Lösungshinweise zu den einzelnen Sequenzen
Die DDR auf 79 m2: Analyse der Handlung
Lösungshinweise zum Lexikoneintrag „GOOD BYE, LENIN!“
- Republikflucht des ostdeutschen Arztes Robert Kerner im Sommer 1978
- Mutter bleibt mit Sohn Alex (11 Jahre) und Tochter Ariane (13 Jahre) allein in Ostberlin zurück, zieht sie alleine groß
- Stasi begründet Flucht mit der Liebe des Vaters zu einer anderen Frau
- Sigmund Jähn fliegt als Ostdeutscher ins All; großes Vorbild für Alex
- Zusammenbruch der Mutter; wird anschließend zur perfekten Sozialistin
- Jahre später: Mutter beobachtet zufällig Alex’ Verhaftung bei einer Demonstration; erleidet Herzinfarkt; fällt ins Koma
- Im Krankenhaus lernt Alex Lernschwester Lara kennen; sie werden ein Paar
- Christiane „verschläft“ den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung
- Ariane arbeitet inzwischen bei Burger King; ihr westdeutscher Freund Rainer zieht bei Kerners ein; Alex findet eine neue Stelle als Fernsehmonteur
- Mutter wacht nach acht Monaten überraschend auf; Kinder holen sie nach Hause; verschweigen politische Ereignisse, da sie noch zu instabil ist
- In der Wohnung lassen sie die DDR „auferstehen“; spielen „heile Welt“
- Dies wird immer schwieriger (z. B. Ost-Produkte; neues Geld; Fernsehwunsch ...)
- Alex filmt mit seinem Kollegen Denis „fake news“ – fiktive Sendungen der „Aktuellen Kamera“
- Zahlreiche kritische Szenen, bei denen der Schwindel beinahe auffliegt
- Das Lügenkonstrukt wird immer verworrener, immer gewagter
- Ariane erwartet ihr zweites Kind; will mit Rainer ausziehen
- Alex will mit aller Gewalt sein Lügengebilde aufrechterhalten
- Ausflug zur Datsche der Familie Kerner; Mutter gesteht, dass sie sich nicht getraut hat, mit den Kindern einen Ausreiseantrag zu stellen; hat den Kindern unzählige Briefe vom Vater vorenthalten
- Gesundheitlicher Einbruch bei der Mutter; will den Vater noch einmal sehen
- Alex sucht ihn auf; Ariane schafft es nicht, bittet aber Alex darum
- Wiedervereinigung als Umkehr der Geschichte gefilmt; Taxifahrer Sigmund Jähn als neues Staatsoberhaupt
- Mutter stirbt in dem Glauben an diese Utopie; Lara hat sie allerdings vorab über die wahren Ereignisse aufgeklärt, was Alex aber nicht weiß
- Offen bleibt, wie die Mutter diese „Aufklärung“ tatsächlich aufgenommen hat und wie sie zum Lügenkonstrukt ihrer Kinder steht
Die Kerners: Analyse der Figuren/Figurenkonstellation
Alex Kerner
Alex ist 11 Jahre alt, als der Vater die Familie 1978 verlässt. Er scheint danach auf die Mutter fixiert zu sein, was sich daran zeigt, dass er alles Mögliche versucht, um sie aufzuheitern, aus ihrer Lethargie zu reißen. Später teilt er ihre politische Überzeugung keinesfalls, er nimmt im Herbst 1989 an den Montagsdemonstrationen teil. Als es dort zur Katastrophe kommt, weil Christiane einen Herzinfarkt erleidet und ins Krankenhaus kommt, macht er sich wie seine Schwester Ariane große Sorgen um die Mutter, scheint aber die Situation weniger realistisch sehen zu wollen als Ariane – nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Und doch: Christiane Kerner liegt im Koma, ob sie daraus erwachen wird, ist unklar. Die Monate im Koma begleitet Alex gewissenhaft, er kommt regelmäßig ins Krankenhaus, auch wenn er seine Besuche inzwischen auf die Arbeitszeiten der russischen Lernschwester Lara abgestimmt hat. Als die Mutter aus dem Koma erwacht und sie Mauerfall und Wende nicht mitbekommen hat, sich aber keinesfalls aufregen darf, beschließt Alex, die Bettlägerige auf ihren Wunsch hin nach Hause zu holen – gegen den Widerstand der Ärzte, seiner Schwester und deren Freund Rainer und von Lara, die Alex’ Idee ebenfalls für unsinnig zu halten scheint. Dennoch spielen alle im familiären Umfeld mit, schließlich muss der Schein nur im Schlafzimmer von Christiane gewahrt werden. Alex setzt sich durch und duldet keinen Widerspruch, was sich auch bei der Dialoganalyse zeigt (vgl. AB 8).
