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Erwartungshorizont

1. Sprache und Linguistik 1

1.1

Nenne die vier Kerngebiete der Linguistik, die sich mit der Sprache als System beschäftigen! (2VP)

Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik 2

1.2

Erkläre, in welcher Hinsicht die gegebenen Beispiele für psycholinguistische Untersuchungen von Bedeutung sind! (2VP)

(1) Schlecken Sie den Stüssel ins Schloss.

(2) Unser Stirbchen bäumt.

(3) Wir waren Pilze fangen. 1

Es handelt sich um Versprecher , anhand derer die Sprachproduktion analysiert werden kann.

Bei Versprechern können verschiedene Teilsysteme des Sprachproduktionsprozesses betroffen sein In den vorliegenden Beispielen sind dies: (1) Phonologie, (2) Morphologie, (3) Semantik. 4

2. Sprachfähigkeit und Spracherwerb

Erläutere präzise die Grundannahme des nativistischen Modells des Spracherwerbs! (4VP)

Der Mensch ist mit einem geistigen Apparat der Sprachfähigkeit ausgestattet, dessen Mechanismen durch Konfrontation mit Erfahrungsdaten lediglich ausgelöst werden. Diese Mechanismen müssen einerseits restriktiv sein, was die Aneignung von Sprache in sehr kurzer Zeit erklärt. Andererseits müssen sie liberal sein, sodass sie die sprachliche Vielfalt zulassen, deren Entwicklung von den jeweiligen Erfahrungsdaten abhängig ist. 5

3. Die Entwicklung der linguistischen Disziplin der Pragmatik

3.1 Das traditionelle Sprachmodell

Erläutere anhand des folgenden Beispiels, warum sich das traditionelle Sprachmodell als unzulänglich erwiesen hat! (4VP)

Der Schulleiter sagt: „Hiermit eröffne ich die Lehrerkonferenz.“

Bezogen auf den Moment während der Äußerung wird mit der Äußerung nichts behauptet, sondern eine Handlung vollzogen. Geändert hat sich die soziale Situation bzw. der Kontext : Nun können Entscheidungen getroffen werden, da die Lehrerkonferenz offiziell eröffnet ist.

Handlungen sind nicht wahr oder falsch, sondern sie gelingen oder gelingen nicht . Sätze wie „Hiermit eröffne ich die Lehrerkonferenz“ sind sinnvoll, aber nicht wahr oder falsch. Austin nannte diese Äußerungen performative Äußerungen .

Durch die Anerkennung der Sinnhaftigkeit performativer Äußerungen war das traditionelle Sprachmodell gesprengt. 7

3.2 Implizit und explizit performative Äußerungen

Erläutere anhand der gegebenen Beispiele den Unterschied zwischen einem impliziten und einem expliziten Performativ nach Austin! (4VP)

(1) Öffne das Fenster!

(2) Ich fordere dich auf, das Fenster zu öffnen.

Eine explizit performative Äußerung bezeichnet die Sprechhandlung , die durch die Äußerung vollzogen wird, durch ein performatives Verb , wie z. B durch das Verb auffordern in Beispiel (2).

In einer implizit performativen Äußerung , wie sie in Beispiel (1) vorliegt, wird dagegen die Sprechhandlung , die durch die Äußerung vollzogen wird, nicht durch ein entsprechendes performatives Verb bezeichnet . 8

3.3 Die Dreistrahligkeit des Zeichens

Erläutere anhand des folgenden Beispiels die drei Funktionen des sprachlichen Zeichens gemäß Karl Bühlers Organon-Modell! (6VP)

„Die Münchner Frauenkirche ist ein großartiges Bauwerk.“

Gemäß Bühlers Organon-Modell hat ein sprachliches Zeichen drei Funktionen: Darstellung , Ausdruck und Appell .

Darstellungsfunktion : Das Zeichen bezieht sich auf einen Sachverhalt, nämlich die Tatsache, dass die Münchner Frauenkirche ein bemerkenswertes Bauwerk ist.

Ausdrucksfunktion : Der Sprecher 9 drückt eine Meinung bzw. Einstellung aus, nämlich dass ihn die Kirche aufgrund ihrer Architektur beeindruckt und er sie daher für ein interessantes Gesprächsthema hält.

Appellfunktion : Der Sprecher möchte den Hörer zu einer Reaktion bewegen. Im vorliegenden Beispiel will er ihm signalisieren, dass er sich auch für die Münchner Frauenkirche interessieren soll. 10

3.4 Die allgemeine Form von Sprechakten nach John Searle

Erläutere anhand geeigneter Beispiele die allgemeine Form von Sprechakten nach John Searle! (6VP)

Die allgemeine Form eines Sprechaktes nach John Searle lautet F( p ) .

