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M4.3 Aus­zü­ge aus: A. Grün/A. M. Ka­ri­mi, Im Her­zen der Spi­ri­tua­li­tät, Frei­burg 2019

Auf­ga­ben für die Grup­pen­ar­beit

Ent­werft 10 Ge­bo­te oder 10 Tipps für ein kon­struk­ti­ves Ge­spräch zwi­schen Men­schen un­ter­schied­li­cher Re­li­gio­nen. (GA)

  1. Ana­ly­siert, wel­che Ge­bo­te/Tipps sich aus euren Er­geb­nis­sen zu Auf­ga­be 3 ent­wi­ckeln las­sen.
  2. Ar­bei­tet aus den Buch­aus­zü­gen wei­te­re Ge­bo­te/Tipps her­aus.
  3. Über­legt, wel­che eure drei wich­tigs­ten Ge­bo­te/Tipps sind.

In­halts­ver­zeich­nis und Le­se­pro­be zu dem Buch her­der.de

a. Aus dem ge­mein­sa­men Nach­wort (S. 268 – 270)

(…) In der Be­geg­nung haben wir er­fah­ren, dass im Ge­spräch zwi­schen den Re­li­gio­nen, über alle theo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zen hin­weg, die Spi­ri­tua­li­tät das ei­gent­lich Ver­bin­den­de ist. Es sind spi­ri­tu­el­le Tra­di­tio­nen, die zu­ein­an­der fin­den, Su­fis­mus und christ­li­che Mys­tik, die zu­ein­an­der ge­hö­ren. Wenn wir uns über die spi­ri­tu­el­len Er­fah­run­gen aus­tau­schen, dann geht es nicht um Recht­ha­be­rei, son­dern um die ge­mein­sa­me Er­fah­rung von Got­tes Größe, sei­ner Liebe und seine hei­len­de Nähe. Na­tür­lich braucht es auch theo­lo­gi­sche Klar­heit. Wir haben im Chris­ten­tum und Islam je­weils eine an­de­re Spra­che von Gott, von Jesus und Maria. Und diese un­ter­schied­li­che Spra­che kann nicht ein­fach ein­ge­eb­net wer­den. Aber im Ge­spräch, in dem wir wirk­lich auf­ein­an­der hören, kön­nen wir ein­an­der nä­her­kom­men. Da spü­ren wir, dass Gott jen­seits un­se­rer Bil­der und Worte, jen­seits un­se­rer Spra­che ist, das un­aus­sprech­li­che Ge­heim­nis, zu dem hin wir alle un­ter­wegs sind.

Eine wich­ti­ge Er­fah­rung im Rück­blick ist für uns: So­bald die Frage nach Gott ins Zen­trum rückt, tritt das Frem­de im an­de­ren zu­rück. Wir ver­ste­hen uns beide auf dem Weg zu dem Gott jen­seits aller dog­ma­ti­schen Fest­le­gun­gen. Aber bei der Frage nach Gott geht es nicht in ers­ter Linie darum, wie wir den „einen Gott“ im Islam und den „drei­fal­ti­gen Gott“ im Chris­ten­tum zu­sam­men­brin­gen kön­nen. Es geht viel­mehr zen­tral um die Frage, zu wel­chen Er­fah­run­gen der Glau­be an Gott im Islam und im Chris­ten­tum führt und wie er das kon­kre­te Leben prägt: also um die Er­fah­rung von Heil und Er­lö­sung, die Er­fah­rung von An­ge­nom­men­sein und Ge­liebt­sein. Aber es geht auch um die Sorge für­ein­an­der, um die Liebe zum Nächs­ten und die Ver­ant­wor­tung für die Welt. Die Er­fah­run­gen von Gott sol­len auf ihre sinn­stif­ten­de Be­deu­tung hin be­fragt und im Blick auf heu­ti­ge mensch­li­che Grund­er­fah­run­gen re­flek­tiert wer­den, etwa die Er­fah­rung von Zer­ris­sen­heit, von Wur­zel­lo­sig­keit, von Angst und Über­for­de­rung, von Sinn­lo­sig­keit und Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit.

Wir haben in un­se­rem Dia­log immer wie­der dar­über ge­staunt, wie der Ver­such, dem an­de­ren den ei­ge­nen Glau­ben zu er­klä­ren, die ei­ge­nen Grund­er­fah­run­gen of­fen­zu­le­gen, uns ein­an­der nä­her­bringt. Wir spür­ten, dass wir alle - Chris­ten wie Mus­li­me - auf Got­tes Barm­her­zig­keit und Liebe an­ge­wie­sen sind und dass es Gott ist, der uns zu einem er­füll­ten Leben führt. Die Er­fah­rung dabei war: Im Hin­hö­ren auf die Glau­bens­er­fah­rung des an­de­ren wird der ei­ge­ne Glau­be ver­deut­licht und die ei­ge­ne Spi­ri­tua­li­tät ver­tieft. So hat uns diese Be­geg­nung immer wie­der auch mit Dank­bar­keit dafür er­füllt, dass wir in Ach­tung vor­ein­an­der und offen für den Reich­tum der spi­ri­tu­el­len Tra­di­ti­on in der je­weils an­de­ren Re­li­gi­on mit­ein­an­der spre­chen konn­ten.