Dass das Konzept nicht so einfach aufgehen kann, liegt für den Zuschauer schnell auf der Hand, komisch und tragisch zugleich wirken die unzähligen Versuche, die DDR weiterleben zu lassen – von der fieberhaften Suche nach Spreewaldgurken über fadenscheinige Begründungen für Situationen, in denen der Schwindel beinahe auffliegt (vgl. Coca-Cola-Banner) bis hin zu den gestellten Sendungen der „Aktuellen Kamera“, in denen die Westdeutschen zu Staatsflüchtlingen erklärt werden. Dadurch sowie mit Alex’ oft ironisch-kritischen Kommentaren aus dem Off wird das Bild der sich rasant verändernden Lebenswelt in der ehemaligen DDR gezeichnet, mit dem einzelnen (Neben-)Figuren unterschiedlich zurechtkommen/umgehen. Alex Kerner nutzt dies auch für seine Zwecke aus (z. B. als er Klapprath geradezu erpresst, zum Geburtstag seiner Mutter zu kommen).
Christiane charakterisiert ihren Sohn selbst als „Sturkopf“ (vgl. Geburtstagsszene) und dies bestätigt sich an der unerbittlichen Vehemenz, mit der Alex alle anderen dazu antreibt, bei seinem Plan mitzuspielen. Er geht sogar so weit, dass er seine Beziehung zu Lara aufs Spiel setzt, da sie alles andere als begeistert von Alex’ Lügenkonstrukt ist, bei dem er unnötigerweise sogar Laras Familie mit hineinzieht – nur um seine Mutter zu erfreuen. Für Alex steht dies an erster Stelle, Laras Interessen (vgl. Szene, als sie an Alex das Anlegen von Gipsverbänden übt) werden von ihm zurückgestellt.
Lara
Lara hält zu Alex, auch wenn sie (s. o.) sein Vorgehen oft nicht gutheißen kann. Dass sie ihm sogar verzeiht, dass er Lügen über ihren Vater erzählt hat, ist ein Indiz für ihre wahre Liebe, denn eigentlich ist Lara ein Mensch, der sich sehr für einen ehrlichen Umgang untereinander einsetzt. Gemeinsam entdecken die beiden jungen Menschen aber auch die Freiheiten, die sich ihnen in Ostberlin so kurz nach der Wende bieten. Hier unterscheiden sich die beiden kaum von anderen jungen Paaren. Gleichzeitig nimmt Lara ihre Ausbildung sehr ernst, hierfür ist sie offensichtlich ohne ihre Familie nach Deutschland gekommen.
Bei der Datsche versucht Lara Alex mit vielen kleinen Gesten dazu zu bringen, seiner Mutter endlich reinen Wein einzuschenken (vgl. auch Szeneninterpretation AB 9). In dem Moment, als Alex tatsächlich etwas sagen will, kommt ihm seine Mutter zuvor und „beichtet“ ihren Kindern die Wahrheit über die Republikflucht des Vaters. Beide Kinder reagieren wie paralysiert und entsetzt zugleich, Alex läuft davon und Lara tröstet ihn mit großem Einfühlungsvermögen.
Nur am Ende widersetzt sich Lara Alex’ „Spiel“ und Lügengebilde. Kurz vor ihrem Tod erzählt Lara Christiane offensichtlich von den wahren politischen Ereignissen. Wie Christiane auf diese „Enthüllung“ reagiert, erfährt der Zuschauer nicht. Ob die Aufregung der eigenen Lebensbeichte, das Wiedersehen mit Exmann Robert oder auch Laras Offenbarung zur extremen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands geführt bzw. beigetragen haben, bleibt offen. Alex bleibt in dem Glauben, dass seine Mutter glücklich gestorben ist, weil sich die DDR, so wie er sie noch einmal hat auferstehen lassen, in ein Land entwickelt hat, wie Christiane Kerner es gerne gehabt hätte. Und wahrscheinlich nicht nur sie ...
