M4.2 Transkript: SRF Kultur, Sternstunde Religion: Schätze der Spiritualität
Olivia Röllin im Gespräch mit Anselm Grün und Ahmad M. Karimi (17:57 – 42:00) YouTube
17:57
… haben viel über die Spiritualität in der Gesellschaft geredet. Jetzt würde mich interessieren: Was haben Sie für einen Bezug zur Spiritualität? Was ist das für Sie?
K: Ja, also, die islamische Perspektive ist eigentlich unglaublich reizvoll, weil die mystisch-spirituelle Tradition des Islams ist eigentlich keine Randbewegung: so als hätte man den klaren Islam, den orthodoxen Islam und daneben gäbe es auch noch irgendwelche verrückte Persönlichkeiten, Figuren, die auch spirituell waren. Genauso ist es nicht. Sondern schon sehr früh beginnt so etwas wie die Verbindung zwischen Geist und Geistigkeit. Ich glaube, eine der ersten großartigen Persönlichkeiten islamischer Provenienz, die gerade das vollzogen haben in ihrer eigenen Person und Werk, ist Avicenna, der so etwas wie Denken – also wirklich aristotelische Logik, und Geistigkeit miteinander verbindet. Und danach dann, Sie müssen schauen, da gibt es dann eigene Traditionen und unterschiedliche Formen, wie diese Geistigkeit artikuliert wird, z.B. durch Liebesmystik. Aber auch durch Erkenntnismystik. Oder auch durch Ekstase. Es gibt unterschiedliche Formen und Ausprägungen dieser Geistigkeit (arabisch: …) das ist wirklich etwas, was nicht materiell ist. Also dasjenige, was das Materielle überschreitet. Genau das ist etwas, was ganz bewegend wird und auch bereits koranisch grundgelegt ist: (…) Gott haucht von seinem eigenen Geist in Menschen hinein, damit sie zum Leben erweckt werden. Wir hören Seele, Geist als Prinzip des Lebens, etwas, was wir auch aus der griechischen Tradition kennen. Das ist etwas, was Muslime dann unglaublich bewegt und sie fragen: Wie ist unsere Begegnung mit Gott genau artikuliert, also, wie erreiche ich Gott in dieser Welt und über diese Welt hinaus? Was muss ich tun, damit mein Leben gerade aus und in der Begegnung Gottes verwirklicht wird? Und auf diesem Weg zu sein, scheint Spiritualität im Islam zu begründen.
20:30
Und wie ist das für sie persönlich, dieser Weg, wie kommen Sie dahin?- Was ich ganz interessant finde: In mehreren Ihrer Bücher schreiben Sie von Rilke, von den Gedichten von Rainer Maria Rilke, und Sie schreiben sogar von einer „Rilke-Sucht“, jedenfalls nennen Sie das in Ihrer Autobiografie so. (…) Was hat Rilke mit Ihrer Religiosität zu tun?
K.: Ja, „wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt?“, sagt Rilke. Rilkes Sprache, Rilkes Tiefe hat mich schon sehr früh bewegt. Als ich so langsam anfing, Deutsch zu lernen, (…) war Rilke mein Begleiter. Jemand, der unglaublich herausfordernd ist. Aber Sie merken auch: Ich hab nicht danach gesucht, ob er Rainer Maria Rilke heißt oder Abu Rilke. Mir ist der Name vollkommen egal… Wichtig ist das Gesagte, wie Rilke die Wirklichkeit beschreibt, wie Rilke meine Gefühle in Anspruch nimmt, was Rilke in mir öffnet. – Dann ist es eigentlich egal, dass er Rilke heißt, dass er vielleicht nicht unbedingt eine islamische Figur ist – obgleich er sehr vom Islam begeistert ist, seine ganzen Engelbilder… sind aus dem islamischen Kontext entnommen…. Das ist etwas, was meine eigentliche Liebe zu dieser Tradition geweckt hat. Ich bin in der Tat ein Mystiker, gefangen im Körper eines Philosophen. Und aus diesem Körper kann ich nicht raus.
