Interview mit der Christin Bettina W.
Material 1.4a
Erzähl mal…
1. Was bedeutet für dich Glaube?
Halt, Ziel. Und Liebe. Was auch immer das beinhaltet. Du fragst ja nicht, was bedeutet für mich Gott, sondern Glaube. Und dieser Glaube ist für mich ein Halt, dass ich nicht alleine alles bestimmen kann und muss. Es ist für mich eine Erleichterung. Und auch die Liebe, die im Menschen drin ist.
2. Was würde dir ohne ihn fehlen?
Dieses Getragen-Sein. Ich zweifle oft, aber ich könnte mir nicht vorstellen, wenn es nicht wäre. Ich möchte nicht ohne Glauben sein. Die Frage ist schwer zu beantworten. Aber mir würde da was fehlen: Halt und Perspektive. Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
3. Wie hast du deinen Glauben „gelernt“?
Durch meine Eltern, meine Großeltern, meine Erziehung. Eigentlich auch durch unseren damaligen Pastor. Und als Kindergottesdienst war, wollte ich da immer hin. (nachgehakt: Kannst Du dazu noch mehr erzählen: Waren das mehr Gespräche?) Als ich 14 alt war, war die Frage, ob ich Konfirmation oder Jugendweihe mache. Und ich hatte kein gutes Gefühl bei der Jugendweihe, weil sich das in einem Punkt ja entscheidend widerspricht. Ich fand das nicht richtig. Mein Glaube hat mir gesagt, das ist nicht in Ordnung. Ich habe da viel mit dem Pastor gesprochen. Und meine Lehrerin in der Schule sagte, dass es ja wohl selbstverständlich sei, dass alle in der Klasse zur Jugendweihe gehen und da habe ich mich gemeldet und gesagt: nein, ich mache die Konfirmation. Und das habe ich dann zu Hause erzählt und da haben meine Eltern gesagt, das kannst Du nicht machen. Du kannst nicht gegen den Strom schwimmen, Deinen Glauben kannst du ja trotzdem haben. Das fand ich nicht richtig, aber ich habe dann doch die Jugendweihe gemacht auf Wunsch meiner Familie. Ich bin dann wieder zur Lehrerin gegangen und habe gesagt, dass ich doch die Jugendweihe nehme, und da hat sie gesagt, dass sie dafür Verständnis habe, weil ich ja auf dem Dorf lebe und die Alten das erwarten [Anm.: Konfirmation statt Jugendweihe] und darauf erwiderte ich: „Nein, es ist gerade umgekehrt.“
Als mein Opa Krebs überlebt hatte und wir daheim das gute Ergebnis bekommen haben, hat mein Vater eine Flasche Sekt geöffnet und gesagt: darauf wollen wir anstoßen und Gott danken. Also Gott war immer dabei. So habe ich das empfunden. Es wurde immer mittags gebetet.
Besonders mein Vater. Als meine kleine Tochter einst schwer krank war, sind wir vor dem Krankenhaus immer zu meinen Eltern gefahren und da hat mein Vater uns gefragt: „Wollen wir zusammen beten?“
4. Welche(s) religiöse Fest / Ritual / Tradition ist dir am wichtigsten geworden? Warum?
Das Weihnachtsfest. Weil daran so schöne Erinnerungen hängen. Viel gesungen. Dass die ganze Familie zusammenkam – Onkel, Tanten, beide Großeltern. Wir wohnten ja alle auf einem Hof und im Dorf alle zusammen. Dann erhob mein Vater das Glas und vor dem Anstoßen gedachten wir der Verstorbenen, an die, die an diesem Weihnachten nicht dabei sein können. Das möchte ich auch weitergeben. Es ist wichtig, dass man das behält.