Ariane Kerner und Rainer
Die ältere Schwester von Alex hat dem Vater offensichtlich nicht verziehen, dass er die Familie verlassen hat. Dies stellt sich aber erst heraus, als sie bereits erwachsen und selbst Mutter ist. Die erste Begegnung wird vom Vater selbst nicht bemerkt, Ariane bedient ihn am Autoschalter bei Burger King. Dort arbeitet sie, seit sie ihr Studium geschmissen hat. Sie registriert sehr wohl die beiden jüngeren Kinder auf der Rückbank und das Berliner Nummernschild. Später berichtet sie Alex davon und man merkt ihr an, wie sehr sie das Wiedersehen emotional aus der Bahn geworfen hat (sie lässt eine Flasche Coca-Cola fallen, hat Nasenbluten, weint). Alex, der auch bisher das Vorgehen in der Familie bestimmt hat (die Mutter liegt im Zimmer nebenan), tröstet seine Schwester. Rainer kommt hinzu und reagiert ebenfalls empathisch. Hier lernt man eher einen fürsorglichen Rainer kennen, der ansonsten immer etwas „einfach gestrickt“ dargestellt wird (z. B. als er kaum in der Lage ist, sich seine ihm von Alex zugedachte Biografie zu merken). Rainer ist eher eine Kontrastfigur, der die problematischen „Ossis-Wessis-Konflikte“ symbolisiert (vgl. ständige diesbezügliche „Kabbeleien“ zwischen Rainer und Alex), aber durchaus auch von der Wende und dem billigen Leben in Ostberlin profitiert.
Auch nachdem Ariane sämtliche Briefe des Vaters, die ihre Mutter versteckt hatte, gelesen hat, ist sie noch immer nicht in der Lage, ihren Vater zu treffen. Bei seinem Weggang wird sie bereits in der Pubertät gewesen sein. Wenn Alex offensichtlich ein „Mamakind“ gewesen ist, so liegt die These nahe, dass Ariane eher ein „Papakind“ war. Sie bittet Alex, den Vater aufzusuchen, um Christianes letzten Wunsch, Robert noch einmal zu sehen, zu erfüllen. Sie schafft es selbst nicht.
Die zweite Begegnung von Ariane und Robert findet eher unfreiwillig und ungeplant im Krankenhaus statt. Ariane weicht einem Gespräch aus und läuft davon. Robert Kerner ist davon sichtlich betroffen (der Zuschauer weiß inzwischen, dass der Vater 1978 keine Geliebte hatte, unzählige Briefe geschrieben und sehr unter der Trennung von seiner Familie gelitten hat), hält Ariane aber auch nicht auf. Das letzte Treffen der beiden findet bei der „Trauerfeier“ auf dem Dach statt. Ob es durch den Tod der Mutter zu einer tatsächlichen Annäherung zwischen Vater und Tochter gekommen ist, bleibt allerdings offen.
Christiane Kerner
Christiane Kerner hat gewusst (vgl. Datsche-Szene), wie sehr ihr Mann unter den Bedingungen in der DDR gelitten hat, da er kein Parteimitglied sein wollte. Helfen habe sie ihm nicht können, sagt sie im Nachhinein. Dennoch stimmt sie dem Plan zu, dass ihr Mann bei einem Ärztekongress in Westberlin bleibt und verspricht, mit den Kindern nachzukommen. Doch genau das schafft sie nicht, zu groß ist ihre Angst, dass man ihr die Kinder wegnehmen könnte. Das Dilemma, zwischen der Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern entscheiden zu müssen, lässt sie zunächst zusammenbrechen. Erst nach acht Wochen kehrt sie aus der Psychiatrie zur Familie zurück und scheint wie ausgewechselt zu sein: „Wir sprachen nie mehr von Vater. Meine Mutter hat sich von dieser Zeit an mit unserem sozialistischen Vaterland verheiratet.“ (Kommentar aus dem Off von Alex Kerner).