Das ist aber ein schönes Leben. (Zu Grün) Was würden Sie dazu sagen? Können Sie jetzt mit Poesie und Spiritualität, Religiosität, können Sie da auch damit was anfangen?
G: Natürlich… das Christentum hat ja eine ganz große mystische Tradition. … angefangen von Paulus oder Lukas und den Kirchenvätern. Da ist für mich wichtig die Erfahrung Gottes, dass ich nicht nur über Rechthaberei und Theologie spreche, sondern: Wie kann ich die Erfahrung Gottes formulieren? Für mich heißt Spiritualität einmal, in den Grund der Seele kommen, in den inneren Raum der Stille, wo Gott in mir wohnt. Dieses „Gott-in-mir“ spüren. Das ist auch zugleich Lebenshilfe, weil ich da frei bin von den Erwartungen der Menschen. Da können auch die verletzenden Worte nicht hindringen. – Das ist der eine Aspekt. Und das andere ist: Spiritualität heißt für mich, immer durchlässiger zu werden für den Geist Jesu. Also etwas – Jesus sagt ja: „ihr seid das Licht der Welt“ – die Frage, was strahlt von mir aus? – Es ist interessant, dass das „Licht der Welt“ bei Matthäus mehr moralisch gedeutet wird: die Leute erkennen an den guten Taten, dass wir Licht der Welt sind. Bei Lukas mystisch: Er sagt: Das Auge ist das Licht des Körpers. Und wenn das Auge einfach ist, dann ist der ganze Körper einfach. Nicht also, wenn alles in mir vom Licht Gottes, vom Licht Christi durchdrungen ist, dann strahlt auch etwas aus. Und das ist für mich das Ziel von Spiritualität: etwas auszustrahlen in dieser Welt. Und das ist der lebenslange Weg der Verwandlung: sich von diesem Geist prägen zu lassen und nicht meinen egoistischen Geist hineinzubringen. Und das meinte ich eben: die Flucht in die Grandiosität: Manche sprechen vom „Ego-Tod“ und merken gar nicht, wieviel Ego sich dahinter verbirgt. Deswegen bin ich skeptisch gegen zu große Worte, weil dahinter sind immer auch dunkle Schattenseiten.
24:20
Jetzt haben Sie, Herr Karimi, auch von der Flucht gesprochen (…). Sie nennen ihre Flucht (…) eine spirituelle Erfahrung. Das kann man nicht verstehen, können Sie uns das erklären? (…)
K: Ja, ich will sie nicht missen. Im Nachhinein. Wer glaubt, ist ein Flüchtling.
Das bedeutet, dass die Flucht auch mein Leben geprägt hat. Und auch mit Lehren und Erkenntnissen verbunden ist, die ich für unglaublich wichtig erachte. Z.B.: Bevor ich geflüchtet bin aus Afghanistan, war so etwas wie Heimat für mich überhaupt kein Begriff. Heimat ist vielleicht auch dort, wo man nicht über Heimat nachdenkt. (…)
(…) man wird der ganzen Zerbrechlichkeit des Lebens gewahr. Es ist ja nicht nur, dass ich geflüchtet bin, sondern etwas von mir hat die Flucht ergriffen, etwas ist auch geblieben.
