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Einführung

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Was kann man im Religionsunterricht lernen? Unser Schüler Jonas in 30 Jahren…

Stellen Sie sich doch mal einen der heutigen Schüler – nennen wir ihn Jonas – in 30 Jahren vor. Er ist ein „normaler oberschwäbischer Schüler“, der zwar getauft, zur Erstkommunion gegangen und gefirmt ist. Als junger Mensch hat er sich aber nur mäßig für Religion, Glaube und Kirche interessiert, war in der Oberstufe im Ethikunterricht und ist 2026, nach einem erneuten Missbrauchskandal, aus der Kirche ausgetreten. Für religiöse Fragen interessiert er sich als Erwachsener überhaupt nicht mehr. Im Jahre 2041 arbeitet er als Kulturreferent in Biberach. Die religiöse und kirchliche Situation hat sich inzwischen auch in Oberschwaben geändert: Es gehören noch ca 50% der Menschen einer christlichen Kirche an, die Mehrzahl ist älter als 60 Jahre. Auch die Kinder von Jonas sind – wie 60% ihrer Altersgenossen – nicht getauft.
Am 8.1.2041 bekommt er eine Anfrage auf den Schreibtisch: Ein Jugendzentrum möchte am Karfreitagabend eine Disko auf dem Marktplatz veranstalten. Dank der Änderung der Gesetzeslage sind die Ladenöffnungszeiten seit 2025 vollständig liberalisiert und auch das Verbot von öffentlichen Tanz- veranstaltungen an bestimmten Tagen wurde schon 2022 abgeschafft. Rechtlich steht der Genehmigung also nichts im Wege, aber die Pfarrer beider Konfessionen haben von den Plänen des Jugendzentrums erfahren und legen offiziell Beschwerde beim Bürgermeister ein und laden ihn und alle seine Mitarbeiter zu den Karfreitagsgottesdiensten ein. Jonas muss nun also zwischen dem Leiter des Jugendzentrums und den Pfarrern vermitteln. Zunächst denkt er, dass die Pfarrer, diese frömmelnden „Berufsbeter“ mal wieder etwas zu motzen haben … wie so oft. Die Kirche ist doch einfach nur eine „Spaßbremse“. Warum denn kein großes Open-Air-Festival für Jugendliche mitten in den Osterferien? Doch dann erinnert er sich dunkel an seinen Religionsunterricht … da war doch was am Karfreitag…?

Über welche Kompetenzen muss Jonas nun verfügen, um diesen Konflikt zu lösen? Wir werden uns darüber einig sein, dass Jonas folgendes können sollte:

  • Er sollte wissen, was Christen am Karfreitag feiern und dass dies ein hoher Feiertag, für die evangelischen Christen der höchste Feiertag des Jahres, ist.
  • Er sollte die Bedeutung, die dieser Tag für Christen hat nachvollziehen können und verstehen, warum eine Disko an diesem Tag ihre Gefühle verletzen kann.
  • Er sollte den Pfarrern gegenüber vorurteilsfrei sein, sie also nicht pauschal als „Berufsbeter“ bezeichnen.
  • Er sollte in der Lage sein, mit den Pfarrern und dem Diskobetreiber eine gemeinsame Lösung zu finden – also in religiösen Fragen dialogfähig sein.
  • Und – falls er an dem Gottesdienst teilnimmt – sich dort adäquat verhalten.

Er sollte also über zentrales Grundwissen in religiösen Fragen verfügen, in der Lage sein, religiöse Phänomene und ihre Bedeutung für die Menschen wahrzunehmen, über religiöse Fragen in einen begründeten Dialog zu treten und eventuell an einer religiösen Handlung teilnehmen können. Diese „Kompetenz in Sachen Religion“, die Jonas erworben haben sollte, werden beispielsweise in den Dimensionen der religiösen Kompetenz deutlich, wie sie die Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (2006) formulieren:

  • Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit – religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben.
  • Deutungsfähigkeit – religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten.
  • Urteilsfähigkeit – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen.
  • Dialogfähigkeit – am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen.
  • Gestaltungsfähigkeit – religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden [1], [2] .

Diese religiöse Kompetenz – so wird bei der Auseinandersetzung mit dem Fallbeispiel von Jonas deutlich – ist eine komplexe Kompetenz, die weit über Sachkenntnisse und eine „Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben“ hinausgeht. Der Umgang mit dem Phänomen Religion und die Dialogfähigkeit in einer diffus christlichen oder säkularen Gesellschaft, sind nicht „einfach“, sie sind auch nur bedingt im Religionsunterricht allein vermittelbar, da viele Teilkompetenzen über einen längeren Zeitraum auch in fächerübergreifenden und außerschulischen Lernprozessen erworben und weiterentwickelt werden. Der Religionsunterricht, der diesen Kompetenzerwerb ermöglicht, muss somit den langfristigen und nachhaltigen Kompetenzerwerb anzielen, sich am Schüler/ an der Schülerin orientieren und ihn/sie als Subjekt des Lernprozesses ernst nehmen [3] . Dieser Kompetenzerwerb ist somit ein eigenverantwortlicher und aktiver Prozess des Schülers/ der Schülerin als Individuum, der sich in einer aktiven und eigenverantwortlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt, den Herausforderungen der Gesellschaft und mit dem christlichen Glauben und anderen Weltreligionen vollzieht.

