2 Technische Bedeutungen in der Antike
Dies wäre also die erste technische Bedeutung, in der contextus auf sprachliche Erzeugnisse angewandt wird; sie gehört in den Kontext der antiken Rhetorik, die ja als erste Disziplin eine detaillierte Theorie für Textverfertigung und -kritik entwickelt hat.
Bei dem kaiserzeitlichen Rhetoriker Quintilian,
Gerade diese Vielfalt der Anwendungen zeigt aber, dass es sich noch nicht um
einen Fachausdruck mit fixer Bedeutung, sondern eher um ein Synonym handelt.
Der andere einigermaßen technische Gebrauch gehört in die juristische
Sphäre. Er knüpft vielleicht besonders an das adjektivisch gebrauchte
Partizip Perfekt Passiv contëxtus/a/um im Sinne von "in sich selbst zusammenhängend,
ununterbrochen" an, das von Dingen, aber auch von der Rede gebraucht wird.
9 Empfehlenswert ist die bisweilen etwas salopp übersetzte und nicht ganz fehlerfreie, aber praktische Ausgabe von Helmut Rahn: Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners, lateinischRechtsund deutsch, hg. und übers. von Helmut Rahn, 2 Bände, Darmstadt ³1995.
10 D. h. in allen (meist fünf ) Stadien der Verfertigung einer Rede, den partes artis bzw. den offcia oratoris (wie man neuerdings oft liest; letztere sind nicht mit den drei offcia oratoris im Sinne von Ciceros Orator zu verwechseln!).
11 Quintilian III vii 15: "operum id est factorum dictorumque contextus".
12 Ebd. VIII iv 8: "in contextu et cursu"; es geht darum, wie man Steigerungsstufen einsetzen soll.
13 Ebd. IX iv 66: "brevium contextu"; vgl. Lausberg : Handbuch § 961.
14 So bezeichnet das als Adjektiv gebrauchte Partizip contextus/a/um (also "verwoben", "verflochten") verbundene Wörter im Gegensatz zu einzelnen Wörter überhaupt, dann den Periodenstil und besonders die "Wortfolge ohne Atempause" (Lausberg: Handbuch §§ 710. 923. 950. 1054cb. mit Belegen). Martianus Capella beschreibt bei der Gegenüberstellung von zusammenhängender und durch Einschaltungen unterbrochener Erzählung die zusammenhängenden Erzählungen als "continuae [narrationes sunt] quae perpetuae contextu . . . dicuntur" (rhet. 46; 552, p. 486, 33; vgl. Lausberg: Handbuch § 292).
15 Wohl aus diesem Grund fehlt das Stichwort contextus/"Kontext" im Historischen Wörterbuch der Rhetorik (hg. von Gert Ueding, Tübingen 1992,ff.) ebenso wie in Eckart Zundels Clavis Quintilianea ("Quintilians "Institutio oratoria (Ausbildung des Redners)", aufgeschlüsselt nach rhetorischen Begriffen", Darmstadt 1989).
16 Ähnlich urteilt Karlheinz Stierle: Zur Begriffsgeschichte von "Kontext", in: Archiv für Begriffsgeschichte Bd. 18 (1974) 144 - 149, hier 144.
17 Quintilian VIII iii 38; es geht um die stilistische Selbstkritik des Redners bei der Auswahl übertragener Ausdrücke.
18 So schon Cornelius Nepos, Atticus 16, 3; vgl. Gemoll: Handwörterbuch s. v. contextus (1.) Bd. 1, 1607.
19 Nach Stierle: Begriffsgeschichte 147.
20 Siehe Ulpianus: Ad Sabium, Corpus iuris civilis, Digesta, rec. Theodorus
Mommsen, retr. Paulus Krueger, Dublin/Zürich
21 Vgl. Stierle: Begriffsgeschichte 146 - 149, der die Bedeutung dieser Vorstellung für die Entwicklung des Kontext-Begriffes betont.
22 So angedeutet bei Stierle: Begriffsgeschichte 147; gegen eine andere Deutung, ebd. 148. Dies sollte auch eine Mahnung an uns Interpreten sein, dass zur Auslegung jeder Passage immer der gesamte Texte als Kontext und Maßstab herangezogen werden muss - eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die doch immer wieder vergessen wird, etwa bei einer kurzsichtig-moralisierenden Lektüre der Klassiker oder bei der neuerdings wieder modischen "wörtlichen", d. h. aber meist nur auf Einzelstellen fixierten Bibelauslegung.