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Interpretationszugänge zu Grimms Märchen

Dornröschen

Symbol(e)

Motiv(e)

Schlaf

Spindel

Hecke

Turm

Dornenhecke

Dornröschenfrau

literaturhistorische / sozialgeschichtliche Betrachtung

Der 15. Geburtstag stand im Spätmittelalter in adligen Kreisen als frühester möglicher Zeitpunkt zum Heiraten

Spinnen eigentlich eine bäuerliche Tätigkeit; das Berühren der Spindel vielleicht als schwerwiegender Verstoß gegen den feudalen Kodex.

Im Mittelalter schrittweise Einschränkung der Nutzungsrechte des Waldes für die einfachen Bauern; Bauern durften keine Mauern anlegen, sondern nur Hecken

sozialwissenschaftliche Interpretation (Genderperspektive)

Für Väter oft schwierig, zuzulassen, dass ihre Töchter selbstständig werden und andere Männer eine wichtigere Rolle in ihrem Leben spielen

Märchen spiegelt das traditionelle Frauenbild von der sich passiv verhaltenden Frau wider; sie muss sich suchen lassen, um heiraten zu können; Hochzeit als Höhepunkt im Leben und Erlösung

(wieder) eine passive Heldin; sobald sie überfordert ist, zieht sie sich in sich selbst zurück

entwicklungspsychologische Interpretation

Reife beginnt auch mit der Ablösung von den Eltern; sie beginnt, ihre Umwelt zu erkunden (Turm)

Schlaf: auch die lange, ruhige Konzentration auf das eigene Ich ist notwendig

Eltern können das sexuelle Erwachen ihres Kindes nicht verhindern

harmonische Begegnung von Königssohn und Königstochter; Symbol für das, was die Reife mit sich bringt: nicht nur Harmonie mit sich selbst, sondern auch dem anderen

Vereinigung im Märchen ist auch eine Vereinigung von Geist und Seele der beiden Partner (nicht nur sexuell) und bedeutet ebenfalls Erfüllung

Ankunft des Prinzen im richtigen Augenblick als Interpretation des sexuellen Erwachens oder die Geburt eines höheren Ichs

Junges Mädchen, das in die Adoleszenz eintritt, untersucht bis dahin unzugängliche Lebensbereiche

(tiefen-)psychologische Interpretation

Schilderung, wie ein Mädchen zu weiblicher Identität gelangt

Geschichte auch Anspielung auf das Erwachen der Sexualität im Jugendalter

Der Turm steht für

  • Entdeckung des Neuen / neue Lebensbereiche
  • Phallussymbol

Tabuthema: Fluch (Sexualität?) wird tabuisiert; Gesetz, alle Spindeln im ganzen Königreich zu verbrennen

Schlaf: Symbolisiert der Bemühung der Eltern, das Sexualleben ihrer Tochter aufzuschieben; Dornröschen ist mit den neuen Erfahrungen, dem Bewusstwerden der tabuisierten Bereiche überfordert und zieht sich in sich selbst zurück

Dornenhecke soll das zu junge Mädchen noch schützen

Freudsche Symbole:

  • Wendeltreppe; bedeutet in Träumen typischerweise sexuelle Erlebnisse
  • Das Erwachen aus tiefem Schlaf kann ein Erwachen zum eigenen Selbst sein; innere Harmonie zwischen dem Es, dem Ich und dem Über-Ich
  • Spindel, „ein Ding, das so lustig herumspringt“; Spindelstich als erste sexuelle Erfahrung, oder Schicksalsfaden, oder weiblicher Lebensbereich, oder Phallussymbol

Hänsel und Gretel

Symbol(e)

Motiv(e)

Hexe

Wald

Weg

Lebkuchenhaus

Wasser

Edelsteine

das Vom-Weg-Abkommen

Begegnung mit der Hexe

Lichtsymbolik

Eltern-Kind-Konflikt

Geschwistermärchen

literaturhistorische / sozialgeschichtliche Betrachtung

Kindesaussetzung – und Kindesmord – unter den armen Bevölkerungsschichten um 1800 keine Seltenheit

Vielleicht stimmt das Märchen mit der grausamen sozialen Realität überein

Ursprünge des Märchens werden in Hessen und Schwaben vermutet, die Geschichte stammt vmtl. aus einer Zeit der Hungersnöte z.B. Dreißigjähriger Krieg (1618–1648)

sozialwissenschaftliche Interpretation (Genderperspektive)

Geschlechtsstereotypen

Die weiblichen Akteure werden negativ dargestellt

Mutter und Hexe verkörpern das Böse

auch Gretel wird (zunächst) als schwach und lebensuntüchtig dargestellt.

