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Didaktisch-methodische Hinweise

Zur schulischen Erarbeitung des Differenzmodells, das für den Vertiefungskurs Sprache zentral ist, kann die kontrastive Sprachbetrachtung wichtige Anhaltspunkte liefern.

(16)

  Deutsch Englisch
a. Er hat ein Geschenk gekauft He has bought a present
b. Ein Geschenk hat er gekauft *A present he has bought
c. dass er ein Geschenk gekauft hat that he has bought a present
d. Kauft er ein Geschenk? Does he buy a present?

Vergleicht man die Deklarativsätze (16a), ist bereits eine zentrale toplogische Besonderheit des Deutschen festzustellen: ein getrennt auftretender Verbalkomplex, der durch die Bereiche FINIT und VK abgebildet wird. Dass im Deutschen nicht nur das Subjekt vor dem finiten Verb auftreten kann, markiert einen weiteren Unterschied zum Englischen, das eine SVO-Sprache darstellt (16b). Dadurch kann das Vorfeld im Deutschen als Feld, das genau eine Wortgruppe enthält, kenntlich gemacht werden. Mit der Betrachtung der Nebensätze in (16c) wird ersichtlich, dass es sich beim Deutschen um eine SOV-Sprache handelt, wohingegen im Englischen die Stellung SVO auch in Nebensätzen durchgehalten wird. Ein weiterer Aspekt, der durch den Sprachvergleich deutlich wird, liegt darin, dass VE-Sätze im Deutschen kein VF aufweisen. Schließlich wird anhand des Entscheidungsinterrogativs das V₁-Schema deutlich, das zur Bildung von Entscheidungsfragen beliebige Vollverben in FINIT zulässt, wohingegen im Englischen die Bildung von Entscheidungsinterrogativen auf wenige finite Auxiliare beschränkt ist (16d).

Auf dieser Grundlage kann in einem weiteren Schritt der laut Bildungsplan geforderte Vergleich zentraler Aspekte mit dem uniformen Satzklammermodell vorgenommen werden (vgl. Abbildung 1).

Neben der konzeptuellen Arbeit mit den topologischen Modellen sollen die Lerner auch befähigt werden, topologische Analysen mit dem Differenzmodell durchzuführen. Hierbei sollte die Analyse von einfachen und komplexen Sätzen beherrscht werden. Anhand des folgenden Beispiels soll ein schrittweises Vorgehen zur topologischen Analyse zunächst von einfachen Sätzen, darauffolgend von komplexen Sätzen dargestellt werden.21

(17)

Gestern habeFINIT ich im Bus eine seltsame Geschichte gehört.22

V₂ VF FINIT MF VK NF
  Gestern habe ich eine seltsame Geschichte gehört -

Als Vorarbeit zur topologischen Analyse von Satz (17) im Differenzmodell markiert man im ersten Schritt alle finiten und infiniten Verben. Darauf aufbauend ist der topologische Platz (FINIT, VK) des finiten Verbs festzustellen. Mit dieser Vorarbeit lässt sich der Satz dann in das entsprechende Satzschema eintragen. Bei komplexen Sätzen sind die Analyseschritte entsprechend zu erweitern:

(18)

Schauen wir mal, ob das klappen wird und wann das klappen wird.23

Um den zu analysierenden Satz für die topologische Analyse vorzustrukturieren, markiert man zunächst den gesamten Satz als S0.

(19)

[S0 Schauen wir mal, ob das klappen wird und wann das klappen wird]

Der zweite Schritt besteht darin, alle finiten und infiniten Verbformen zu markieren.

(20)

[S0 Schauen wir mal, ob das klappen wird und wann das klappen wird]

Im dritten Schritt wird der topologische Platz (FINIT, VK) markiert, in dem die finiten Verben stehen. Dazu ist es hilfreich, ausgehend von den finiten Verben in VK die zugehörige COMP-Position zu markieren.