Die Ursache für diesen Wandel könnte darin liegen, dass die Angst um die Kinder zunächst so groß gewesen ist, dass Christiane Kerner beim Staat und möglichen Stasi-Spitzeln über jeden Zweifel, sie könne von den Fluchtplänen ihres Mannes gewusst haben, erhaben sein wollte. Dass sie daraus ihren Lebensinhalt gemacht hat und sie sogar den Vater aus dem familiären Gedächtnis streicht, ist damit allerdings kaum noch zu begründen. Es ist möglicherweise die einzige Art gewesen, wie Christiane Kerner mit der neuen Situation als alleinerziehende Mutter umgehen konnte: Ihre (neue) politische Einstellung gibt ihr den nötigen Halt. Was sie mit dieser Lebenslüge ihren Kindern dennoch angetan hat, erfährt man erst am Ende des Films. Ob die Kinder ihrer Mutter dies verzeihen können, bleibt eine Leerstelle im Film.
Doch nicht nur für ihre Kinder opfert sich Christiane Kerner auf. Auch für ihren Beruf, ihre Freunde und Nachbarn setzt sie sich mit aller Kraft ein, versucht beispielsweise, mit ihren schriftlichen Eingaben kleine Verbesserungen im Alltag der Menschen zu erzielen. Dies tut sie später vom Krankenbett aus wieder. Die Ironie dabei ist, dass sich die Nachbarin an schöne alte Zeiten erinnert fühlt, das Ergebnis aber ganz pragmatisch als Beschwerdebrief für den Otto-Versand nutzt.
In der Darstellung der treusorgenden Mutter und überzeugten Sozialistin zeigen sich allerdings auch Widersprüche. So traut sie beispielsweise ihren Kindern nicht auf Anhieb, als diese von ihr eine Bankvollmacht wollen. Und es stellt sich heraus, dass sie auch der Bank ihr Geld nicht anvertraut hat: Offensichtlich hat sie sich in all den Jahren nur noch auf sich selbst verlassen. Auf der anderen Seite scheint sie Alex’ Lügen und Ausreden bereitwillig Glauben zu schenken, ohne misstrauisch zu werden (z. B. als sie Fernsehen will oder die Erklärungen ihrer Kinder zu den Flüchtlingen aus dem Westen nicht hinterfragt). Dass sie ihrem Mann nicht gefolgt ist und die Kinder angelogen hat, bezeichnet sie als den größten Fehler ihres Lebens.
Robert Kerner
Der Arzt Robert Kerner ist zunächst nur eine Figur, die großes Leid in der Familie ausgelöst hat, selbst aber nicht in Erscheinung tritt, sondern höchstens auf Bildern oder Filmaufnahmen zu sehen ist. Zur gleichen Zeit, als Alex’ persönlicher Held, Sigmund Jähn, im Sommer 1978 als erster Deutscher ins All fliegt, wird die Mutter von Stasi-Beamten zu den Westkontakten ihres Mannes befragt. Sie schweigt beharrlich. Der Vater taucht nie wieder auf.
Erst nach dem Mauerfall erfahren seine Kinder, dass er offensichtlich noch immer in Berlin lebt – mit einer neuen Familie. Alex’ Vorstellungen, dass der Vater zum schwerreichen, fetten Kapitalisten mit Villa und Swimmingpool mutiert ist, werden revidiert, als er den Vater tatsächlich aufsucht und dabei seine beiden Halbgeschwister kennenlernt. Der Vater erkennt den eigenen Sohn zunächst nicht, was beide, Vater und Sohn, sichtlich mitnimmt. Dennoch bekommt das Bild des unzuverlässigen Vaters, der sich einfach aus dem Staub gemacht hat, nach Christianes Lebensbeichte Risse. Er übernimmt insofern Verantwortung, dass er sofort bereit ist, den letzten Wunsch seiner Frau zu erfüllen und zu ihr ins Krankenhaus zu kommen. Alex nötigt ihn dazu, dass auch Robert das Spiel mitspielt. Obwohl sich Robert der Sinn nicht wirklich erschließt, lässt auch er sich von seinem Sohn überreden. Die Aussprache der beiden Ehepartner Robert und Christiane dauert lange, doch auch hier lässt der Film offen, wie diese inhaltlich verläuft. Am Ende ist jedoch Robert mit dabei, als die Familie Christianes Asche mit einer Rakete in den nächtlichen Himmel über Berlin schießt.