Stellen wir uns nun vor, dass Jonas im Schuljahr 2013/2014 in die Kursstufe kommt und Religion als zwei- oder vierstündigen Kurs gewählt hat. Seine Lehrerin ist seit knapp zwanzig Jahren im Schuldienst und hat in ihrem Referendariat den Bildungsplan 1994 mit seinen umfangreichen stofforientierten Unterrichtssequenzen kennen gelernt. Beim Übergang zum Bildungsplan 2001 reduzierte sie die Stofffülle und erweiterte ihren Unterricht um einige Projekte und um eigenständige Recherche der Schülerinnen und Schüler, um die methodische Kompetenz zu trainieren. Vor allem aber ist ihr wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler, in ihrem Unterricht vertiefte Kenntnisse in den jeweiligen Themengebieten erlangen und zu einer fundierten eigenen Reflexion angeregt werden. In ihrem Unterricht „sollen sie etwas lernen“, spannende Diskussionen führen und sich mit Fragen der Theologie und Philosophie auseinandersetzen.

Neuere Tendenzen in der kirchlichen Jugendarbeit und in der Katechese beobachtet die Kollegin mit Interesse. Vor allem fällt ihr eine Entwicklung hin zur Verkündigung der kirchlichen Tradition, eine „Rückkehr“ zum Katechismus als Basis des Glaubens [4],[5] , die wiederholte Forderung nach Auskunftsfähigkeit und Glaubenswissen auf. So liest sie beispielsweise im Vorwort des Papstes zum 2011 erschienene Youcat: „Studiert den Katechismus. Das ist mein Herzenswunsch! … Studiert den Katechismus mit Leidenschaft und Ausdauer! (…) Ihr müsst wissen, was Ihr glaubt! Ihr müsste Euren Glauben so präzise kennen wie ein IT-Spezialist das Betriebssystems seines Computers.“ [6]
Die fundierte Kenntnis unterschiedlicher theologischer Positionen, die kritische eigene Reflexion und die eigene Erfahrung scheinen hier in den Hintergrund getreten zu sein [7] . So mag sich die Lehrkraft fragen, in welchem Verhältnis Inhalte, theologische Reflexion und Glaubenswissen zu der „Kompetenz in Sachen Religion“ stehen können. Wie können – in der Regel religiös nur rudimentär sozialisierte und interessierte Schülerinnen und Schüler die „erlernbare, komplexe Fähigkeit zum verantwortlichen Umgang mit der eigenen Religiosität in ihren verschiedenen Dimensionen und in ihren lebensgeschichtlichen Wandlungen“ [8] erwerben?
Wie muss der Unterricht gestaltet werden, damit ein solcher Kompetenzerwerb stattfinden kann?

Welche Rolle spielt hierbei das Wissen um die Grundlagen des christlichen Glaubens?

 

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[1] http://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/schule-hochschule/religionspaedagogik/steinfeld/vortraege/2010/gnandt/GNANDT_Kompetenzorientierter_RU.pdf .
[2] EPA katholische Religionslehre, S. 7-8.
[3] Vgl. Definition der ZPG katholische Religion zum kompetenzorientierten Religionsunterricht, In: Was ist kompetenzorientierter Religionsunterricht, S. … und S. …
[4] Vgl. Halbfas, Religionsunterricht nach dem Glaubensverlust , S. 35-36.
[5] Bei der Recherche für diese Zusammenfassung fiel ein Studiengang der kirchlich-pädagogischen Hochschule auf, der unter dem Titel Religion - Kultur – Spiritualität folgende Zielvorstellungen definiert „Der rasante Schwund religiösen Grundwissens auch bei engagierten Studierenden macht bewusst, dass sich die Weitergabe des Glaubens nicht nur auf die eigenen Inhalte besinnen muss, sondern auch auf Formen und Traditionen, die über dieJahrhunderte hinweg die Kontinuität der Überlieferung und Vermittlung garantiert haben. Deshalb sucht der Lehrgang in Anlehnung an die Struktur des klassischen Katechismus zunächst bibeltheologisch und systematisch diezentralen Inhalte des Credo zu erarbeiten. Die Studierenden sollen dabei angeleitet werden, diese Inhalte unterden Bedingungen der Zeit zu reflektieren und argumentativ kompetent zu vertreten.
( http://www.rks-wien.com/ )

[6] Vorwort zum Youcat, S. 10.
[7] Vgl. nach http://www.rks-wien.com/
[8] zitiert nach: Hemel, Religiöse Kompetenz als Ziel des Religionsunterrichts , S. 6.

 

Kompetenzorientierter Religionsunterricht in der Kursstufe: Herunterladen [pdf] [411 KB]