(21)

[S0 SchauenFINIT wir mal, obCOMP das klappen wirdVK und wannCOMP das klappen wirdVK]

Viertens werden die finiten VE-Sätze durch Klammerung markiert und benannt (im Beispiel S1 und S2)

(22)

[S0 SchauenFINIT wir mal, [S1 obCOMP das klappen wirdVK] und [S2 wannCOMP das klappen wirdVK]]

Da es in vorliegendem Beispielsatz weder finite V2- und V1-Teilsätze noch infinite Teilsätze gibt, entfallen Schritt 5 (Klammerung finiter V2- und V1-Teilsätze) und Schritt 6 (Klammerung infiniter Teilsätze) des Analyseverfahrens. Demnach erfolgt direkt der letzte Analyseschritt, bei dem Satzkoordinationen geklammert werden (im Beispiel S3).

(23)

[S0 SchauenFINIT wir mal, [S3 [S1 obCOMP das klappen wirdVK] und [S2 wannCOMP das klappen wirdVK]]]

Auf der Grundlage dieser vorbereitenden Strukturierung kann jetzt die topologische Analyse erfolgen:

V₁ FINIT MF VK NF
0 Schauen wir mal - 3
KS KOORD1 K1 KOORD2 K2
- S1 und S2
VE COMP MF VK NF
1 ob das klappen wird -
VE COMP MF VK NF
2 wann das klappen wird -

Zunächst liegt mit Satz S0 ein V1-Satz vor, der im Nachfeld die Koordinationsstruktur S 3 enthält. S3 lässt sich mithilfe des Koordinationsschemas KS analysieren, wobei S1 das erste Konjunkt K1 und S2 das zweite Konjunkt K2 bilden, die durch die Konjunktion und verknüpft sind. Abschließend werden die Konjunkte S1 und S2 als VE-Sätze analysiert.

Neben formalen Analyseaspekten lassen sich im Unterricht auch funktionale Aspekte in den Blick nehmen. Beispielsweise kann man auf die unterschiedliche Wirkung einer veränderten Wortstellung im Hinblick auf die Satzbedeutung oder die Informationsstruktur zu sprechen kommen. Dazu bieten sich beispielsweise ambige Satzstrukturen oder Zeitungstexte an.

(24)

V2 VF FINIT MF VK NF
a. Er zieht das Hemd im Schaufenster an -
b. Das Hemd im Schaufenster zieht er an -
c. Das Hemd zieht er im Schaufenster an -

Satz (24a) ist ambig: Er kann einerseits so verstanden werden, dass der Kunde das Hemd, das im Schaufenster ausliegt, anprobieren möchte. Andererseits ist auch die Interpretation möglich, dass der Kunde das Hemd nicht in der Umkleidekabine anzieht, sondern im Schaufenster. Die Wortstellung trägt nun entscheidend dazu bei, ob die Wortgruppe im Schaufenster adverbial oder attributiv aufgefasst wird. Eine attributive Lesart ergibt sich, wenn die gesamte Wortgruppe im VF platziert wird (24b). Eine eindeutig adverbiale Lesart tritt ein, wenn das Akkusativobjekt das Hemd im VF steht, während die Wortgruppe im Schaufenster im MF verbleibt(24c).

Ein Spiel mit syntaktischer Ambiguität liegt auch bei nachstehendem Witz vor:

(25)

Mein Hund jagte Leuten auf dem Fahrrad hinterher, bis ich ihm das Fahrrad wegnahm.

Die topologische Analyse kann eingesetzt werden, um die syntaktische Ambiguität offenzulegen und damit die Funktionsweise des Witzes zu erklären.

26

V2 VF FINIT MF VK NF
a. Mein Hund jagte Leuten auf dem Fahrrad hinterher [...]
b. Leuten auf dem Fahrrad jagte mein Hund hinterher [...]
c. Leuten jagte mein Hund auf dem Fahrrad hinterher [...]

