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Glos­sar, Bio­gra­fi­en und Be­grif­fe

Jung­tür­ken

Die Be­we­gung der Jung­tür­ken ent­stand Ende des 19. Jahr­hun­derts als po­li­ti­sche Re­form­be­we­gung un­ter­schied­li­cher Grup­pen und Denk­rich­tun­gen im Os­ma­ni­schen Reich. Die Jung­tür­ken kämpf­ten in­ner­halb und au­ßer­halb der Staats­gren­zen gegen das Re­gime von Sul­tan Ab­dül­ha­mid II. Viele Jung­tür­ken ver­tra­ten na­tio­na­lis­ti­sche, po­pu­lis­ti­sche, mo­der­nis­ti­sche und po­si­ti­vis­ti­sche An­sich­ten. Zu­nächst fan­den auch An­ge­hö­ri­ge von Min­der­hei­ten in der jung­tür­ki­schen Be­we­gung einen Platz. Ge­mein­sam ge­for­dert wur­den der Sturz des Sul­tans, die Wie­der­ein­set­zung der Ver­fas­sung von 1876 und die Öff­nung bei­der Kam­mern des Par­la­ments. Nach der jung­tür­ki­schen Re­vo­lu­ti­on von 1908 und der Wie­der­ein­set­zung der Ver­fas­sung wurde von jung­tür­ki­schen Vor­den­kern dann aber auch die Syn­the­se von Tür­ken­tum, Islam und Os­ma­nis­mus ver­tre­ten. Schließ­lich setz­te sich in der jung­tür­ki­schen Be­we­gung das Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt durch.

Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt (It­ti­hat ve Ter­ra­ki – ihre Ver­tre­ter wer­den mit­un­ter auch Unio­nis­ten ge­nannt, nach der an­gel­säch­si­schen Be­zeich­nung Com­mit­tee of Union and Pro­gress C.U.P.)

Eine der jung­tür­ki­schen Ge­heim­ge­sell­schaf­ten wurde 1889 unter dem Namen Ko­mi­tee der Os­ma­ni­schen Ein­heit ge­grün­det. An­fang des 20. Jahr­hun­derts ent­stand eine brei­te und un­ein­heit­li­che jung­tür­ki­sche Op­po­si­ti­on gegen Sul­tan Ab­dül­ha­mid II. In die­ser Zeit bil­de­te sich auch das Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt her­aus, das bei der jung­tür­ki­schen Re­vo­lu­ti­on von 1908 eine ent­schei­den­de Rolle spiel­te. Zu­nächst schien das Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt an den re­li­gi­ons­über­grei­fen­den Pa­trio­tis­mus der Tan­zi­mat-Zeit an­zu­knüp­fen. Doch dann setz­ten sich die Ex­po­nen­ten einer na­tio­na­lis­ti­schen Aus­rich­tung durch. An­fang 1913 er­lang­ten die Mit­glie­der des Zen­tral­ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt im Zuge eines Put­sches eine Vor­macht­stel­lung. Viele von ihnen stamm­ten aus Re­gio­nen, die das Os­ma­ni­sche Reich in den ver­gan­ge­nen Krie­gen ver­lo­ren hatte. Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten der Ein­par­tei­en-Dik­ta­tur des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt waren Talaat Pa­scha, Enver Pa­scha und Cemal Pa­scha.

Talaat Pa­scha (tür­kisch Talat Paşa)

Meh­met Talaat (1874–1921), be­kannt als Talaat Pa­scha, bil­de­te zu­sam­men mit Enver Pa­scha und Cemal Pa­scha das jung­tür­ki­sche Tri­um­vi­rat, das wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs das Os­ma­ni­sche Reich in einer Ein­par­tei­en-Dik­ta­tur re­gier­te. Talaat, der zu­nächst als In­nen­mi­nis­ter und schließ­lich von Fe­bru­ar 1917 bis Ok­to­ber 1918 als Re­gie­rungs­chef (Groß­we­sir) am­tier­te, gilt als einer der Haupt­ver­ant­wort­li­chen des Völ­ker­mords an den Ar­me­ni­ern in den Jah­ren 1915/1916.