Aber haben Sie den Glauben nie verloren deswegen? Das klingt alles so optimistisch, positiv…
Nein. Gerade nicht. Sondern der Glaube war viel subtiler formuliert und artikuliert. Gerade dann, wenn wir von Leiderfahrungen sprechen. Ich hab gezweifelt und gehadert. Aber gerade davon lebt ja der Glaube: Glaube ist nicht so etwas – nach meiner Perspektive - eine rosarote Brille anzuziehen, und dann ist alles gut. Sondern Glauben fordert uns heraus. Glaube schenkt auch Tiefe und Ruhe und stillen Raum. All das kann ich aus islamischer Perspektive nur unterschreiben. Aber der Glaube erweckt in uns auch so etwas wie Unruhe. Und aus dieser Unruhe heraus zu leben, dass man sich immer wieder fragt: Darf ich heute Abend noch schlafen? Darf ich die Augen schließen, wenn ich wahrhaft gläubig bin? Und was bedeutet das, die Augen einfach zu schließen? (…) Was heißt das, dass ich überhaupt schlafen darf und andere Menschen, die nicht anders sind als ich, unglaubliche Leiderfahrungen durchleben müssen, nur weil sie woanders sind? Und wo entsteht religiöse Verantwortung? – Sie hören, das ist nicht einfach bloß Moralismus, sondern das ist etwas, was mich existenziell bewegt. (…)
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(Zu Grün) (…) Sie schreiben im Nachwort dieses Buches auch, dass im Gespräch zwischen den Religionen die Spiritualität das eigentlich Verbindende sei. Es seien die spirituellen Traditionen, die zueinander finden, Sufismus, christliche Mystik, die zueinander gehören.– Jetzt berufen sie sich eben auf diese mystischen Strömungen der Religionen. Und ich frage mich: Wie repräsentativ ist das wirklich für die gesamte Tradition?
G: Ich denke, im Christentum ist die mystische Tradition zentral. Also wenigstens bis zum Jahrtausend. Und dann auch später natürlich die deutsche Mystik, Meister Eckhart, die spanische Mystik. Natürlich gabs dann in der Aufklärung einen Bruch, wo die Mystik negativ gesehen worden ist, oder in der evangelischen Theologie Karl Barth: für den war „Mystiker“ ein Schimpfwort. Aber heute wissen sowohl katholische wie evangelische Theologen: Ohne Mystik wird das Christentum zum Moralismus. Das hat ja viele aus der Kirche herausgetrieben. Viele Menschen suchen spirituelle Erfahrungen, und da ist die Mystik sicher wichtig. - Was Sie, Herr Karimi, gesagt haben über Heimat, das ist für mich auch entscheidend: Die deutsche Sprache verbindet ja Heimat und Geheimnis. Daheim-Sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt, also wo etwas ist, was größer ist als ich selbst – (…) für Sie ist auch die persische Sprache Ihre Heimat…
K (30:00)
Ja, in der Tat. Genauso ist es. (…) Sufismus ist eine der lebendigsten Strömungen, der wachsten Traditionen im Islam – immer schon gewesen, d.h., eine Tradition, die sich vornehmlich auch lyrisch ausdrückt: eigentlich alle persischen Mystiker sind auch Dichter, z.B. Hafis, den auch Goethe geschätzt hat, aber auch Rumi, den man hier kennt (…) Aber auch die arabischen, die zwar nicht lyrisch unterwegs sind, (…) aber sie haben einen Sinn für eine subtile Versöhnung der unterschiedlichen Traditionen. Weil man einfach einen Blick dafür hat, dass beide Seiten eigentlich ins Leere gehen. Anders ausgedrückt, vielleicht kann man ganz modern sagen, dass wir Menschen zwei Seelen haben in unserer Brust: nämlich einmal einen Sinn für Klarheit, für Geist, für logische Zusammenhänge, für Kontrolle, Entwürfe, Planungen. Das alles ist gut. Aber die andere Seite ist auch, dass es etwas anderes ist, wie soll ich sagen, romantisch zu sein. Man kann romantisch sein und dennoch rational unterwegs sein. Und gerade die Verbindung von den beiden ist, glaube ich, das, was die Religionen zeigen: dass sie nicht Fremde sind, sondern zueinander gehören.
Und wenn es dann um eine Art Gespräch zwischen den Religionen geht, merken Sie, und das haben wir sehr früh gemerkt: So etwas gibt es doch gar nicht. Religionen haben noch nie miteinander gesprochen! Es sind immer Menschen. Und wenn Menschen miteinander reden wollen, die aus unterschiedlichen Religionen kommen, dann geht es darum, dass sie aufeinander zugehen. Dass sie sich einfach in die Augen schauen, dass sie voneinander hören. –
Wissen Sie, was ich zum ersten Mal – ich bin oft in Kirchen gewesen und bin es immer noch, aber: Zum ersten Mal hatte ich die Gelegenheit, eine Kirche aus den Augen von Pater Anselm zu sehen (…) Das ist unglaublich. Seitdem sehe ich die Kirche ganz anders. Und das ist für mich eine große Bereicherung, ein großer Anklang und Affinität zu einer Religion, die nicht meine ist. Aber vor der ich einfach mit Staunen dastehe und nicht mit Fremdheit oder Unverständnis.