Anhand von Beispielen wie (28) kann erarbeitet werden, dass Linksversetzungen eher konzeptionelle Mündlichkeit kodieren und ein starken Fokus auf dem linksversetzten Ausdruck liegt, sodass dieser als zentraler Satzgegenstand markiert wird.

Die topologische Analyse kann darüber hinaus vertiefend als Grundlage einer funktionalen Betrachtung literarischer Texte herangezogen werden, wie sich anhand der topologischen Analyse des Dinggedichts Der römische Brunnen von Conrad Ferdinand Meyer zeigen lässt (zitiert nach Meyer und Henel 2017: 22).

Hinweis: Weiterführende Überlegungen zur didaktische Relevanz des topologischen Feldermodells hinsichtlich der Kompetenzbereiche Sprachreflexion und Sprachgebrauch, Schreiben und funktionale Textanalyse finden sich in Froemel (2020: Kap. 10).

Conrad Ferdinand Meyer
Der römische Brunnen (1882)

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Die Analyse der Satzstruktur zeigt zunächst, dass das Gedicht aus zwei Parataxen S 0 und S4 besteht, die sich wie folgt topologisch analysieren lassen:

Parataxe 1 Parataxe 2

Bei S0 handelt es sich um eine Parataxe, die aus den beiden Teilsätzen S 1 und S2 besteht, wobei S2 eine hypotaktische Struktur darstellt, die den Teilsatz S3 beinhaltet. Betrachtet man zunächst S1, fällt auf, dass es sich bei dem Verb aufsteigen um ein Partikelverb mit abtrennbarer Verbpartikel auf handelt, die entgegen der Zusammenschreibung im Gedicht topologisch nicht in FINIT, sondern im VF zu platzieren ist. Das durch die Verbpartikel auf markierte VF von S1 steht in inhaltlichem Kontrast zu dem durch das Adjektiv fallend besetze und damit ebenfalls markierte VF von S2. Die parataktische Verbindung von S1 und S2 bildet damit das abrupte Emporschießen und Niedergehen des Strahls als zusammenhängende Bewegung des Wassers syntaktisch ab.

Syntaktisch auffällig zeigen sich darüber hinaus die Nachfeldbelegungen der Sätze S2 und S3. In beiden Sätzen beinhaltet das Nachfeld eine aus dem MF ausgeklammerte Wortgruppe. Bezieht man dies auf die Bewegung des Wassers, lässt sich konstatieren, dass das Überfließen der Schalen hier syntaktisch model- liert wird. Gestützt wird dieser Befund dadurch, dass es sich bei den Sätzen S 2 und S3 um eine hypotaktische Struktur handelt und die zweite Ausklammerung in S 3 somit in das Nachfeld von S 2 eingebettet ist, was dem Nacheinander des Überfließens von der ersten in die zweite Schale entspricht.

Die Bewegung des Wassers weist weitere syntaktische Korrespondenzen auf. Die Partizipgruppe sich ver- schleiernd im MF von S3 (sich verschleiernd) sowie der parenthetische Teilsatz S6 im MF von S5 bilden Stau- ungen des Wassers innerhalb der Schalen nach, indem sie den Lesefluss stocken lassen.

Schließlich wird die symbolische Ebene des Dinggedichts syntaktisch durch die syndetisch zum Gesamt- satz S4 verknüpften Teilsätze S5 bis S10 evoziert, die letztlich auf das finite Verb reduziert sind und somit das harmonische Gleichgewicht von Ruhe und Bewegung fokussieren, das bis ins Unendliche fortzuwirken scheint und als Sinnbild eines mit sich im Einklang stehenden Lebens angesehen werden kann.

 


21 Vgl. Pafel (2011: 102).

22 Bsp. mod. nach Pafel (2011: 75).

23 Bsp. mod. nach Pafel (2011: 103).

24 Bsp. mod. nach Institut für Deutsche Sprache (2018).

25 Bsp. mod. nach DeReKo.

 

Fachliche und didaktische-methodische Hinweise: Herunterladen [pdf][956 KB]

 

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