5. Gibt es einen Bibelspruch / einen Liedvers, der dich besonders begleitet hat? Erzähl mal.
Ja, ein Spruch, ich glaube es ist eine Liedstrophe (Paul Gerhards „Befiehl Du Deine Wege“, Strophe 6):
Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
Als ich meine Depressionen hatte, habe ich im Krankenhaus auch immer die Losungen gelesen und an einem Morgen stand da dieser Satz und das war für mich wunderbar. In meiner Erkrankung hatte ich oft das Gefühl: ich sehe die Sonne, aber ich spüre sie nicht. Und nun war hier dieser Satz von der Hoffnung und die Zusage: Du wirst das wieder erblicken. Ich weiß noch, dass ich mich da total angesprochen gefühlt habe und dass ich gleich zu einer Dame, die mit mir im Zimmer war, gesagt habe: Das ist unser Satz! Und dann habe ich den ihr laut vorgelesen, obwohl ich gar nicht wusste, ob die gläubig war oder nicht.
Wichtig ist mir auch: „Am Ende bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung. Aber die Liebe ist die größte.“ Und: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1. Kor 13)
Das ist für mich wichtig, weil ich so vieles nicht verstehen kann. Glaube ist für mich die Hoffnung, dass sich am Ende alles fügt, weil ich oft Gottes Wege gar nicht verstehe. Als Kind verstehe ich ja auch so vieles nicht. Wenn ich da einen großen Teller mit Süßigkeiten habe und ich darf mir einen Bonbon nehmen und ich denke, du möchtest ja noch drei Bonbons haben oder fünf. Dann denke ich als Kind: die stehen da und warum gibt mir meine Mutter die nicht? Aber als Mutter weiß ich, dass es nicht gut für das Kind ist, wenn es so viele Bonbons isst. Und so, denke ich, ist das auch mit Gott. Dass ich manches nicht verstehe, aber Gott weiß es. Und am Ende, von Angesicht zu Angesicht, verstehe ich es vielleicht. Das ist mir wichtig. Das ging mir öfter im Leben so, dass ich im Nachhinein dachte: siehst du, das hat seinen Grund gehabt.
6. Gibt es ein besonderes Erinnerungsstück, einen Gegenstand oder ein Schmuckstück oder Ähnliches, das deinen Glauben zeigt?
Da habe ich nichts Festes. Eventuell die Losungen, weil ich darin schon lange lese und weil mich das eine Wort daraus unmittelbar angesprochen hat.
7. Wann ist dir Gott besonders nah?
Wenn ich froh bin. Dann denke ich: Schön, lieber Gott, dass es heute so ist. Dann spüre ich richtig, dass ich „Danke, lieber Gott!“ sagen muss. Das sind ganz kleine Sachen, aber die kommen dann tief aus mir. Aber ich muss auch sagen, Gott ist nicht immer in schweren Zeiten da. Da finde ich oft den Draht nicht zu Gott, weil vielleicht zu viel anderes in meinem Kopf ist. Aber im Nachhinein empfinde ich immer, dass ich die Kraft hatte und getragen wurde.
Aber ich hatte in meinem Leben auch keine tiefen Einschläge. Ich denke oft, dass meine Kinder Gotteskinder sind – wirklich Geschenke von Gott, weil sie so anders sind als ich und mein Mann: tough und selbstbewusst. Das habe ich nie erwartet und nie geglaubt. Sie haben das, was ich immer für mich erhofft habe und nie konnte. Und dann danke ich, wo kommt denn das her? Das kann nur von Gott kommen.
8. Ist dir das Gebet wichtig? Hast du da einen festen Ablauf oder ist das ganz frei?
Ja, das Gebet ist mir wichtig. Es ist aber ganz unterschiedlich. Manchmal bin ich abends richtig froh, wenn ich beten kann. Dann bete ich, was ich denke. Und manchmal habe ich auch keine Lust, aber dann denke ich: aber wenigstens ein Vaterunser spreche ich noch. Das Abendgebet ist ein festes Ritual. In meinem Gebet stelle ich Gott viele Fragen, zum Beispiel, ob ich meinen verstorbenen Mann wohl wiedersehe – da bin ich mir unsicher, weil ich denke, er hat ja nicht so fest geglaubt. Das sind vielleicht kindliche Fragen, aber die stelle ich Gott, weil mich das beschäftigt. Und dann rede ich darüber auch mit Freundinnen, die zum Beispiel auch ihren Mann schon verloren haben. Das Gebet ist mehr für mich und meine Fragen, weniger eine Fürbitte für andere – manchmal – aber vorwiegend wichtig ist mir, meine Fragen und Sorgen Gott zu sagen. Dann ist mir aber am Ende wichtig, alles in Gottes Hand zu legen und zu sagen: Nicht wie ich will, sondern wie du willst, soll es geschehen. Ich bitte um Beistand. Bei den Mahlzeiten bete ich natürlich auch, aber das ist so nebenbei, aber es ist mir dennoch
wichtig.