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Ich sehe das. Das ist ein sehr schöner Einblick. Ich möchte darauf dann auch noch zurückkommen. Ich möchte aber zuerst nochmal ganz kurz bei der Mystik bleiben, weil das ja doch real ist, dass die wenigsten Leute diese beiden Strömungen [sie meint Religionen] mit einer mystischen Strömung verbinden, sondern oft negative Bilder haben davon: Sagen wir Terrorismus, (…) Frauenunterdrückung, (…) Kindsmissbrauch. – Das ist ja doch das, was man bei diesen Religionen im Vordergrund hat. Dann scheint es jetzt für den Leser dieses Buches, der sich sonst nicht so auskennt damit, sondern der medial geprägt ist, sonderbar, plötzlich ein solches Buch über die mystischen Traditionen zu lesen. Das wirkt – extrem gesagt – vielleicht wie ein „Wohlfühlislam“, oder ein „Wohlfühlchristentum“, selbst wenn natürlich die Mystiker alles andere als Wohlfühlchristen oder -muslime waren, sondern sehr radikal oft auch.
K: Da haben wir uns einfach nicht ausgespart in dem Buch. Wir haben gerade den Anfang damit gemacht zu fragen, welche Stolpersteine eigentlich der Dialog bringt: Mit welchen Bildern sind wir beide besetzt? Und klar haben wir Probleme. So etwas wie Gewalt im Islam, Frauenunterdrückung, die Wahrheitsfrage, Toleranzfrage. All das sind Fragen, Stolpersteine, die wir haben müssen. D.h., der mystische Blick muss auch darin der wache Blick sein, auch diese Stolpersteine zu erkennen und versuchen, darauf eine Antwort zu geben. – Sie können zu Recht fragen: Uber welchen Islam reden Sie denn?! - Das ist einfach ein schön ausgemalter mystischer Islam, den kein Mensch lebt, nur einfach ein paar Sonderlinge. Und genau das ist ja mein, unser Vorhaben gewesen zu zeigen, dass es nicht das ist. Sondern der wahre Islam, den es nicht gibt, ist der Sufismus deshalb, weil es da um ein Suchen nach dem Wahren geht. Also wenn es so etwas wie den wahren Islam geben muss, dann muss das im Suchen nach dem Wahren begründet sein. Alles andere ist schon keine Religion mehr. Derjenige, der innerhalb einer Religion nicht nach der Wahrheit sucht, sondern so tut, als hätte er die Wahrheit, dann ist die Wahrheit für ihn etwas, was nicht mehr eine Frage ist, sondern er ist (ihrer) habhaft geworden. Nur Gott – und das lehren alle Religionen – ist gerade als Wahrheit jene Figur, die niemals verfügbar bleibt, ist immer das Unverfügbare.
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Aber wie können Sie definieren, was Religion ist?
Ich kann das sehr gut definieren – natürlich ist Definition immer schwierig, aber ich kann das schon bestimmen aus der Religion heraus, was religiös ist. Religion hat immer mit einem Aspekt der Demut zu tun. Also wenn Sie einen religiösen Menschen treffen und der nicht demütig ist, dann kann ich Ihnen jetzt schon sagen, sozusagen als ein Kriterium dafür, dann ist dort was schiefgelaufen. Demut bedeutet, dass ich immer ein Lernender bin. – Und woher habe ich das? Das habe ich von meinem Propheten gelernt, der immer auf der Suche nach der Wahrheit war. Er ist mir ein Vorbild, weil der Prophet Muhammad immer auf der Suche nach Wahrheit war, immer wie Wasser die Tiefe gesucht hat. Und ich glaube, darin ist er mir auch ein Vorbild, dass ich nicht nur auf der Oberfläche bleibe und sage: Eine Kirche ist dunkel, groß - eine gotische Kirche -, zu viele Bilder, da habe ich Angst. Das ist mein oberflächlicher erster Eindruck. Wenn ich aber dabei bleibe und sage, das ist meine Meinung, weil das sind ja meine ersten Eindrücke, und das ist dann auch „wahr“, dann ist da was verloren gegangen. Aber wenn ich da zu einem Christenmenschen hingehe und einfach nur sage: Beschreib mir deine Kirche, und er es mir so beschreibt, dass ich es verstehe, dann ist da schon eine Wandlung vollzogen.
