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Füh­rer und Masse

Di­dak­ti­scher Kom­men­tar

Der Schritt vom his­to­ri­schen Kon­text hin zum Phä­no­men des Mas­sen­wahns und zur Rolle eines Füh­rers ist nicht weit. Se­kun­där­tex­te, mit denen sich auch Schü­ler im Ba­sis­fach Deutsch aus­ein­an­der­set­zen sol­len (vgl. Vor­be­mer­kung der Er­gän­zun­gen zum Ba­sis­fach Deutsch Ober­stu­fe1), sind vom Um­fang und von der Kom­ple­xi­tät zwar ein­fa­cher als die­je­ni­gen, die für das Leis­tungs­fach Deutsch aus­ge­wählt wer­den soll­ten, doch eine in­ten­si­ve Be­schäf­ti­gung mit sol­chen Tex­ten ist auch im Ba­sis­fach Deutsch un­ver­zicht­bar. Aus­zü­ge aus Ori­gi­nal­tex­ten von Sig­mund Freud und Gus­t­ave Le Bon bie­ten sich an beim Thema „Füh­rer und Masse“. Der psy­cho­ana­ly­ti­sche Deu­tungs­an­satz ist zudem für Schü­ler oft ein span­nen­der. Das Ziel der Psy­cho­lo­gie als Wis­sen­schaft, mensch­li­ches Ver­hal­ten be­schrei­ben und er­klä­ren zu kön­nen und dar­aus sogar An­sät­ze ent­wi­ckeln zu kön­nen, wie sich mensch­li­ches Ver­hal­ten vor­her­sa­gen oder gar ver­än­dern lässt, bie­tet in der Regel Raum für tief ge­hen­de Dis­kus­sio­nen im Kurs. Wich­tig dabei ist auch hier, die Schü­ler immer wie­der zur kon­kre­ten Text­ar­beit an­zu­hal­ten, so dass die Trans­fer­leis­tung ge­winn­brin­gend er­fol­gen kann.

Gus­t­ave Le Bon

Gus­t­ave Le Bons wohl be­kann­tes­tes Werk „Psy­cho­lo­gie der Mas­sen“ aus dem Jahr 1895 eig­net sich eben­falls bes­tens als Re­fe­rats­the­ma, das früh­zei­tig zu ver­ge­ben ist (vgl. Le­se­auf­wand). Die Haupt­auf­ga­be liegt dann aber nicht nur darin, den Mit­schü­lern Le Bons Un­ter­su­chung zum Phä­no­men der Mas­sen (Ei­gen­schaf­ten, Re­ak­ti­ons­wei­sen, Ge­fah­ren, Füh­ren von Mas­sen) vor­zu­stel­len. Viel­mehr müs­sen diese Er­kennt­nis­se in einen kon­kre­ten Zu­sam­men­hang mit Manns No­vel­le „Mario und der Zau­be­rer“ ge­stellt wer­den.
Wird die­ses Thema nicht ver­ge­ben, so sind zwei Va­ri­an­ten denk­bar:

  1. Ein kur­zer Leh­rer­vor­trag ver­mit­telt die zen­tra­len In­hal­te zu Le Bons „Psy­cho­lo­gie der Mas­sen“, die Schü­ler leis­ten im An­schluss die Trans­fer­ar­beit. Hier­bei soll­ten vor allem die Kenn­zei­chen der Mas­sen­see­le (Be­ein­fluss­bar­keit und Leicht­gläu­big­keit, das Den­ken in Bil­dern, die Emp­fäng­lich­keit für Sug­ges­tio­nen wie Le­gen­den, der Über­schwang, die Ein­sei­tig­keit, das ein­fa­che, un­dif­fe­ren­zier­te Den­ken, die Angst vor Neue­run­gen, die Herrsch­sucht sowie die Ur­teils­fin­dung durch über­eil­te Ver­all­ge­mei­ne­rung von Ein­zel­fäl­len) zur Spra­che kom­men. Eben­so be­deu­tend ist die Art und Weise, wie sich Mas­sen von po­li­ti­schen Mei­nun­gen und Ideo­lo­gi­en ge­schickt täu­schen und be­ein­flus­sen las­sen, weil Ver­nunft und Er­zie­hung nur ein ge­rin­ges Ge­gen­ge­wicht dar­stel­len. Der Ein­zel­ne werde hier­bei, un­ab­hän­gig von sei­nem Bil­dungs­grad, ein Trieb­we­sen, gebe seine be­wuss­te Per­sön­lich­keit auf. Le Bon ver­gleicht die­sen Zu­stand auch mit dem eines Hyp­no­ti­sier­ten. In die­ser Phase ge­ra­ten Men­schen Le Bon zu­fol­ge schnell unter die Herr­schaft eines Füh­rers, der sie lei­ten soll. Dies ge­lin­ge ins­be­son­de­re durch Be­haup­tung, Wie­der­ho­lung und Über­tra­gung. Gren­zen der Be­ein­flus­sung sieht Le Bon dann ge­ge­ben, wenn es ge­lingt, den Füh­rer zu hin­ter­fra­gen, seine Glau­bens­sät­ze zu hin­ter­fra­gen. Dis­kus­sio­nen könn­ten die ge­heim­nis­vol­le Kraft, die Le Bon als Nim­bus be­zeich­net, deut­lich ab­nut­zen. Des­halb wür­den Füh­rer zwangs­läu­fig ver­su­chen, die Mas­sen auf Ab­stand zu hal­ten und Er­ör­te­run­gen nicht zu­zu­las­sen.2
  2. Al­ter­na­tiv kön­nen die Schü­ler dazu auf­ge­for­dert wer­den, sich in häus­li­cher Vor­be­rei­tung einen kur­zen Über­blick über Gus­t­ave Le Bons Be­ob­ach­tun­gen zu ver­schaf­fen. Der Ori­gi­nal­text ist im Netz ver­füg­bar, eben­so Zu­sam­men­fas­sun­gen.

Wei­te­rer Un­ter­richts­ver­lauf

In­wie­weit lässt sich Le Bons Cha­rak­te­ri­sie­rung eines Füh­rers auf die Figur Ci­pol­la über­tra­gen? Zur Be­ant­wor­tung die­ser Frage sol­len die Schü­ler selbst­stän­dig nach pas­sen­den Text­stel­len su­chen und damit ihre The­sen ex­em­pla­risch am Text be­le­gen. Diese ge­for­der­te Ei­gen­stän­dig­keit be­rei­tet die Schü­ler vor allem auch dann auf eine mög­li­che Klau­sur vor, wenn diese als eine „Er­ör­te­rung li­te­ra­ri­scher Texte“ ge­stellt wer­den soll (vgl. Kap. 5).

Lö­sungs­hin­wei­se

Ci­pol­la, die Zwie­bel, ist kein ein­deu­ti­ger Cha­rak­ter. Der Künst­ler agiert in un­ter­schied­li­chen Rol­len und die Zu­schau­er be­geg­nen ihm eben­falls auf un­ter­schied­li­che Weise, mal mit Be­wun­de­rung und Fas­zi­na­ti­on, mal mit Ab­scheu und Miss­trau­en. So ge­lingt es Ci­pol­la erst nach und nach, die An­we­sen­den im Saal, die wie be­rauscht sei­ner Dar­stel­lung fol­gen, zu einer Ein­heit ver­schmel­zen zu las­sen. In­so­fern sind ihm Ei­gen­schaf­ten eines Füh­rers zu­zu­schrei­ben, wie Le Bon einen sol­chen be­schreibt. Das Ding­sym­bol sei­ner Herr­schaft, die Reit­peit­sche, aber auch seine pa­trio­ti­schen Reden und seine Lust daran, an­de­re zu de­mü­ti­gen, tun ihr Üb­ri­ges. Zudem ist Ci­pol­la selbst­herr­lich davon über­zeugt, dass es ihm ge­lin­gen werde, das von ihm ge­wünsch­te Er­geb­nis zu er­zie­len, jedem Wi­der­stand zum Trotz. Damit kön­nen sehr wohl Par­al­le­len zu Le Bon ge­zo­gen wer­den, wobei von einer ab­so­lu­ten Gleich­set­zung nicht die Rede sein kann. Den­noch bringt es Ci­pol­la immer wie­der fer­tig, den Wil­len des Ein­zel­nen schein­bar zu bre­chen, ihn ge­fü­gig zu ma­chen. Damit kann das Thema „Frei­er Wille, Sug­ges­ti­on und Hyp­no­se“ di­rekt an­ge­schlos­sen wer­den.