F bezeichnet die illokutionäre Kraft einer Äußerung (z. B. Behauptung, Frage, Befehl, Hoffnung).

p steht für den propositionalen Inhalt einer Äußerung, der mit einem dass -Satz oder einer indirekten Frage mit ob dargestellt werden kann.

Die folgenden Äußerungen haben denselben propositionalen Inhalt, unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer illokutionären Kraft:

(1) „Sokrates schweigt.“ → Behauptung (dass Sokrates schweigt)

(2) „Schweigt Sokrates?“ → Frage (ob Sokrates schweigt)

(3) „Sokrates, schweig!“ → Befehl (dass Sokrates schweigt)

(4) „Möge Sokrates doch schweigen!“ → Hoffnung (dass Sokrates schweigt) 11

3.5 Die Struktur eines Sprechaktes nach John Searle

Erläutere anhand des folgenden Beispiels, welche drei weiteren Akte die Sprecher neben dem Äußerungsakt (lokutionären Akt) noch durchführen müssen, um einen Sprechakt vollständig zu vollziehen! (6VP)

Auf Pauls Bitte hin, ihm bei einem Computer-Problem behilflich zu sein, antwortet sein Freund Peter: „Ich komme morgen gegen 19 Uhr bei dir vorbei.“

Der propositionale Akt besteht in der Erzeugung einer geeigneten Struktur, sodass beurteilt werden kann, ob der Satz wahr oder falsch ist. Im Beispiel wird der propositionale Inhalt ausgedrückt, dass der Sprecher am nächsten Tag gegen 19 Uhr beim Adressaten vorbeikommt.

Der illokutionäre Akt besteht in der Erzeugung einer illokutionären Kraft. Hier liegt ein Versprechen an einen Freund vor.

Der perlokutionäre Akt besteht in der Erzeugung eines Appells an den Adressaten. Im vorliegenden Beispiel will Peter seinen Freund Paul dazu veranlassen zu glauben, dass er auf seine Hilfe zählen kann. 12

3.6 John Searles vollständige Klassifikation der Sprechakte

Ordne die vorliegenden Äußerungen in Searles Klassifikation der Sprechakte ein und begründe jeweils deine Entscheidung anhand ihrer Ausrichtung ( direction of fit ) und ihrer Gelingensbedingungen! (4x3=12VP)

(1) Der IOC-Präsident verkündet: „Hiermit erkläre ich die XXIII. Olympischen Winterspiele für eröffnet.“

(2) Die Nachrichtensprecherin berichtet: „Der FC Bayern München hat Borussia Dortmund souverän mit 4:0 geschlagen.“

(3) Marie sagt zu ihrem Onkel, dessen Ehefrau kurz zuvor verstorben ist: „Mein herzliches Beileid!“

(4) Die Chefin gibt ihrer Sekretärin, die wieder einmal ein wichtiges Dokument nicht mehr findet, die Anweisung: „Beseitigen Sie unverzüglich das unerträgliche Chaos an Ihrem Arbeitsplatz!“

  1. Deklarativer Sprechakt : Mit der Erklärung vollzieht der IOC-Präsident als autorisierter Sprecher eine Handlung und verändert die Situation, denn ab sofort können sportliche Wettbewerbe ausgetragen werden. Deklarative Sprechakte haben sowohl eine Welt-zu-Wort-Ausrichtung als auch eine Wort-zu-Welt-Ausrichtung . Sie gelingen, wenn alle in der sozialen Situation Betroffenen der Veränderung zustimmen, hier also neben den Funktionären auch Athleten und Zuschauer.

  2. Assertiver Sprechakt : Hier liegt eine Berichterstattung vor. Assertive Sprechakte haben eine Wort-zu-Welt-Ausrichtung . Sie sind dann gelungen, wenn der propositionale Inhalt wahr ist. Die vorliegende Berichterstattung ist gelungen, wenn sie Ergebnis und Spielverlauf korrekt zusammenfasst.

  3. Expressiver Sprechakt : Marie drückt ihr Mitgefühl aus. Expressive Sprechakte haben keine Ausrichtung . Sie gelingen dann, wenn der Ausdruck des psychologischen Zustandes (hier des Mitgefühls) aufrichtig ist.

