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1.3 Kommentar zu Anordnung und Vernetzung der Themenbereiche

Damit die Schülerinnen und Schüler die linguistischen Inhalte für ihre eigenen Analysen im dritten und vierten Kurshalbjahr nutzen können, ist darauf zu achten, dass sie nachhaltiges und transferfähiges Wissen erwerben. Um dieses Ziel zu erreichen, kommt der kontinuierlichen Wiederholung und Anwendung bekannter Inhalte in neuen Kontexten große Bedeutung zu. Das zentrale Anliegen der Unterrichtssequenz besteht in der Verdeutlichung der sich durch die verschiedenen Theorien eröffnenden Beschreibungsmöglichkeiten sowie der vielschichtigen Zusammenhänge zwischen den Theorien.

1. Pragmatik: Einführung

Ausgehend von Erschließungsaufgaben zu Karl-Theodor von Guttenbergs Erklärung zum Plagiatsvorwurf vom 18.02.2011 werden wesentliche Untersuchungsgegenstände der Pragmatik hergeleitet. Bei der Bearbeitung der Aufgaben ist auch arbeitsteiliges Vorgehen möglich. Anhand ihrer Analyseergebnisse erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die wichtigsten Themenbereiche der Pragmatik, bevor sie sich mit einer entsprechenden wissenschaftlichen Definition auseinandersetzen.

2. Die Entwicklung der linguistischen Disziplin der Pragmatik (Platon, Bühler, Austin, Searle): vom traditionellen Sprachmodell zur Sprechakttheorie

Die Betrachtung der linguistischen Teildisziplin der Pragmatik in ihrer historischen Entwicklung ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, sich durch eigene Hypothesen auf die Spur der in diesem Bereich bedeutendsten Linguisten und Sprachphilosophen zu begeben. Sie erkennen, wie die Beschreibungsmöglichkeiten der Linguistik immer vielfältiger und umfassender wurden.

Die vielfältige Vernetzung der Inhalte sorgt für eine gute Verankerung im Langzeitgedächtnis und erleichtert ihre Anwendung, gerade auch in den eigenen linguistischen Analysen im 3. und 4. Kurshalbjahr. Durch die gewählte Anordnung ergibt sich eine angemessene Progression von recht naheliegenden Überlegungen bis hin zu Theorien, die ein hohes Maß an Abstraktion erfordern.

Die Behandlung des traditionellen Sprachmodells ist die Voraussetzung, um die historische Entwicklung der Pragmatik transparent machen zu können. Nur auf der Grundlage dieses Vorwissens können die Schülerinnen und Schülern den wegweisenden Charakter der Theorien Austins und Searles in vollem Umfang nachvollziehen. Die allgemeine Form von Sprechakten nach Searle und Karl Bühlers Organon-Modell bilden ihrerseits die Grundlage für das Verständnis der Struktur eines Sprechaktes nach Searle.

Um zu veranschaulichen, dass die Sprechakttheorie von sprachlichem Handeln im jeweiligen kulturellen Kontext ausgeht, ist die kurze Anekdote „Scheidung auf Indisch“6 sehr gut geeignet. Den Schülerinnen und Schülern fallen hier häufig weitere Beispiele für den unterschiedlichen Vollzug bzw. die unterschiedliche Bedeutung bestimmter Sprechakte in einem anderen kulturellen Kontext ein. Die Anekdote kann somit beispielsweise bei der Behandlung von Searles vollständiger Klassifikation der Sprechakte als Einstieg dienen.

Die Formulierung der Bedingungen für den erfolgreichen Vollzug von illokutionären Akten erfordert von den Schülerinnen und Schülern ein Höchstmaß an Abstraktionsfähigkeit. Auch die im Modul Vertiefung Pragmatik vorgesehene vollständige Klassifikation der Sprechakte nach Searle fällt den Schülerinnen und Schülern deutlich leichter. Es hat sich daher als vorteilhaft erwiesen, die Gelingensbedingungen erst am Ende der Unterrichtseinheit zur Sprechakttheorie detailliert zu behandeln.

3. Sagen und Meinen: Implikaturen und indirekte Sprechakte (Grice, Searle)

Anhand der Analyse einer kurzen Alltagskonversation wird die Grice’sche Theorie der kommunikativen Bedeutung hergeleitet. Dann lernen die Schülerinnen und Schüler das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen kennen und beschreiben anhand von Beispielen, welche Auswirkungen die Verletzung einer Maxime auf die Interpretation der Äußerung hat. Diese Analyseergebnisse dienen als Ausgangspunkt für die Einführung der Theorie der konversationellen Implikaturen. Es ist eine Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler, das Zustandekommen einer Implikatur auf der Basis der Konversationsmaximen präzise zu erfassen und zu beschreiben. Im Hinblick auf die Entwicklung eines Bewusstseins für die Funktionsweise sprachlicher Kommunikation ist diese Aufgabe allerdings sehr gewinnbringend; daher sollte sie systematisch und mit einer angemessenen Progression eingeübt werden. Zahlreiche Übungsaufgaben hierzu finden sich in M3 und M6.