Lösungshinweise zur Dialoganalyse
Vor allem der Konflikt zwischen „Ossis“ und „Wessis“ (Alex und Rainer, die beide in ihrer Wortwahl keinen Hehl aus ihrer gegenseitigen Abneigung machen; dies zeigt sich ebenfalls am Tonfall und der Mimik/Gestik) sollte hier herausgearbeitet werden sowie die Tatsache, dass Ariane zwischen den Stühlen zu sitzen scheint. Einerseits ist sie gegen Alex’ Plan, andererseits akzeptiert sie, dass er in der Wohnung/in der Familie jetzt das Sagen übernommen hat und eben nicht Rainer, der zwar die (geringfügige) Miete zahlt, sich aber in den Augen von Alex (vgl. auch seine Kommentare aus dem Off) eher bei den Kerners ungefragt eingenistet zu haben scheint. Alex setzt sich durch, gegenüber seiner Schwester und ihrem Freund tritt er hier kompromisslos auf; diesen Egoismus anderen gegenüber, mit dem er seinen Plan unbeirrbar durchzieht, zeigt er bei sich selbst nicht; um seine Mutter vor einem neuen „Schock“ zu beschützen und um sie vor einem weiteren Herzinfarkt zu bewahren, verlangt er sich alles Mögliche ab, schränkt nicht zuletzt seine Freizeit dadurch enorm ein.
Lösungshinweise zur Szeneninterpretation/Hausaufgabe
- Eine gelungene Überraschung: Christiane darf das „neue Auto“ sehen und ist offensichtlich seit langer Zeit erstmals wieder bei der Datsche/im Garten
- Szenen zeigen ein inniges Verhältnis von Mutter und Sohn, entsprechend mit einem Klavierstück untermalt (vgl. Filmmusik von Yann Tiersen)
- Mutter erinnert an einen Streich von Alex in jungen Jahren, alle lachen; die beiden Paare Alex-Lara und Ariane-Rainer werden glücklich gezeigt, das perfekte Familienidyll
- Christiane seufzt plötzlich tief, lehnt den Kopf zurück und fragt nach der Zeit, in der sie im Koma gelegen habe; was wirklich passiert sei; mit den vier Seiten einer Nachricht lässt sich diese Frage unterschiedlich interpretieren
- Lara nimmt dies zum Anlass, Alex’ zu drängen, endlich die Wahrheit zu sagen; sie lässt nicht locker, mit zahlreichen kleinen Gesten und mit ihrer Mimik
- Alex setzt gerade an, etwas zu sagen, als die Mutter ihre Frage selbst beantwortet und damit von der Sachebene (was ist passiert?) und der Appellseite (was ist wirklich passiert) zur Selbstkundgabe zu wechseln (ich habe Euch nicht immer die Wahrheit gesagt)
- auf der Beziehungsseite kann dies so verstanden werden: Ihr seid jetzt erwachsen und ich bin schwer krank; jetzt ist die Stunde der Wahrheit
- die Kameraeinstellung unterstützt diese Ergebnisse: die Reaktionen von Christiane werden während des Monologs in den Fokus gerückt (Nah- und Großaufnahme), Gesichtsausdruck und ihre Hände am Glas verraten ihre Nervosität, die große Anspannung, unter der sie zu stehen scheint
- unter Tränen bittet sie um Verzeihung für den größten Fehler ihres Lebens
- die Kamera verfolgt auch die Reaktion der Kinder auf diese Beichte sowie die Rechtfertigungsversuche („Ihr wisst ja nicht, wie das ist“), sie schwenkt ebenfalls in einer Halbnah- bzw. Nahaufnahme mal auf Lara und Alex (zeigt die selbe Handhaltung am Glas wie die Mutter), mal auf Ariane (mit Rainer); emotional nimmt Lara ebenfalls Anteil (sie hat die ganze Zeit schon Mitleid mit Christiane), während Rainer eher wieder einen etwas unbeteiligt-unberührten Eindruck erweckt, als gehe ihn das Ganze nichts an
- Wut, Entsetzen oder Verzweiflung bleiben als Reaktion von Seiten der Kinder zunächst einmal scheinbar aus
- Allerdings läuft Alex wortlos weg, an den See, während die Folgen bei Ariane erst später sichtbar werden (vgl. wilde Suche nach den alten Briefen den Vaters)
Filmsprache in „GOOD BYE, LENIN!“: Analyse der Bauform
Gruppe 1: 40 Jahre DDR und Coca-Cola-Banner
Auffallend ist die Farbgestaltung, das Rot der Fahne zur Feier des 40jährigen Bestehens der DDR und der blaue Himmel, der hier ein idealistisches Szenario suggeriert. Bestes Geburtstagswetter. Der Plattenbau wird von unten gefilmt, was auch ein Zeichen der staatlichen Macht darstellt.