Talaat wurde im Juli 1874 in der Pro­vinz Edir­ne ge­bo­ren, trat als jun­ger Mann in den Staats­dienst ein und be­gann sich bei den Jung­tür­ken zu en­ga­gie­ren. 1906 zähl­te er zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der jung­tür­ki­schen Par­tei Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt (İtti­hat ve Ter­ra­ki). Nach der jung­tür­ki­schen Re­vo­lu­ti­on 1908 zog Talaat als Ab­ge­ord­ne­ter für das Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt in das Par­la­ment ein. Die Par­tei baute ihren Ein­fluss aus. 1911 wurde Talaat für ei­ni­ge Zeit In­nen­mi­nis­ter. 1913 über­nah­men Talaat und seine Mit­strei­ter Enver Pa­scha und Cemal Pa­scha im Staats­streich die Macht. Enver Pa­scha stell­te die Wei­chen für das Bünd­nis mit Deutsch­land und Ös­ter­reich-Un­garn im Ers­ten Welt­krieg, in den das Os­ma­ni­sche Reich im No­vem­ber 1914 ein­trat. Am 27. Mai 1915 ord­ne­te das In­nen­mi­nis­te­ri­um, dem Talaat vor­stand, die „Ver­schi­ckung“, die Um­sied­lung der Ar­me­ni­er in Klein­asi­en an. Ende Au­gust 1915 er­klär­te Talaat den Auf­zeich­nun­gen des Aus­wär­ti­gen Amtes zu­fol­ge: „La ques­ti­on arménien­ne n’exis­te plus“ (Die ar­me­ni­sche Frage exis­tiert nicht mehr).

Nach Un­ter­zeich­nung des Waf­fen­still­stands­ab­kom­mens flo­hen Talaat, Enver und Cemal aus Is­tan­bul. Talaat reis­te wei­ter nach Ber­lin. Die neue Re­gie­rung in Kon­stan­ti­no­pel for­der­te Talaats Aus­lie­fe­rung, doch die deut­sche Re­gie­rung lehn­te die Aus­lie­fe­rungs­ge­su­che ab. In Ab­we­sen­heit wurde Talaat am 5. Juli 1919 in Is­tan­bul vom Kriegs­ge­richt, das An­kla­ge gegen ihn und wei­te­re Ver­ant­wort­li­che er­ho­ben hatte, wegen sei­ner Rolle bei den Mas­sa­kern an den Ar­me­ni­ern 1915/1916 zum Tode ver­ur­teilt. Am 15. März 1921 wurde Talaat von dem ar­me­ni­schen At­ten­tä­ter So­g­ho­mon Teh­li­ri­an in Ber­lin Char­lot­ten­burg er­schos­sen. Talaat wurde zu­nächst in Ber­lin be­stat­tet. Am 25. März 1943 wur­den seine sterb­li­chen Über­res­te nach Is­tan­bul über­führt. Dort wurde er am „Denk­mal der Frei­heit“ bei­ge­setzt. Auch Enver Pa­schas und Cemal Pa­schas Grä­ber fin­den sich dort.

Is­mail Enver Pa­scha (tür­kisch: Enver Paşa)

Enver (1881–1922) zähl­te zu den Grün­dern des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt. 1914 wurde zum Kriegs­mi­nis­ter er­nannt. Neben Talaat Pa­scha gilt Enver als einer der Ver­ant­wort­li­chen für den Völ­ker­mord an den Ar­me­ni­ern.

Enver Is­mail Enver, ge­bo­ren in Is­tan­bul, schlug nach dem Be­such der Mi­li­tär­schu­le die Of­fi­ziers­lauf­bahn ein. Nach Ab­schluss der Kriegs­aka­de­mie 1902 wurde er zum Ein­satz gegen auf­stän­di­sche Bul­ga­ren nach Ma­ze­do­ni­en ge­schickt. Enver nä­her­te sich der jung­tür­ki­schen Be­we­gung an, deren kri­ti­schen Po­si­tio­nen ge­gen­über dem Sul­tan er teil­te. 1906 stieß er zum Ko­mi­tee für Ein­heit und Fort­schritt. Zwei Jahre spä­ter über­nahm er die Füh­rung in einer von Sa­lo­ni­ki aus­ge­hen­den Mi­li­tär­re­vol­te gegen den Sul­tan, in deren Folge Ab­dül­ha­mid II. die Ver­fas­sung von 1876 wie­der ein­set­zen muss­te. Der Ver­lauf die­ser Er­eig­nis­se be­grün­de­te En­vers hel­den­haf­ten Ruf.