Wenn wir offen auf­ein­an­der hören, ohne dem an­de­ren gleich un­se­re Po­si­ti­on als die bes­se­re und „lo­gi­sche­re“ dar­stel­len zu wol­len, kön­nen wir Schät­ze ent­de­cken, die jede re­li­giö­se Tra­di­ti­on in sich birgt, und zu­gleich stau­nen über den Reich­tum an spi­ri­tu­el­ler Er­fah­rung und an Le­bens­weis­heit in der an­de­ren Re­li­gi­on. Auf ein­mal füh­len wir auch Ver­wandt­schaft, wo vor­her nur Fremd­heit da­zu­sein schien. (…) 

(c) Aus­zü­ge aus: A. Grün/A. M. Ka­ri­mi, Im Her­zen der Spi­ri­tua­li­tät, Frei­burg 2019

b. Aus dem Ka­pi­tel „To­le­ranz und Wahr­heits­an­spruch“

An­selm Grün: (…) Die christ­li­che Theo­lo­gie hat immer ge­wusst: Gott ist die ei­gent­li­che Wahr­heit. Un­se­re Sätze über Gott sind nie ab­so­lu­te Wahr­heit. Sie zie­len auf die ab­so­lu­te Wahr­heit hin. Aber Gott ist jen­seits aller Be­grif­fe und Bil­der, die im christ­li­chen und is­la­mi­schen Kon­text ver­wen­det wer­den. (…)

Daher ist für Chris­ten die To­le­ranz eine wich­ti­ge Hal­tung ge­gen­über an­de­ren Re­li­gio­nen. To­le­ranz ist nicht In­dif­fe­renz. Weder heißt sie alles gut, noch ist sie Gleich­gül­tig­keit oder den an­de­ren bloß er­tra­gen­de Dul­dung. Sie ist viel­mehr Re­spekt vor den Glau­bens­über­zeu­gun­gen des an­de­ren: Ich re­spek­tie­re den Glau­ben der Men­schen, die einer an­de­ren Re­li­gi­on an­ge­hö­ren, weil ich weiß, dass wir alle auf dem Weg sind hin zum un­be­greif­li­chen Ge­heim­nis Got­tes. Und ich bin der Über­zeu­gung, dass wir uns auf die­sem Weg ge­gen­sei­tig un­ter­stüt­zen soll­ten. (…) (S. 171f.)

Ahmad M. Ka­ri­mi: (…) In der is­la­mi­schen Ge­schich­te hat es [bis heute] immer wie­der Po­si­tio­nen ge­ge­ben, (…) die be­haup­ten, der Islam sei die ein­zig wahre Re­li­gi­on und jede an­de­re Po­si­ti­on sei ent­we­der völ­lig falsch, also ein Irr­weg, oder un­voll­kom­men, also schlech­ter als meine ei­ge­ne Po­si­ti­on und somit ver­werf­lich. [Je­doch wird hier meist] (…) nicht der Islam für die ein­zig wahre Re­li­gi­on ge­hal­ten (…), son­dern aus­schließ­lich das ei­ge­ne Ver­ständ­nis des Islam. Die In­to­le­ranz zeigt sich nicht nur ge­gen­über den an­de­ren Re­li­gio­nen, son­dern zu­gleich auch ge­gen­über den an­de­ren Aus­prä­gun­gen, Tra­di­tio­nen und Ver­ständ­nis­sen in­ner­halb der ei­ge­nen Re­li­gi­on. Die ei­gent­li­che Feind­se­lig­keit rich­tet sich also gegen Plu­ra­li­tät über­haupt. Eine der­ar­tig in­to­le­ran­te Hal­tung ist - unter an­de­rem - mit der Angst ver­bun­den, durch die Wert­schät­zung und An­er­ken­nung des an­de­ren werde die ei­ge­ne Re­li­gi­on re­la­ti­viert und ver­wäs­sert. (…) Ein sol­cher ex­klu­si­ver und in der Kon­se­quenz in­to­le­ran­ter Wahr­heits­an­spruch ist Aus­druck von Hy­bris. Er ist frei­lich nicht auf den Islam be­schränkt: Die über­heb­li­che Miss­deu­tung der ei­ge­nen Po­si­ti­on fin­det sich in allen Kul­tu­ren und Re­li­gio­nen die­ser Welt (…)