Stereotyp einer Epoche, in der Frauen keinerlei Rechte besaßen; Unterordnung unter Männer

entwicklungspsychologische Interpretation

Pädagogische Warnung vor Fremden

Geschichte verkörpert Ängste und Lernaufgaben des kleinen Kindes: Hänsel übernimmt die Führung für sich und seine Schwester; handelt vorausschauend und kümmert sich; als Hänsel von der Hexe gefangen genommen wird, beweist Gretel Mut und rettet sich und ihren Bruder

Zeigt Kindern, dass sie, sobald sie größer werden, immer mehr auf ihre Altersgenossen vertrauen müssen

Edelsteine: Überwindung des Kindlichen ist auch zum Wohl der Eltern; Rückkehr und Überwindung der Probleme wird belohnt werden; die Kinder finden nun zu Hause das Glück, haben sich innerlich gewandelt

Überfahrt über das Wasser: bedeutet eine Verwandlung von unreifem Denken zu vernünftiger und initiativer Überlegung; Initiationszyklus

Geschwistermärchen oft als Muster für einen Reifungsprozess, wie auch eine geistige Bewusstseinswerdung

Drückt Angstfantasien, verlassen zu werden, aus

Schilderung einer Entwicklung zur selbstständigen Persönlichkeit

Kinder zeigen Problemlösekompetenz

(tiefen-)psychologische Interpretation

Resilienz: psychische Widerstandsfähigkeit und Fähigkeit, Krisen zu bewältigen

Mutter steht ihrem Kind nicht mehr zur Verfügung; Kind fühlt sich von seiner Mutter betrogen (H.u.G. erst von der Hexe gemästet, dann Angst vor dem Aufgefressen-werden)

Lebkuchenhaus symbolisiert das Befriedigungsgefühl; reizvoll und verlockend, Gefahr droht, wenn man der Versuchung nachgibt

Auf dem Hinweg mussten die Kinder kein Wasser überqueren; auf dem Rückweg symbolisiert dies einen Übergang und einen Neubeginn auf einer anderen Ebene (wie eine Taufe)

Rotkäppchen

Symbol(e)

Motiv(e)

Farbe Rot

Wolf

Jäger

Weg

Wald

das Vom-Weg-Abkommen

Begegnung mit dem Wolf

Lichtsymbolik

Eltern-Kind-Konflikt

Gewalt und Gerettetwerden

literaturhistorische / sozialgeschichtliche Betrachtung

Version von Perrault (1695)

  • deutlich sexueller konnotiert
  • Rotkäppchen wird verschlungen, nicht gerettet
  • Moral außerhalb des Textes, keine Erkenntnis der Märchenfigur

sozialwissenschaftliche Interpretation (Genderperspektive)

männlich-dominat geprägte Welt

weibliche Figuren als Opfer dargestellt; können sich nicht selbst retten

Mutter und Hexe verkörpern das Böse

Männliche Charaktere handeln, Frauen reagieren nur, sind hilflos

entwicklungspsychologische Interpretation

Rolle der Mutter (gibt der Tochter Ratschläge) bedeutungslos

Text handelt von den Schwierigkeiten, die Abhängigkeit von der Mutter aufzugeben

Belehrende Warnung, sich nicht mit den Fremden zu unterhalten

Weg: Rotkäppchen wird vom Kind zum jungen Mädchen, das Ratschläge, Befehle und Verbote seiner Eltern erst ignoriert und dann am Ende positiv aufnimmt

Vergleich mit Hänsel und Gretel: Rotkäppchen ist, wie Hänsel und Gretel, nach seiner Rettung ein glücklicheres Kind

Der Wolf ist auch die Verkörperung des Bösen, das Kind spürt es, wenn es den Ermahnungen der Eltern zuwider handelt