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(..) Der Begriff der Demut ist ja durchaus sehr wichtig in diesem Dialog, nämlich in Bezug auf diesen Wahrheits- und Absolutheitsanspruch, den ja doch beide Religionen für sich beanspruchen. Ich möchte von Ihnen beiden wissen: Was für Abstriche mussten oder müssten sie machen, was muss man für Abstriche machen als religiöser Mensch in einem solchen Dialog?
G: Gut, für mich… - ich kann den Absolutheitsanspruch auf der einen Seite nicht leugnen: Jesus Christus die Offenbarung. Aber wir müssen in aller Demut sehen, dass wir Christen noch lange nicht das Geheimnis Jesu, das Geheimnis Gottes erfasst haben, sondern immer auf dem Weg sind. Und mir hat der Dialog – sowohl mit dem (…) Buddhismus, als auch hier - geholfen, Jesus auch mit anderen Augen zu sehen. Unsere christlichen Augen sind ja auch einseitig. Aber trotzdem ist für mich die Bibel und das Leben Jesu, die Person Jesu die absolute Selbstmitteilung Gottes. Aber wie jede Selbstmitteilung Gottes durch menschliche Worte, durch menschliche Strukturen überliefert wird, ist da immer auch eine Verfälschung. Und deswegen: der Abstrich des Absolutheitsanspruchs bedeutet für mich, die Perspektive eines Buddhisten, eines Muslim einzunehmen und mit diesen Augen dann neu auf Jesus zu schauen.
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Sie geben mir ein gutes Stichwort. Ich meine, eine schwierige Passage im Koran ist ja die, dass man sagt: Jesus wurde nicht gekreuzigt bzw.: Es kann nicht Jesus gewesen sein, der gekreuzigt wurde. Sie als Ordensmann, das muss Ihnen doch einen Schmerz versetzen. Wie gehen Sie damit um?
Gut, ich frag, warum der Islam das so sieht. Weil er Jesus als großen Propheten sieht, der kann nicht gekreuzigt werden. Natürlich kann ich das so nicht akzeptieren, denn für mich ist die Kreuzestheologie – es gibt es da auch Verfälschungen, es gibt masochistische Auslegungen des Kreuzes - aber für mich ist das natürlich schon etwas Entscheidendes. Johannes deutet das ja als Vollendung der Liebe: Es gibt keine größere Liebe als wenn jemand sein Leben hingibt für seine Freunde. Insofern ist für mich Kreuz und Auferstehung schon das Zentrale. Aber ich denke, im Dialog kann man auch spüren: warum sagt Mohammed das und wie kann man das auf neue Weise auch verstehen?
K: Ja, aus meiner Perspektive auch: Ich habe keine Abstriche gemacht. Ich hab keinen Islam vertreten, dass es ein Wohlfühlislam für das Christentum wäre. Das wäre ja gerade ein verfälschter Dialog. Also ihnen das sagen, was sie gerne hören. Und die Stellen, die schwierig sind, einfach nicht aussprechen. Sondern ich weiß, im Koran steht ja diese Stelle. Und das wird Pater Anselm bestimmt ärgern. Die hab ich erst recht ausgesprochen, um ihn geradezu zu ärgern. Weil dann kommt sozusagen der echte Theologe aus ihm raus, der über Karl Rahner promovierte, und er zeigt mir, wie differenziert er theologisch da drangehen kann und das auch tut. Aber Spaß beiseite: Der Dialog und das, was da entstanden ist, das ist ja keine neue Religion! Dass Sie sagen können, Islam und Christentum sind sich begegnet, und daraus ist etwas Neues, eine neue spirituelle Bewegung geworden. Das war nicht unsere Intention, das ist nicht rausgekommen. Die Differenzen sind geblieben! Und das ist wichtig.