9. Welche Rolle spielt der Glaube in deinem Alltag? Wie zeigt er sich?
Das habe ich schon beantwortet, finde ich.
10. Wann hattest du an deinem Glauben besonders zu knabbern gehabt?
Ja, das ist nicht so einfach. Im Moment denke ich immer, dass so wenig in die Kirche gehen, dass alles weniger wird. Daran habe ich zu knabbern. Dann kommen Zweifel auf. Ich knabbere nicht an meinem Glauben durch Schicksalsschläge.
Was mich an Gott zweifeln lässt, ist das, was mit den Juden passiert ist. Dieses viele Leid seines Volkes, das er sich ausgesucht hat. Das verstehe ich nicht. Dass Menschen so sehr leiden müssen. Darauf finde ich keine Antwort. Da kriege ich auch Angst vor.
11. Wann fühltest du dich von deinem Glauben besonders getragen?
Als die Familie zusammenhielt in der Zeit, als mein Mann gestorben ist – alle waren da, mein Mann brauchte nicht ins Krankenhaus und wir haben uns gemeinsam verabschiedet – das habe ich als Geschenk Gottes erlebt.
Und dann noch früher, als wir von unserem gemeinsamen Familienhof gezogen sind: das fiel mir sehr schwer, weil das gegen die übliche Tradition war, aber wir hatten uns auf dem Hof nicht mehr so gut verstanden. Und dann habe ich richtig gesucht nach Antworten, ob das so richtig ist. Und dann habe ich in der Bibel die Geschichte von Abraham und seinem Neffen gelesen, worin steht, dass es nicht gut ist, so eng zusammen zu sein, sondern dass es besser ist, wenn jeder seinen Teil hat, und Abraham hat seinem Neffen sogar das gute Teil Land gegeben. Jedenfalls haben sie sich darauf geeinigt, sich zu trennen. Und diese Stelle hat mir geholfen, damit Frieden zu finden. Das habe ich mir dann in unserer Familienbibel auch unterstrichen.
12. Gab es ein besonderes Erlebnis oder einen bestimmten Moment, der für dich und deinen Glauben besonders wichtig war?
Dieser Satz im Krankenhaus. Das war damals wirklich so. Das fand ich direkt mir zugesprochen.
Auch bei der Entbindung meiner Kinder: das empfand ich als riesiges Wunder. Ich dachte danach: du bist eine Prinzessin, so etwas geschenkt zu bekommen. Ich hatte aber nie eine bestimmte Begegnung gehabt, wie bei Luther. Ich habe noch nie das Empfinden gehabt: Das ist jetzt ein Zeichen. Außer: bei diesem Liedvers. Oft habe ich das Gefühl im Nachhinein, dass Gott da seine Finger im Spiel hatte. Es ist schon für meinen Glauben eine Herausforderung und ich denke, schade, dass sich Gott nicht mal öfter zeigt. So wie bei manchen, die eine richtige Offenbarung hatten, eine Begegnung. Bekannte von mir hatten das, aber ich hatte nie das Gefühl: das war jetzt ein Zeichen.
13. Warum bist du eigentlich Christin (geblieben)? Hast du auch mal über eine andereReligion nachgedacht?
Nein. Habe ich nicht. Das einzige ist, dass Gott für mich sehr wichtig ist, aber dass ich auch meine Zweifel an Jesus habe. Der Satz „Keiner kommt zum Vater, denn durch mich“ – das klingt schon hart, finde ich. Aber eine andere Religion kam für mich nie in Frage.
14. Waren deine Eltern „religiöser“ als du?
Das ist schwer zu beantworten. Wir haben nicht so sehr über Religion gesprochen – damit wurde sich nicht so auseinandergesetzt – einerseits ist das vielleicht auch eine Frage der Bildung, andererseits war es zu DDR-Zeiten auch verpönt, über den Glauben zu reden – das wurde immer gleich lächerlich gemacht, auch in der Schule oder auf der Arbeit.