Her­mann Broch

Der ös­ter­rei­chi­sche Schrift­stel­ler Her­mann Broch, im ame­ri­ka­ni­schen Exil eng mit Tho­mas Mann be­freun­det, hat sich eben­falls mit Phä­no­me­nen der Mas­sen­psy­cho­lo­gie be­schäf­tigt.Sehr guten Schü­lern kann bei einer Re­fe­rats­ver­ga­be zum Thema Gus­t­ave Le Bon si­cher­lich auch ein Hin­weis auf Her­mann Broch ge­ge­ben wer­den. Die vor­lie­gen­de Kon­zep­ti­on ver­zich­tet je­doch auf die Aus­wei­tung des The­mas in diese Rich­tung. Kann wei­te­re Un­ter­richts­zeit für die Ein­heit „Tho­mas Mann. Mario und der Zau­be­rer er­üb­rigt wer­den“ (vgl. auch Zeit­pla­nung in den bei­den vor­ge­stell­ten ex­em­pla­ri­schen Cur­ri­cu­la für das Ba­sis­fach Deutsch), so emp­fiehlt sich eine Be­schäf­ti­gung mit Sig­mund Freud (s.u.) für die hier vor­ge­stell­te Ge­samt­kon­zep­ti­on.

Sig­mund Freud

Da die Zeit auch für die bei­den min­des­tens zu wäh­len­den Pflicht­lek­tü­ren im Ba­sis­fach Deutsch be­grenzt ist, muss zwangs­läu­fig eine di­dak­ti­sche Re­duk­ti­on statt­fin­den und eine Aus­wahl unter den mög­li­chen The­men ge­trof­fen wer­den, die mit­un­ter si­cher­lich nicht leicht fällt.
Auf Aus­zü­ge aus „Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se“ von Sig­mund Freud3, die eben­falls ge­winn­brin­gend für psy­cho­ana­ly­ti­sche Deu­tungs­an­sät­ze her­an­ge­zo­gen wer­den kön­nen, zumal Freud darin auch ex­pli­zit auf Le Bons „Psy­cho­lo­gie der Mas­sen“ ein­geht, wird in die­sem Kon­zept be­wusst ver­zich­tet. Op­tio­nal kann dies aber als wei­te­res Re­fe­rats­the­ma und damit zum Trai­ning der Münd­lich­keit her­an­ge­zo­gen wer­den. In­halt­lich lässt sich mit Freud das Thema Hyp­no­se und hyp­no­ti­sche Be­zie­hun­gen noch deut­lich ver­tie­fen. Als Text­stel­le, die hier­bei noch ein­mal auf­ge­grif­fen wer­den soll­te, ist der Schluss zu nen­nen, bei dem Ci­pol­la Mario unter Hyp­no­se ver­setzt (vgl. Mario und der Zau­be­rer, S. 102ff), bis Mario schließ­lich den Zau­be­rer küsst, im Glau­ben es sei Sil­ves­tra (vgl. ebd., S. 105). „Von der Ver­liebt­heit ist of­fen­bar kein wei­ter Schritt zur Hyp­no­se“4 heißt es bei Sig­mund Freud. Die Be­zie­hung zwi­schen Mario und dem Zau­be­rer, die be­reits in Bau­stein 3.3 un­ter­sucht wor­den ist, kann damit noch ein­mal dif­fe­ren­zier­ter be­trach­tet wer­den. Al­ler­dings ist die hier­für be­nö­tig­te Un­ter­richts­zeit im ex­em­pla­ri­schen Stoff­ver­tei­lungs­plan (vgl. Kap. 4) nicht ein­ge­rech­net.

Wei­te­rer Un­ter­richts­ver­lauf und Lö­sungs­hin­wei­se

Im Un­ter­richts­ge­spräch wird zu­nächst das Vor­wis­sen der Schü­ler rund um das Thema „Hyp­no­se“ ab­ge­fragt. Ge­nannt wer­den könn­ten bei­spiels­wei­se be­stimm­te Arten von Ope­ra­tio­nen, die unter Hyp­no­se aus­ge­führt wer­den, der Schwei­zer Psych­ia­ter Bertrand Pic­card mit sei­nen Bal­lon­fahr­ten und So­lar­flug­zeug­flü­gen oder schlicht auch die Rau­cher­ent­wöh­nung mit­tels Hyp­no­se.