Enver, der be­reits An­fang des 20. Jahr­hun­derts eine pro-deut­sche Hal­tung ein­ge­nom­men hatte, warb für ein Mi­li­tär­bünd­nis mit dem Deut­schen Reich. Von 1909 bis 1911 war er als Mi­li­tär­at­taché an der os­ma­ni­schen Bot­schaft in Ber­lin tätig. Dort baute er seine Be­zie­hun­gen zu deut­schen Ent­schei­dungs­trä­gern aus. Nach sei­nem Ein­satz im ita­lie­nisch-os­ma­ni­schen Krieg in Li­by­en kämpf­te er in den Bal­kan­krie­gen. Ge­mein­sam mit Talaat und Cemal stieg er in die Füh­rungs­spit­ze des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt auf. Das Tri­um­vi­rat ge­lang­te im Ja­nu­ar 1913 in einem Putsch an die Macht und be­grün­de­te die Ein­par­tei­en-Dik­ta­tur des Ko­mi­tees. Enver, der 1914 zum Kriegs­mi­nis­ter er­nannt wurde, ver­trat is­la­mis­ti­sche und pa­nis­la­mis­ti­sche sowie tür­kis­ti­sche und pan­tür­ki­sit­sche Po­si­tio­nen. Sein Ziel war die Rück­erobe­rung ver­lo­re­ner Ge­bie­te des Viel­völ­ker­staats. Be­reits im Som­mers 1914 be­rei­te­te Enver das Os­ma­ni­sche Reich auf einen Kriegs­ein­tritt vor, der schließ­lich im No­vem­ber 1914 er­folg­te. Ihm un­ter­stand die Spe­zi­al­or­ga­ni­sa­ti­on (tür­kisch: Teşkilat-ı Mahsu­sa), die von 1914 zur Un­ter­drü­ckung se­pa­ra­tis­ti­scher Be­we­gun­gen im Reich ein­ge­setzt wurde. Im Ers­ten Welt­krieg spiel­te die Or­ga­ni­sa­ti­on beim Vor­ge­hen gegen die Ar­me­ni­er eine zen­tra­le Rolle.

Nach dem Ers­ten Welt­krieg floh Enver Pa­scha mit Hilfe deut­scher Mi­li­tärs. Wegen sei­ner Mit­schuld am Ar­me­nier­mord im Ers­ten Welt­krieg wurde er 1919 von einem Kriegs­ge­richt in Is­tan­bul zum Tode ver­ur­teilt. Enver hielt sich 1919 zeit­wei­se in Ber­lin auf. An­fang der 1920er Jahre kämpf­te er in Zen­tral­asi­en auf Sei­ten is­la­mi­scher Kräf­te gegen die Rote Armee. Am 4. Au­gust 1922 wurde er in der Nähe von Du­schan­be in Ta­dschi­kis­tan ge­tö­tet und bei­ge­setzt. Nach der Auf­lö­sung der UdSSR wurde sein Leich­nam am 4. Au­gust 1996 nach Is­tan­bul über­führt und in einem Staats­akt auf dem Hügel der Ewi­gen Frei­heit in Is­tan­bul bei­ge­setzt.

Ahmet Cemal Pa­scha (tür­kisch Cemal Paşa)

Cemal Pa­scha (1872–1922) ge­hör­te dem Tri­um­vi­rat des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt an.

Ahmet Cemal, ge­bo­ren auf der Insel Les­bos, schlug in jun­gen Jah­ren die Mi­li­tär­lauf­bahn ein. Als jun­ger Of­fi­zier kam er in Kon­takt mit der jung­tür­ki­schen Be­we­gung. Auch er ge­hör­te zu den Grün­dern des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt. Er nahm am jung­tür­ki­schen Auf­stand von 1908 gegen den Sul­tan teil. 1909 wurde Cemal zu­nächst zum Pro­vinz­gou­ver­neur er­nannt, zu­nächst in der Nähe von Kon­stan­ti­no­pel, dann von der Pro­vinz Adana. 1911 über­nahm er die Po­si­ti­on des Ge­ne­ral­gou­ver­neurs von Bag­dad. Dann war er im Bal­kan­krieg im Ein­satz. Nach dem Putsch des Ko­mi­tees für Ein­heit und Fort­schritt wurde er zum Ma­ri­nemi­nis­ter er­nannt. Im Ers­ten Welt­krieg über­nahm er die mi­li­tä­ri­sche Füh­rung der os­ma­ni­schen Trup­pen im Nahen Osten. Er am­tier­te als Mi­li­tär­be­fehls­ha­ber und Ge­ne­ral­gou­ver­neur von Sy­ri­en, als die aus Klein­asi­en de­por­tier­ten Ar­me­ni­er in die sy­ri­sche Wüste ge­trie­ben wur­den.

