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Interview mit der Muslimin Elif B.

Material 1.4c

Erzähl mal…

1. Was bedeutet für dich Glaube?

Glaube bedeutet für mich Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen. Das Vertrauen darauf, dass alles eine Ordnung hat, noch so verzwickt es erscheinen mag. Sicherheit, weil mir mein Glaube Rückhalt gibt und Geborgenheit, da der Glaube einem die Einsamkeit nehmen kann.

2. Was würde dir ohne ihn fehlen?

Ich sehe den Glauben nicht als getrennt von mir an. Der Glaube gehört zu mir und durchzieht meinen ganzen Charakter, meine Persönlichkeit, meine Einstellung im Leben etc. Ohne Glauben wäre ich vermutlich nicht dieselbe Person, die ich aktuell bin. Zwar auch nicht komplett unterschiedlich, aber immerhin anders. Ich glaube, mein Glaube macht mich zu einer empathischeren Person, als ich es sonst wäre, denn Glaube geht doch mit ganz vielen Gefühlen einher.

3. Wie hast du deinen Glauben „gelernt“?

Meinen Glauben habe ich zunächst durch meine Familie gelernt. Also erstmal durch das Vorgelebt-Bekommen und Beobachten. Mit zunehmendem Alter habe ich angefangen selbst Fragen zu stellen und zu reflektieren. Auf diese Weise habe ich den Glauben immer mehr verinnerlicht.

4. Welche(s) religiöse Fest / Ritual / Tradition ist dir am wichtigsten geworden? Warum?

Das fünfmalige tägliche Gebet zählt zu den fünf Säulen des Islam und ist mir am präsentesten und damit eines für mich am wichtigsten, wenn es um das religiöse Leben geht. Es zieht mich aus dem manch[mal] hektischen Alltag heraus und erinnert mich an Gott, das Jenseits und den eigentlichen Sinn in meinem Leben.

5. Gibt es einen Satz aus dem Koran / einen Liedvers, der dich besonders begleitet hat? Erzähl mal.

Sure 94, Vers 5: „Wahrlich, mit der Erschwernis gibt es eine Erleichterung,“ Dieser Vers schafft es, mich in schwierigeren Situationen zu beruhigen, und gibt mir allein durchs Rezitieren schon eine gewisse Leichtigkeit mit.

Der Koran wurde im Übrigen nicht auf einmal, sondern innerhalb von 23 Jahren offenbart. Alle Verse wurden also nach einem bestimmten Anlass, als Anleitung von Gott, offenbart. Mich ergreifen die Koranverse daher auch am meisten, wenn ich den Kontext zu den Versen kenne und sie so noch tiefer, bzw. besser verstehen kann.

6. Gibt es ein besonderes Erinnerungsstück, einen Gegenstand oder ein Schmuckstück oder Ähnliches, das deinen Glauben zeigt? (Kannst du davon für mich ein Bild machen und etwas dazu schreiben?)

Möglicherweise mein dünner Gebetsteppich, den ich immer bei mir trage, falls ich das Gebet doch mal draußen verrichten muss.

7. Wann ist dir Gott besonders nah?

Gott ist allgegenwärtig und durch dieses Bewusstsein verspüre ich die Nähe eigentlich immer. Sowohl in verletzlicheren Momenten als auch in glücklichen Momenten ist diese Verbundenheit daher stets da. In schlechten und schwierigen Zeiten hilft der Glaube sehr und kann kräftigend wirken. Theologisch gesehen ist man darüber hinaus Gott beim Niederknien im rituellen Gebet am nahsten.

8. Ist dir das Gebet wichtig? Sprichst du neben dem rituellen Gebet auch freie Gebete?

Das Gebet ist mir sehr wichtig. Freie Gebete spreche in den ganzen Tag über verteilt, dabei meine ich einfache Sätze wie: „Lieber Gott, hilf mir bitte den Tag zu überstehen“ oder „Lieber Gott, hoffentlich kriege ich den nächsten Zug noch.“ Oft nehme ich mir auch extra Zeit, um den Koran zu lesen oder weitere Gebete zu tätigen usw.

9. Welche Rolle spielt der Glaube in deinem Alltag? Wie zeigt er sich?

Der Glaube in meinem Alltag zeigt sich durch das rituelle Gebet, durch ein Kopftuch, das ich trage, und hoffentlich etwas durch mein Verhalten und meinen Charakter, der leider aber noch nicht ansatzweise die Schönheit meiner Religion widerspiegeln kann.

10. Wann hattest du an deinem Glauben besonders zu knapsen gehabt?

Mit meinem Glauben an sich hatte ich bisher noch nicht wirklich zu knapsen. Es gibt aber selbstverständlich Themen, die mich mal länger beschäftigen und denen ich auch noch mehr nachgehen will. Dann nehme ich mir auch die Zeit.