Timon von Berlepsch

Pla­ka­tiv und ein­drück­lich sind auch die Film­se­quen­zen des deut­schen Zau­ber­künst­lers Timon von Berlepsch, der eben­falls mit Hyp­no­se ar­bei­tet. Die Re­ak­tio­nen der von ihm hyp­no­ti­sier­ten Talk­show-Gäste (z.B. „ver­gisst“ der Schau­spie­ler Kost­ja Ull­mann unter Hyp­no­se sei­nen ei­ge­nen Namen5) regen den Kurs mit Si­cher­heit zu in­ten­si­ven Dis­kus­sio­nen an und wahr­schein­lich zu der Frage, wie man selbst unter Hyp­no­se re­agie­ren würde.
Wich­tig dabei ist, den Fokus re­la­tiv zügig Rich­tung „Mario und der Zau­be­rer“ zu len­ken. Hier wer­den die Re­ak­tio­nen ein­zel­ner Zu­schau­er (z.B. der junge Mann „Gio­va­not­to“ (vgl. Mario und der Zau­be­rer, S. 42ff), der dem Pu­bli­kum un­frei­wil­lig die Zunge her­aus­streckt und sich spä­ter auf Ci­pol­las Ge­heiß hin vor Schmer­zen krüm­men wird) be­spro­chen und auch die Tat­sa­che, dass Ci­pol­la damit ar­bei­tet, an­de­re Men­schen zu de­mü­ti­gen, sie bloß­zu­stel­len. Damit wird er­neut der Bogen zum Grund­kon­flikt der No­vel­le ge­schla­gen: Men­schen üben auf un­ge­recht­fer­tig­te Art und Weise Macht über an­de­re aus und schrän­ken diese damit in ihrer per­sön­li­chen Frei­heit ein. Auch Mario sieht sich dem Spott des Künst­lers aus­ge­setzt, die De­mü­ti­gung geht je­doch noch weit über das hin­aus, was vor­he­ri­ge „Ver­suchs­per­so­nen“ im Saal er­lei­den muss­ten. Dass Ci­pol­la wis­sent­lich Gren­zen über­schrit­ten hat und damit die Ka­ta­stro­phe mit aus­löst, ist eben­falls eine gute Über­lei­tung zur The­ma­tik der Wil­lens­frei­heit.

1vgl. https://​www.​km-​bw.​de/,Lde/Start­sei­te/Schu­le/Neue+Ober­stu­fe+21 (letz­ter Zu­griff am 29.01.19)

2vgl. Le Bon, Gus­t­ave: Psy­cho­lo­gie der Mas­sen. In der Über­set­zung von Ru­dolf Eis­ler. Ham­burg 2018, 17. Auf­la­ge, S. 30ff, 43ff, 66ff, 111ff, 130f.

3vgl. Freud, Sig­mund: Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se. Ham­burg 2010 (7. Auf­la­ge von 2017). Hier ins­be­son­de­re ist auch das Ka­pi­tel „Ver­liebt­heit und Hyp­no­se“ (vgl. S. 55 – 61) von In­ter­es­se, das eben­falls zum nächs­ten Un­ter­richts­bau­stein über­lei­ten kann. Der Text ist auch beim Pro­jekt Gu­ten­berg im Netz frei zu­gäng­lich: http://​gu­ten­berg.​spie­gel.​de/​buch/​mas​senp​sych​olog​ie-​und-​ich-​ana­ly­se-​934/​1 (letz­ter Zu­griff am 13.02.19)

4ebd., S. 58

5Kur­zer Film­clips die­ser Art kön­nen auf der Home­page des Zau­ber­künst­lers an­ge­schaut wer­den: https://​www.​thi​monv​onbe​rlep​sch.​de (letz­ter Zu­griff: 12.10.18)

 

Mario und der Zau­be­rer – Kon­zep­ti­on: Her­un­ter­la­den [docx][3 MB]

Mario und der Zau­be­rer – Kon­zep­ti­on: Her­un­ter­la­den [pdf][9 MB]

 

Wei­ter zu Frei­er Wille, Sug­ges­ti­on und Hyp­no­se