15. Was hast du im Hinblick auf Glauben/Religion in der Erziehung deiner Kinder anders gemacht als deine Eltern? Was hat sich deiner Meinung nach verändert?
Mit Gott zu drohen, wenn man etwas falsch gemacht hat. Das hat meine Mutter öfter
gemacht und das fand ich nicht gut.
16. Für Jugendliche ist es oft eine große Herausforderung, Glaube und Naturwissenschaft zusammenzubringen. Was denkst du darüber?
Das hat mich früher sehr beschäftigt. Wie passen biologische und religiöse Menschwerdung zusammen? Das ist für mich schon auch eine bleibende Herausforderung. Aber zugleich bringen mich neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vom Glauben ab, weil ich finde, dass sie wieder weitere Fragen eröffnen. Ich habe den Eindruck, dass es etwas Unabgeschlossenes bleibt. Es bleibt ein Geheimnis. Leben nach dem Tod – unvorstellbar, aber ohne das wäre es genauso gruselig. Und eigentlich ist es ja so, alles ist so geschaffen, dass es nie weg ist: Wasser ist ja nie weg, sondern verdampft. In irgendeiner Form ist dieser Kreislauf immer da. Es ist nie nichts. Nichts ist nicht. Man vergeht nicht. Man kann nicht sagen, wenn ich sterbe, ist nichts da. In der Bibel steht ja auch: „Wer nicht glaubt wie ein Kind…“ - und das denke ich manchmal auch, dass man dann alles in Frage stellt – werde ich nie eine ganze Antwort kriegen. Ich versuche aber immer Antworten zu finden.
17. Welche Bedeutung hat die Bibel für dich?
Ich erkenne in der Bibel eine große Weisheit. Ich habe aber auch viele Anfragen, vor allem kriegerische Geschichten fallen mir schwer oder gewisse Wundererzählungen. Ich bin auf der Suche und deshalb lese ich in den Losungen. Wichtig ist mir eine gute Predigt im Gottesdienst. Das ist für mich nicht nur so nebenbei, das ist mir wichtig, dass es gut ausgelegt ist und ich etwas mitnehme.
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19. Welche Bedeutung hat Jesus für dich?
Für mich steht Gott im Zentrum. Ich bete auch eher zu Gott als zu Jesus. Jesus ist für mich eine herausragende Person. Wie schon von ihm berichtet wird als Kind im Tempel, das ist auffällig. Er ist göttlich. Die Auferstehung ist mir wichtig. Ich glaube auch, dass das so wahr ist, weil es so ungewöhnlich ist – etwas, das ja auch die Christen so nicht erwartet haben, sie waren ja erstmal enttäuscht. Ich glaube, dass Jesus außergewöhnliche Kraft hatte, weil er seine Kraft nicht zur Überzeugung anderer eingesetzt hat.
20. Was ist dir wichtig, von deinem Glauben / von deiner Religion weiterzugeben (eine bestimmte Grundüberzeugung, eine besondere Tradition, ein bestimmtes Ritual, ein bestimmter Wert)? Was soll bleiben?
Mir sind gewisse Grundlagen wichtig: Glaube, Taufe, Christenlehre, Konfirmation. Eine Überzeugung im Glauben ist mir wichtig: Gott ist die Liebe und dass man immer wieder neu anfangen kann vor Gott, Gott vergibt, wenn ich mich in etwas verrannt habe. Ich sehe in meinem Glauben an Gott auch ein Leitbild, das alles überdauert hat (die zehn Gebote, Grundsätze der Liebe), die ich nur im Glauben finde. Ich weiß, wenn ich mich an diese Sachen halte, dann finde ich Freiheit. Diese Grundsätze haben für mich auch überdauert: Nationalsozialismus, auch den Kommunismus. Die religiösen Grundlagen aber sind immer gleich geblieben.
21. Welchen Rat gibst du mir für mein Leben?
Dass man auf die Liebe / das Gute schauen soll und nicht im Bösen auseinandergehen soll. „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Guten.“
Ganz herzlichen Dank für deine Zeit, diese Fragen zu beantworten, und für deine Bereitschaft, von deinem Glauben und deiner Religion zu erzählen!
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