entsteht (Auszug):
„erforschung-der-konkreten-arbeitssituationen-und-die-bereitstellung-spezifischer-instrumente-statt-des-üblichen-rückgriffs-auf-standardwerkzeuge-jedes-arbeitsunfähige-element-wird-daher-ausschließlich-nach-maßgabe-der-objektiven-kriterien-behandelt-wie-man-ein-krankes-glied-behandelt-man-behalte-die-punkte-eins-alter-zwei-fehlstunden-drei-anpassungsfähigkeit-auf-der-achse-kompetenz-konvertibilität-im-gedächtnis“
Dem Erzähler, einem Arbeitspsychologen, der dafür zuständig ist Evaluationskriterien zu entwickeln für die Selektion von Arbeitskräften im Rahmen einer „Umstrukturierung“, wird mehr und mehr das Inhumane bewusst, das seinem Bewertungskonzept innewohnt, sodass er am Ende des Romans eine Stelle in einem Heim für autistische Kinder annimmt.
Überlegen Sie, welche der vorgestellten Möglichkeiten einer
Kontextualisierung die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen
Oberstufe kennen sollten. Wie sollen sie damit umgehen? Welche Hilfen bzw.
Vorgaben benötigen sie jeweils? Was können sie selbst entdecken?
Wo ist kreatives Potential
enthalten, das den Schülerinnen und Schülern produktiven Umgang mit Texten ermöglicht? |