Gegen die Per­ver­tie­rung der Re­li­gi­on zum re­li­giö­sen Fa­na­tis­mus ist die geis­ti­ge Tra­di­ti­on des Islam in ihrer phi­lo­so­phi­schen, theo­lo­gi­schen und mys­ti­schen Aus­prä­gung bei der Frage nach der Wahr­heit höchst dif­fe­ren­ziert und von Demut ge­tra­gen. Wenn man in die­sem Zu­sam­men­hang von „epis­te­mi­scher Demut“ spricht, ist ge­meint: Ich weiß um die Vor­läu­fig­keit und Brü­chig­keit des ei­ge­nen Den­kens und Wis­sens, und mir ist klar, dass ich nie­mals den An­spruch er­he­ben kann, mein Ver­ständ­nis der Wahr­heit sei schon die Wahr­heit selbst. (…)

Selbst­ver­ständ­lich re­kla­miert der Islam für sich, dass er nicht Un­wahr­heit ver­tritt, aber die Wahr­heit, die er er­rin­gen will, ist eine Wahr­heit, die ge­schicht­lich ver­mit­telt ist. Der Bezug zur ei­ge­nen his­to­ri­schen Ge­stalt, also das Wis­sen um die ei­ge­ne Ge­schicht­lich­keit, er­öff­net den Raum der Wür­di­gung der An­ders­heit, den Raum der To­le­ranz, den Raum der Demut. Wer sich im Voll­zug des Ver­ste­hens be­greift, der räumt prin­zi­pi­ell ein, dass ein an­de­rer es an­ders ver­ste­hen kann. (…)

Der Ort der Wahr­heit im Leben ist die Wahr­haf­tig­keit. Wahr­heit er­weist sich im Tun, sie hat sich in der Le­bens­pra­xis zu be­wäh­ren. Nur in­so­fern kann sie Au­then­ti­zi­tät be­an­spru­chen. (…) Die Wahr­heit zeigt sich, so lehrt der Islam, im wahr­haf­ti­gen Dienst für die Men­schen, in der Be­wah­rung der Um­welt und im Ein­satz für den Frie­den. Die Rede ist nicht von re­li­giö­sem Eifer, son­dern von un­er­müd­li­chem Ein­satz für das Gute, so­dass der blei­ben­de in­ne­re Bezug zu den an­de­ren Re­li­gio­nen als eine Be­zo­gen­heit im Be­mü­hen um das Gute be­grif­fen wird. Diese zu­tiefst re­li­giö­se Hal­tung sieht in der Be­geg­nung mit dem an­de­ren zu­nächst eine spi­ri­tu­el­le Be­rei­che­rung. (…)

Wenn To­le­ranz eine bloße Dul­dung mei­nen würde, eine Art gleich­gül­ti­gen Aus­hal­tens eines Irr­tums, dann wäre sie nichts an­de­res als Ge­ring­schät­zung. (…) [Doch] die Her­aus­for­de­rung be­steht – heute mehr denn je – darin, nicht ne­ben­ein­an­der, son­dern mit­ein­an­der zu leben. Vor­aus­set­zung für ein fried­vol­les Mit­ein­an­der ist die Ein­sicht: Wer glaubt, der ver­fügt nicht über die Wahr­heit. Viel­mehr ver­fügt sie über uns. (…) Wahr­heit ist Gott – und al­lein Gott. (…) Das Leben soll sich im Stre­ben nach der Wahr­heit voll­zie­hen, so­dass die Mus­li­me auf die an­de­ren re­li­giö­sen Men­schen zu­ge­hen und mit ihnen um diese Wahr­heit rin­gen und strei­ten. Eine so ver­stan­de­ne Streit­kul­tur meint aber keine ge­walt­tä­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung, son­dern einen ver­nünf­ti­gen und vor allem schö­nen Streit. (…) Ge­lin­gen­des Mit­ein­an­der kann sich nur in Ach­tung vor­ein­an­der und ge­gen­sei­ti­ger Wür­di­gung voll­zie­hen, so­dass sich ab­scheu­li­che Er­schei­nun­gen wie der An­ti­se­mi­tis­mus un­ein­ge­schränkt ver­bie­ten. Mus­lim zu sein ist keine Frage der Eti­ket­tie­rung, son­dern eine Frage der stän­di­gen, un­ab­schließ­ba­ren Selbst­über­prü­fung und des Zwei­felns, eine Frage des Ler­nens und der Dank­bar­keit, be­grün­det im Stre­ben nach der Wahr­heit. (S. 174-178)

(c) Aus­zü­ge aus: A. Grün/A. M. Ka­ri­mi, Im Her­zen der Spi­ri­tua­li­tät, Frei­burg 2019

Ma­te­ria­li­en: Her­un­ter­la­den [docx][194 KB]