39:40 Es ist Ihnen immer wieder wichtig, das zu betonen (…) Aber (…) in Bezug auf Jesus: Sie sagen etwas ganz Interessantes, und da möchte ich nachfragen, wie Sie sich das erklären. Sie schreiben: Der Weg des Islam führe zu Jesus. Ohne ihn sei kein spiritueller Weg des Islam möglich.
Ja, in der Tat, er ist nicht einfach Jesus, sondern er ist mein Jesus. Er ist mein Prophet. Und unter Propheten gibt es keine Unterschiede. Der Weg führt zu Jesus auch, wenn Sie einfach durch den Koran hindurchreisen. Es gibt eine eigene Sure, die mit Maria betitelt ist. Und da geht es um die Geburt Jesu. Und wenn wir dann darüber hinaus weiterfragen: Warum thematisiert überhaupt der Koran das Leben, die Geburt Jesu, die Besonderheit von Jesus, seine Geistigkeit, das ist eine herausragende Figur des Korans, warum eigentlich?
Wenn Sie darüber hinaus weitergehen und sehen: bei allen muslimischen Mystikern, die es überhaupt gegeben hat: Alle haben Jesus geliebt und mit Jesus gearbeitet. Jesus als Motiv der Einfachheit, der Armut, Jesus als einer, der auf dem Weg war. Jesus als Sohn der Maria, Maria als Inbegriff der Reinheit, der Liebe und Hingabe… (…) das ist ein Weg, aber da bleiben wir ja nicht stehen, sondern das ist auch ein Weg (…). Ich kann mich als Muslim sehr gut an meinen Jesus halten, weil er auch eine unglaublich beseelte Persönlichkeit gewesen ist, wenn man‘s säkular ausdrücken will, die zum Islam gehört.
41:30
Jetzt aber muss ich Sie schon fragen, ob es für Sie nicht eine Provokation ist, wenn Pater Anselm schreibt, dass – und damit vertritt der natürlich die christliche Theologie insgesamt - ihm Christus der Erlöser sei, Erlöser der Menschheit. Und selbst, wenn man ihn nicht bekennt, ist er dies. Das ist ja eigentlich eine Provokation für den Islam und nicht nur für den Islam, dieser Anspruch.
K: Wieso Provokation? Ich nehme es nicht als Provokation auf und denke: schön, dass dieser Glaube da ist. Aber Provokation wäre es nur dann, wenn er behaupten (fordern?) würde: Glaube du auch da dran! Dann würde ich sagen: jetzt, stopp. Also da ist die Grenze erreicht. Oder ich schreibe mit Ihnen nur dann ein Buch, wenn es am Ende zu diesem Ergebnis kommt.
Der Weg war vielmehr, dass mich das positiv provoziert, (…) dass ich mich frage, was er eigentlich damit meint. – Was bedeutet Erlösung? Was bedeutet für die Christenheit Jesus? Und was bedeutet überhaupt das Kreuz? – Wir Muslime können damit nicht viel anfangen, weil einfach in unserer Inkulturation religiöser Art so etwas nicht positiv besetzt ist. Aber ich merke, da geht es ja nicht eigentlich um Jesus. Nein, es geht um Gott. Es geht um eine Sehnsucht, die durch Jesus artikuliert ist. Wenn das damit gesagt ist und Jesus nicht ein Anderer von Gott ist, dann kann ich das sehr gut verstehen, obgleich ich das in dieser Form nicht artikulieren würde.
Und Sie merken: Was hilft uns? Hier hilft uns der Weg der Spiritualität deshalb, weil wir nach der Geistigkeit suchen. Und nicht bei Differenzen stehen bleiben. – Daran kranken die meisten Dialoge: Sie glauben das. – OK, ich glaube daran nicht. Und dann gehen wir wieder auseinander. (…)
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