  4. Direktiver Sprechakt : Es handelt sich um einen Befehl der Chefin an ihre Sekretärin. Der Sprechakt ist gelungen, wenn die Sekretärin tatsächlich ihren Arbeitsplatz aufräumt. Direktive Sprechakte haben eine Welt-zu-Wort-Ausrichtung : der Adressat muss den propositionalen Inhalt der Äußerung wahrmachen. 13

3.7 Bedingungen für das Gelingen illokutionärer Akte

3.7.1

Erkläre, warum die folgenden Aufforderungen verunglückt sind! (2VP)

(1) Jürgen sagt zu Paul: „Verpasse mir einen Schlag in die Magengrube!“

(2) Ein Professor sagt zu einer Anglistikstudentin, die er nicht näher kennt: „Schreiben Sie sich für ein Anglistikstudium ein!“ 2

In Beispiel (1) fordert der Sprecher den Adressaten zu einer für ihn selbst unangenehmen Handlung auf. Die Aufrichtigkeitsbedingung besagt jedoch, dass der Sprecher die Ausführung der Handlung, zu der er auffordert, auch wünscht. 15

In Beispiel (2) ist die Bedingung des propositionalen Gehalts nicht erfüllt, nämlich dass der Sprecher vom Adressaten eine zukünftige Handlung prädiziert: Die Handlung, zu der die Studentin hier aufgefordert wird, hat sie bereits vollzogen. 16

3.7.2

Formuliere präzise die wesentliche Bedingung für den Akt des Versprechens! (2VP)

Die Äußerung eines Versprechens gilt als Übernahme der Verpflichtung durch den Sprecher, die angekündigte Handlung auszuführen . 17

3.7.3

Erkläre, worin der wesentliche Unterschied zwischen dem Akt des Versprechens und dem Akt des Drohens besteht! (2VP)

Der zentrale Unterschied besteht darin, dass der Sprecher durch ein Versprechen eine für den Adressaten angenehme , durch eine Drohung dagegen eine für den Adressaten unangenehme Handlung ankündigt. Für den Akt des Drohens müsste also die erste Einleitungsbedingung folgendermaßen modifiziert werden: „Der Adressat möchte nicht , dass die Handlung durch den Sprecher ausgeführt wird.“

 


1 Die entsprechende Forschungsliteratur wird hier in Kurzform zitiert. Für die vollständigen Literaturangaben siehe Literaturverzeichnis in der Handreichung zur Einführung „Phänomen Sprache“.

2 Vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 12.

3 Zu den Beispielen vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 9.

4 Vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 9-10.

5 Vgl. Grewendorf et al., Sprachliches Wissen , S. 19.

6 Die entsprechende Forschungsliteratur wird hier in Kurzform zitiert. Für die vollständigen Literaturangaben siehe Literaturverzeichnis in der Handreichung zur Pragmatik.

7 Vgl. Austin, „Performative Äußerungen“, insbesondere S. 305-309; Kober, „Sprachpragmatik und Dreistrahligkeit des Zeichens“.

8 Vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 235-237.

9 Hier und in der Folge wird aus Gründen der Lesbarkeit jeweils das generische Maskulinum („Sprecher“, „Adressat“, etc.) verwendet. Damit sind selbstverständlich alle Personen gleichberechtigt angesprochen.

10 Vgl. Bühler, Sprachtheorie , S. 28-33, sowie Kober, „Sprachpragmatik und Dreistrahligkeit des Zeichens“.

11 Vgl. Searle, Sprechakte , Kapitel 2; Searle, „What is a Speech Act?“. Siehe auch Kober/Michel, John Searle, Kapitel 3.4.1-3.4.3.; Kober, „Sprachpragmatik und Dreistrahligkeit des Zeichens“.

12 Vgl. Searle, Sprechakte , Kapitel 2; Searle, „What is a Speech Act?“. Siehe auch Kober/Michel, John Searle , Kapitel 3.4.1-3.4.3.; Kober, „Sprachpragmatik und Dreistrahligkeit des Zeichens“.

13 Vgl. Searle, „Eine Taxonomie illokutionärer Akte“, insbesondere S. 31-39; Liedtke, Moderne Pragmatik , S. 60-62; Kober, „Sprachpragmatik und Dreistrahligkeit des Zeichens“.

14 Beispiele analog zu Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 238.

15 Vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 239.

16 Vgl. Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , S. 238.

17 Vgl. z. B. Staffeldt, Sprechakttheorie , S. 87; Meibauer, Einführung in die germanistische Linguistik , Lösungen zu S. 240/Aufgabe 5.

 

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