Weg Rotkäppchens von der Mutter zur Großmutter als sexuelle Initiation

Das Märchen schließt mit einer Art innerem Dialog: „Du willst dein Lebtag…“; R. hat gelernt, dass es besser ist, nicht gegen die Mutter aufzubegehren

Rotkäppchen hat seine kindliche Unschuld verloren durch die Konfrontation mit den Gefahren konfrontiert Erwachsenwerden nur über Kennenlernen von Gefahren

(tiefen-)psychologische Interpretation

Lustprinzip statt Realitätsprinzip

Außenwelt für Rotkäppchen reizvoller als das Zuhause

Der Wald als das Unbewusste, Unterbewusstsein, vielleicht als Symbol für Sexualität (Blumen)

Rote Farbe ist ein Merkmal von Sexualität

Diminutivform deutet an, dass das Mädchen eigentlich noch zu jung ist

Vaterfigur (Wolf und Jäger); Präsentation der männlichen Natur; Wolf als der Verführer symbolisiert das Egozentrische, Brutale; Jäger als der rettende Vater, symbolisiert das Aufopfernde, Soziale

Schneewittchen

Symbol(e)

Motiv(e)

Spiegel

Farben

Schlaf

Zahlensymbolik (3,7)

Jäger

Winter

Apfel

Eifersucht / Narzissmus

Schönheitsideale

Entwicklung vom Mädchen zur jungen Frau

Konflikt zwischen Tochter und Mutter (auch um den Vater)

literaturhistorische / sozialgeschichtliche Betrachtung

Mythos von Amor und Psyche (Psyche ist so schön, dass Venus auf sie eifersüchtig wird)

Im Hintergrund steht das luxuriöse Leben der Adelsschicht im 17.Jahrhundert: Schönheitspflege (Spiegel) und Frisuren (Kamm) spielten eine große Rolle; Kindeserziehung wurde einer Amme / Gouvernante übertragen

Schneewittchen entspricht dem Schönheitsideal des Barock*. Die Haut schneeweiß, die Wangen leicht gerötet, der Mund weder zu klein noch zu groß, Hauptsache purpurrot. Die Augen dunkelbraun; helle Haut als Schönheitsideal (Statussymbol der Frau, die nicht im Freien arbeiten muss)

(* z.B. Hoffmanswaldau: Vergänglichkeit der Schönheit, 1695)

sozialwissenschaftliche Interpretation (Genderperspektive)

Jäger hat mit Schneewittchen nur Mitleid, „weil es so schön war“; Schönheit als angebliche weibliche Kardinaltugend (37x „schön-„ im Text)

Auch die Zwerge wecken Schneewittchen nicht (und lassen sie deshalb auch bei sich wohnen), weil sie so attraktiv ist: „was ist das Kind schön“; darf dann den Zwergen den Haushalt führen

Attraktivitätsstereotyp: Wer schön ist, ist auch gut; Schneewittchen verfügt über makellose Schönheit; erfährt dadurch ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit (Halo-Effekt)

Schneewittchen als Schönheitsideal

Schneewittchen handelt nie selbst

Auch Schneewittchen heiratet nicht, sondern wird geheiratet

entwicklungspsychologische Interpretation

Zeit Schneewittchens bei den Zwergen als Zeit der Initiation; als Zeit des Reifens, Erwachsenwerdens

Auch das Überleben des Mordversuches als Initiation. Mit der Initiation ist das Kind gestorben, die Kindheit zu Ende.

Auf den Charakter wird allein vom Aussehen geschlossen (attraktiv = intelligent/sympathisch)

(tiefen-)psychologische Interpretation

Spiegel als Symbol des Unbewussten / Unterbewussten

Spiegel als Ausdruck unerreichbarer Wünsche / Sehnsüchte

Rot als Zeichen von blühendem Leben, ein Schönheitsideal, auch erotisches Signal

Todesschlaf als mögliche Metapher für Einengungen in schwerer Depression; oder auch Erwachsenwerden/ Erlangung sexueller Reife

Narzissmus: Stiefmutter verlangt maßlose Bewunderung; benötigt ständige Bestätigung durch den Spiegel

 

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