11. Wann fühltest du dich von deinem Glauben besonders getragen?

Mein Glauben trägt mich eigentlich immer, da es mit dem Bewusstsein einhergeht, dass sowohl das Leid auch die Freude im Diesseits vergänglich ist.

12. Gab es ein besonderes Erlebnis oder einen bestimmten Moment, der für dich und deinen Glauben besonders wichtig war?

Für mich sind die kleinen Momente, die im Inneren passieren, doch die tragendsten.

13. Warum bist du eigentlich Muslimin (geblieben)? Hast du auch mal über eine andere Religion nachgedacht?

Der Islam erfüllt alle meine Anforderungen, weshalb ich noch nie das Bedürfnis hatte, nach anderen Religionen zu suchen. Allerdings finde ich es elementar, sich dennoch mit anderen Religionen zu beschäftigen, da es bereichernd ist und auch hilft, die eigene Religion besser zu verstehen. Reflektieren ist immer gut und den Austausch und Dialog schätze ich sehr.

14. Waren deine Eltern „religiöser“ als du?

Wie misst man das, möchte ich fragen? Anhand der Durchführung der Rituale? Was ist dann mit der Verinnerlichung des Glaubens? Ich finde Klassifizierungen immer schwierig und problematisch. Sie sind Muslime und ich bin es auch.

15. Was hast du im Hinblick auf Glauben/Religion in der Erziehung deiner Kinder anders gemacht als deine Eltern oder was würdest du anders machen? Was hat sich deiner Meinung nach verändert?

Ich glaube, wir stellen mehr Fragen, als es früher üblich war. Vieles hat man in der Vergangenheit - dabei denke ich an die Generation meiner Großeltern - traditionsmäßig übernommen. Tradition und Religion sind daher etwas vermischt worden. Die Generation meiner Eltern konnte das etwas aufbrechen und hat sich auch intensiver mit verschiedenen Fragestellungen beschäftigt. Wir haben nun das Glück, dass wir noch klarer diese Unterscheidung aufzeigen können. In Sachen religiöser Erziehung wurde ich aber relativ frei erzogen. Mir wurde nichts aufgezwungen, sondern lediglich vorgelebt. Das möchte ich gerne so weitertragen.

16. Für Jugendliche ist es oft eine große Herausforderung, Glaube und Naturwissenschaft zusammenzubringen. Was denkst du darüber?

Ich verstehe, dass es für manche eine Herausforderung sein kann und sie Glaube und Naturwissenschaft als konkurrierend werten. Für mich schließen sie einander aber nicht aus.

17. Welche Bedeutung hat der Koran für dich?

Der Koran ist Gottes Wort, das durch den Engel Gabriel an den Propheten Muhammad offenbart wurde. Es bedeutet Rechtleitung für mich und zeigt mir meinen Weg.

18. Welche Gestalt aus deiner religiösen Tradition ist dir besonders lieb, besonders wichtig?

Wie vermutlich für viele Musliminnen und Muslime, ist es der Prophet Muhammad. Er stellt das Siegel der Propheten dar. Die Gewichtung, die ihm Gott gibt, ist unglaublich hoch. Die Schilderungen über sein Leben sind einzigartig. So heißt es im Koran z.B., dass Musliminnen und Muslime beten sollen, doch nur durch den Propheten Mohammed wissen wir, wie dieses Gebet zu verrichten ist.

19. Welche Bedeutung hat aus deiner Sicht die Person Jesus?

Die Person Jesu, im Arabischen Isa, hat im Islam eine zentrale Bedeutung. Er zählt zu den wichtigsten Propheten und wird in mehreren Versen erwähnt. Ihm wird aber keine Göttlichkeit zugesprochen, er ist also im Islam reiner Mensch.

20. Was ist dir wichtig, von deinem Glauben / von deiner Religion weiterzugeben (eine bestimmte Grundüberzeugung, eine besondere Tradition, ein bestimmtes Ritual, ein bestimmter Wert)? Was soll bleiben?

Gott ist barmherzig und gerecht. Alle Menschen können friedvoll zusammenleben, so wie es auch schon der Prophet vorgelebt hat.

21. Welchen Rat gibst du mir für mein Leben?

Es ist wichtig, Menschen zu begegnen und dabei selbstreflektierend zu agieren. Die fehlende Begegnung schafft manchmal nämlich Ängste und Vorurteile. Aus diesem Grund danke ich dir, dass du dir Zeit genommen hast, um meine Antworten durchzulesen. Versuche weiterhin stets vorurteilsfrei an jede Person heranzutreten.

Ganz herzlichen Dank für deine Zeit, diese Fragen zu beantworten, und für deine Bereitschaft, von deinem Glauben und deiner Religion zu erzählen!

Interviews für optionale Stunde 6: Herunterladen [pdf][404 KB]

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