Implikaturen und indirekte Sprechakte sind sinnvollerweise in einem thematischen Block zu behandeln. Wesentliches Merkmal der indirekten Sprechakte ebenso wie der konversationellen Implikaturen ist nämlich, dass die Sprecherin/der Sprecher nicht nur das meint, was sie/er explizit sagt, sondern noch etwas ‚mehr‘. Eben dieses ‚mehr‘ enthält allerdings häufig den für das jeweilige Gespräch relevanten Kommunikationsbeitrag.7 Searle und Grice stellen also mit ihren Theorien zwei unterschiedliche Perspektiven bereit, aus denen das Phänomen der Indirektheit sprachlicher Kommunikation betrachtet werden kann. Bei den indirekten Sprechakten liegt der Fokus auf den indirekt vollzogenen Akten, bei den Implikaturen jedoch auf den indirekt übermittelten Inhalten.8 Das Phänomen der indirekten Sprechakte wird anhand von Beispielen aus der alltäglichen Konversation eingeführt, bevor detailliert auf den Zusammenhang zwischen der Searle’schen und Grice’schen Theorie eingegangen wird. Durch die Bearbeitung einer umfangreichen Analyseaufgabe lernen die Schülerinnen und Schüler, wie sie dieses Wissen zur Beschreibung der Funktionsweise sprachlicher Kommunikation nutzen können.

Im Anschluss werden die verschiedenen Arten und Eigenschaften von Implikaturen behandelt. Auch hierbei sind vielfältige Übungsaufgaben bereitzustellen (vgl. M3 und M6).

Dass bei der Analyse politischer Sprache Konversationsmaximen und Implikaturen eine besondere Bedeutung zukommt, wird den Schülerinnen und Schülern zum Abschluss dieser Einheit durch die vorgeschlagenen Aufgaben verdeutlicht. Indem sie selbst einen politischen Text verfassen, den sie hinsichtlich Konversationsmaximen und Implikaturen analysieren, reflektieren sie mit Hilfe der Grice’schen Theorie gezielt ihren eigenen Sprachgebrauch.

4. Deixis

Die Deixis ist ein für die Schülerinnen und Schüler recht leicht zugänglicher Themenbereich. Auch die zahlreichen „Gasthörerinnen und -hörer“ aus Klasse 10, die ich im Schuljahr 2018/19 zu dieser Sitzung eingeladen hatte, konnten dem Unterricht problemlos folgen und sich durch gute Beiträge beteiligen. Durch vielfältige Übungsaufgaben lernen die Schülerinnen und Schüler, wie dieses Phänomen präzise linguistisch zu beschreiben ist.

Anhand des deiktischen Charakters kommissiver und direktiver Sprechakte9 lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Deixis und der Sprechakttheorie herstellen.

5. Konversationsanalyse

Diese Einheit führt die Konversationsstrukturen (optional auch Prinzipien der Informationsverteilung und Reparatursequenzen) neu ein und dient gleichzeitig der Wiederholung der bisher behandelten Theorien der Pragmatik. Als Analysegegenstand dient ein kurzes, ganz alltägliches Gespräch. Die Aufgaben zu Deixis, Sprechakten, Implikaturen und Informationsverteilung können als vorbereitende Hausaufgabe bearbeitet werden. Wie die obigen Ausführungen zeigen, wurde in der gesamten Unterrichtssequenz auf eine bestmögliche Vernetzung aller Inhalte geachtet. Dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler die Theorien konstant wiederholen und in neuen Kontexten betrachten, entwickeln sie ein vertieftes Verständnis und können immer sicherer mit linguistischen Theorien umgehen. In dieser abschließenden Einheit wird ihnen besonders deutlich, wie sehr die bisher erarbeiteten Theorien dabei helfen, die Funktionsweise alltäglicher Kommunikation zu verstehen und adäquat zu beschreiben.

 


6 Süddeutsche Zeitung, 28. März 2006 (Nr. 73, S. 11), zitiert nach: Staffeldt, Sprechakttheorie, S. 29.

7 Vgl. Kober, Bedeutung und Verstehen, S. 326.

8 Vgl. Rolf, Inferentielle Pragmatik, S. 61-62. Implikaturen und indirekte Sprechakte können zusammenfallen (Vgl. Rolf, Inferentielle Pragmatik, S. 61; Beispiel 4.1.2). „Laut Bach kann eine konversationelle Implikatur als eine Art indirekter Sprechakt betrachtet werden“ (Rolf, Inferentielle Pragmatik, S. 61). Liedtke sieht diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Man kann indirekte Sprechakte als einen Spezialfall von konversationellen Implikaturen auffassen“ (Liedtke, „Sprachhandlungsanalyse“, S. 295).

9 Vgl. Liedtke, Moderne Pragmatik, S. 206-209.

 

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