Die Coca-Cola-Werbung auf dem zweiten Frame, ironischerweise ebenfalls leuchtend rot und damit in der wohl stärksten Signalfarbe gehalten, steht als Sinnbild für die rasante Verwestlichung nach dem Mauerfall und ist um einiges größer als die erste Fahne. Dies könnte von den Schülern auch als Darstellung der Macht eines Konzerns interpretiert werden. Beide Fahnen hängen scheinbar am selben Plattenbau, wobei Alex hier mit der Werbung nahezu „auf Augenhöhe“ gezeigt wird. Dennoch geht für ihn in diesem Moment die größere Gefahr von der Werbung aus, da damit sein Lügengebilde aufzufliegen droht. Für dieses steht hier die altbackene Gardine, die nach Christianes Krankenhausaufenthalt wieder aus dem Keller geholt worden ist. Alex’ Blick geht also vom isolierten Mikrokosmos in Christianes Zimmer nach draußen Richtung „Freiheit“, neue Zeit. Argumentieren könnten die Schüler aber auch damit, dass er relativ zu Beginn des Filmes auch bei den Montagsdemonstrationen aktiv dabei gewesen ist und bei seiner Verhaftung die Staatsmacht am eigenen Leib zu spüren bekommen hat.
Gruppe 2: Christiane und der Abtransport der Leninstatue
Erwartet wird, dass die Schüler Kamerabewegung, Einstellungsgrößen, Bildebenen, Montage und Einsatz von Ton und Filmmusik exemplarisch aufzeigen, beschreiben und funktional deuten. Als Christiane aus dem Haus kommt, wird mit einer so genannten Kontinuitätsmontage („hidden cuts“) die Situation verlangsamt dargestellt, passend auch zur körperlichen wie emotionalen Anstrengung, die Christiane mit Sicherheit nach Monaten im Bett in diesem Moment erlebt. Dann zoomt die Kamera an Christiane heran, ihre Verwirrung wird immer deutlicher sichtbar. Die Umgebung, in der westliche Werbung (z.B. von Ikea) und bis dato unbekannte Unternehmen (z.B. ein Auto-Händler) Einzug gehalten haben, wird mit Hilfe von Kamerafahrten gezeigt.
Die Spannung steigert sich zunehmend: Einerseits durch die Bild-Bildkombination (Christiane, die inzwischen völlig überfordert und noch geschwächter gezeigt wird, und der parallel stattfindende Abtransport der Leninstatue), andererseits durch die Parallelmontage Alex – Christiane – Ariane. Unterstrichen wird dies durch immer lauter werdende Musik und das Dröhnen der Rotorblätter des Hubschraubers, bis es schließlich zur Auflösung kommt: Lenin ist weg und die Kinder treffen fast zeitgleich aus unterschiedlichen Richtungen her kommend auf Christiane und führen sie zurück ins Haus. Dem Zuschauer wird klar: Dieses Erlebnis wird Alex kaum noch plausibel erklären können. Die Spannung liegt greifbar in der Luft: Wie will er dies schaffen und gelingt es ihm auch?
Gruppe 3: Exemplarische Kommentare aus dem Off
Alex’ Kommentare bringen einerseits den Gang der Handlung voran, indem sie mitunter als eine Art Zeitraffer fungieren, andererseits liefern sie Informationen, die im Bild nur sehr schwer darzustellen wären bzw. zu viel Zeit bräuchten (z. B. „Wir sprachen nie mehr von Vater.“ oder „[...] vereinte ein kleiner runder Ball die gesellschaftliche Entwicklung der geteilten Nation [...].“) In ihrer sprachlichen Ausgestaltung (z. B. mit Antithesen, Euphemismen, Hyperbeln) sowie in Kombination mit den jeweils gezeigten Bildern wirken die Kommentare zudem oft ironisch-sarkastisch, schildern Alex’ Sicht auf gesellschaftliche wie familiär-persönliche Entwicklungen und Ereignisse.
„Alternative Fakten“: Analyse der Normen und Werte
Das Dilemma, in dem Alex sich befindet, liegt auf der Hand. Sagt er die Wahrheit, so gefährdet er massiv die Gesundheit seiner Mutter, lügt er, so zieht er andere mit in diese Scheinwelt hinein und verschweigt einer erwachsenen Frau die aktuelle politische Lage. Er entmündigt sie auf eine gewisse Art, da er ihr auch gezielt Informationen vorenthält und ihr in dieser Genesungsphase „vorschreibt“, was sie darf und was nicht.