Nach dem Ers­ten Welt­krieg floh Cemal mit Hilfe deut­scher Mi­li­tärs aus dem Os­ma­ni­schen Reich. Wie Talaat Pa­scha und Enver Pa­scha wurde er 1919 wegen sei­ner Rolle im Ar­me­nier­mord vom Kriegs­ge­richt in Is­tan­bul in Ab­we­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Seine Flucht führ­te ihn kurze Zeit nach Ber­lin. Er woll­te die af­gha­ni­sche Armee im Kampf gegen die Bri­ten un­ter­stüt­zen. Am 21. Juli 1922 wurde Cemal im ge­or­gi­schen Tif­lis von ar­me­ni­schen At­ten­tä­tern er­schos­sen.

Mil­let-Sys­tem

Das Mil­let-Sys­tem war eine re­li­gi­ös de­fi­nier­te Rechts­ord­nung im Os­ma­ni­schen Reich. An­ge­hö­ri­ge nicht-mus­li­mi­scher Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten hat­ten da­nach An­spruch auf den Schutz des Sul­tans. Vor­aus­set­zung war, dass sie Steu­ern ent­rich­te­ten. In­ner­halb der je­wei­li­gen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten ver­füg­ten sie über ge­wis­se Rech­te, ei­ge­ne An­ge­le­gen­hei­ten selbst zu re­geln. An­er­kann­te Min­der­hei­ten waren ent­spre­chend ihrer Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft in Mil­lets or­ga­ni­siert. Es gab im Os­ma­ni­schen Reich eine or­tho­do­xe Mil­let, ar­me­ni­sche Mil­lets und eine jü­di­sche Mil­let. Im 19. Jahr­hun­dert er­folg­te im Zuge der Tan­zi­mat-Re­for­men par­al­lel zum re­li­gi­ös be­grün­de­ten Mil­let-Sys­tem nun auch die recht­li­che Gleich­stel­lung aller os­ma­ni­schen Un­ter­ta­nen.

Ar­me­ni­sche Par­tei­en

Die Ar­me­ni­sche Re­vo­lu­tio­nä­re Fö­de­ra­ti­on wurde 1890 in Ge­or­gi­en durch den Zu­sam­men­schluss ver­schie­de­ner ar­me­ni­scher Grup­pie­run­gen ge­grün­det. Die Par­tei, deren Mit­glie­der Da­schna­ken ge­nannt wur­den, ver­stand sich als Teil der so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung. Zu­gleich ver­trat sie die na­tio­na­len In­ter­es­sen der Ar­me­ni­er im Os­ma­ni­schen und im Rus­si­schen Reich. Be­reits zuvor, 1887 in Genf, war die so­zia­lis­ti­sche Hunt­schak-Par­tei ge­grün­det wor­den. Die Par­tei, die sich zu­nächst als Ge­heim­ge­sell­schaft for­miert hatte, setz­te sich für einen un­ab­hän­gi­gen ar­me­ni­schen Staat ein und be­für­wor­te­te auch ge­walt­tä­ti­ge Maß­nah­men, um die­sem Ziel näher zu kom­men.

Deir-ez-Zor

In der Re­gi­on Deir-ez-Zor im Eu­phrat-Tal in der sy­ri­schen Wüste lagen die Ster­be­la­ger, in die die Ar­me­ni­er ge­trie­ben wur­den. Die De­por­ta­tio­nen und To­des­mär­sche führ­ten über Alep­po oder ent­lang des Eu­phrats in die Re­gi­on, in der ca. 20 Lager lagen, die keine Mög­lich­kei­ten zur An­sied­lung boten. Hans-Lukas Kie­ser be­schreibt die Ab­schie­bung der Ar­me­ni­er Klein­asi­ens in die Wüs­ten Sy­ri­ens als eine „be­wuss­te Ver­schi­ckung in den Tod“. In Er­in­ne­rung an die hun­dert­tau­sen­den von Opfer die­ser Ver­schi­ckung wurde 1990 in Deir-ez-Zor eine Ge­denk­stät­te ge­weiht. Jah­re­lang wurde sie von vie­len Ar­me­ni­ern be­sucht. Im Sep­tem­ber 2014 haben IS-Kämp­fer die Ge­denk­stät­te zer­stört.

 

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Wei­ter zu Li­te­ra­tur