Unstrittig dürfte bei den Schülern sein, dass Alex damit ein nicht zu verurteilendes Ziel verfolgt: Er möchte seine Mutter vor einem weiteren Herzinfarkt bewahren und damit ihr Leben schützen. Auf welcher Stufe der Moralentwicklung nach Kohlberg die Schüler Alex’ Verhalten einschätzen, kann individuell unterschiedlich sein, sollte aber gut begründet werden und bietet sicherlich Anlass für spannende Diskussionen. Ob er seine Bedürfnisse („Meine Mutter darf auf keinen Fall sterben.“) befriedigen will (vgl. präkonventionelles Stadium, Stufe 2) oder sich eher bereits im konventionellem Stadium befindet (vgl. als guter Junge tut er alles für die kranke Mutter), muss auch nicht abschließend geklärt werden. Entscheidender ist die Diskussion um moralisches Handeln, die sich hieraus im Kurs ergibt.
Im Sinne Max Webers könnte man Alex als einen „Verantwortungsethiker“ bezeichnen, der das Lügen ganz bewusst in Kauf nimmt. Als ein „Gesinnungsethiker“ würde er mit großer Wahrscheinlichkeit keine alternativen Fakten schaffen, weil seine absolute Ethik ihm das Lügen verbieten würde.
Differenzierte Ergebnisse bringt auch die Frage, welche Folgen Alex’ Entscheidung auf die Freunde und die Familienmitglieder hat. Lara bringt Alex in immer größere Konflikte mit ihrem eigenen Gewissen und ihrer Vorstellung davon, wie man mit der Wahrheit umzugehen hat. Sie bricht aus dem Konstrukt insofern aus, als sie am Ende Christiane die Wahrheit erzählt.
Ariane und Rainer sind gegen Ende auch nicht mehr bereit, das Spiel mitzuspielen, wenn auch aus anderen Gründen. Sie wollen ein eigenes Familienleben haben und in eine größere Wohnung ziehen, zumal das zweite Kind unterwegs ist.
Robert Kerner sieht zwar nicht wirklich den Sinn in Alex’ Lügenkonstrukt, ist aber auch bereit, dieses nicht auffliegen zu lassen. Über seine Motive kann nur spekuliert werden. Allerdings klingt es plausibel, wenn die Schüler damit argumentieren, dass er seinem Sohn gegenüber ein schlechtes Gewissen hat, weil er ihn nicht sofort erkannt hat. Zudem dürfte das bevorstehende Wiedersehen mit Christiane auch eine große emotionale Belastung darstellen, so dass er eventuell zu diesem Zeitpunkt nicht die Kraft aufbringt, sich dem Drängen Alex’ zu widersetzen.
Denis, Alex’ Arbeitskollege, träumt von der eigenen Karriere als Filmemacher. Er ist deshalb gerne bereit, als Produzent der „Aktuellen Kamera 2.0“ zu fungieren, stellt Alex damit sein Fachwissen in Sachen Filmschnitt und sein technisches Equipment zur Verfügung. Es dürfte aber auch schlicht die Freundschaft zwischen den beiden sein, die Denis dazu bringt, Alex zu helfen.
Kinder als „Pioniere“, Nachbarn und ehemalige Kollegen spielen das Spiel aus unterschiedlichen Gründen mit: teils trauern sie der DDR ebenfalls nach oder kommen mit den neuen Lebensbedingungen nicht zurecht (vgl. Arbeitslosigkeit), teils profitieren sie von Christiane im Krankenbett (vgl. Eingaben für den Otto-Versand), teils lassen sich sie bestechen (singende Pioniere), teils erpressen (vgl. Klapprath-Szenen im Vorfeld). Und während Alex selbst ohne Rücksicht auf Verluste alles tut, um sein Konstrukt selbst in den kritischsten Situationen zu retten, nimmt er auf seine eigene Person kaum Rücksicht. Von einem jungen Mann in seinem Alter könnte man auch erwarten, dass er andere (auch egoistischere) Ziele verfolgt.
GOOD BYE, LENIN! - Konzeption: Herunterladen [docx][448 KB]
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