Interaktionstheorien
Probleme der Substitutionstheorie
Die Substitutionstheorie gilt als unbefriedigend. Die Kritik stützt sich im Wesentlichen auf drei Gründe:
- Die Metapher wird auf einem bloßen Schmuck reduziert. Dies verkennt ihre Funktion, etwas zu bezeichnen, für das es keinen eigentlichen Ausdruck gibt. Die Metapher ist innovativ: Sie erweitert damit die Möglichkeiten der Sprache und ist auch im alltäglichen Sprechen unumgänglich und notwendig.
- Aristoteles’ Theorieansatz beruht auf einer sehr verkürzten Theorie von Bedeutung. Sie bezieht sich nur auf Nomen und geht davon aus, dass deren Bedeutung im Verweisen auf einen bestimmten Gegenstand bestehe.
- Metaphern beruhen nicht immer auf vorher erkannten Ähnlichkeiten. Das gilt für eingeführte bekannte (und erst recht natürlich für tote) Metaphern. Gerade bei kreativen oder poetischen Metaphern gehen aber Einsicht in Ähnlichkeit und Bildung der Metapher Hand in Hand. Die Metapher stiftet die Ähnlichkeit, sie ist ein produktives Sprachmittel.
Interaktionstheorie
Als Alternative zur Substitutionstheorie hat sich die Interaktionstheorie der Metapher etabliert. Sie geht aus von der Frage, wie Formen uneigentlicher Rede denn überhaupt möglich sein können, d.h. überhaupt einem sprachlichen Ausdruck eine
Bedeutung zugesprochen werden kann, die er normalerweise nicht hat. Auf der wörtlichen Ebene ist eine Metapher zunächst ein sinnloser Ausdruck, eine Absurdität: Ein Berg hat keinen Fuß, Achill ist kein Löwe, Licht kann man nicht säen. Insofern
ist sie ein Oxymoron. „Die Alpen werden geschlossen“, heißt ein Gedicht von Silke Scheuermann, das sich mit dem Reisen über die Alpen beschäftigt – ein Widerspruch zwischen dem Rahmenthema (Frame, Bildempfänger) und dem querstehenden
Ausdruck „werden geschlossen“ (Fokus, Bildspender). Der offenbare Unsinn dieser Formulierung wird geheilt, indem man ihm einen neuen, übertragenen Sinn zuspricht: Die Alpen als Ort des Durchgangs werden unpassierbar, der Weg über
oder durch sie ist zu wie eine Tür; oder man kann nicht mehr in die Alpen gehen als Ort, wo man etwas sehen und erleben kann wie in einem Museum oder wo man Sport treiben kann wie in einem Schwimmbad oder Fitnesscenter – in diesem Sinne haben
sie nicht mehr geöffnet.
Es interagieren hier also zwei Bedeutungssphären: Eine geologische Formation und kulturelle Einrichtungen wie Türen oder Freizeitstätten. Als zwei Bedeutungsfilter werden sie übereinander gelegt und lassen nur noch Gemeinsamkeiten durch
(Durchgangsstation wie Tore und Türen oder Freizeitstätten). Sie vermitteln dadurch eine Erkenntnis, nämlich die, dass die Alpen für Transit oder Freizeit nicht mehr nutzbar sind oder sein werden.
Typisch für poetische Metapher ist auch die Mehrdeutigkeit: Die Vermittlung der Bedeutungssphären kann über den Verkehr oder die Freizeit hergestellt werden (und möglicherweise über weitere Dimensionen, z.B. dass die Alpen sich ihrer Erkenn- und
Lesbarkeit entziehen und wie ein Buch geschlossen werden).
Metaphern interpretieren: Konnotationen
Diese Erklärung der Bedeutung der Metapher hat aber nur eine Richtung im Blick; sie erklärt, welche unmittelbare Bedeutung sich aus dem Verb „schließen“ für die Alpen ergibt. Das läuft wieder darauf hinaus zu sagen, was die Metapher „eigentlich“ meint oder welche Denotation sie hat. Hingegen bleibt eine Interpretation dabei nicht stehen, sondern schaut darauf, welche Konnotationen, welche weiteren Bedeutungsebenen in dem Vorgang des Schließens mitschwingen. Schließen kann man nur etwas, über das man verfügen kann; es ist ein Teil einer Architektur und damit eines Kulturraumes, der für den Menschen gemacht ist; der Erfahrung von Wildheit und Weite des Gebirges wird die Erfahrung der Einengung durch das Schließen entgegengesetzt; das Schließen nimmt Freiheit, hier die Freiheit, den Alpenraum ohne weiteres und mit großer Selbstverständlichkeit als Freizeitraum oder Transitzone zu benutzen; damit kommt auch eine Haltung zur Natur zum Ausdruck, die einen Eigenwert der Alpen negiert; usw. Mit anderen Worten, eine Fülle von Konnotationen des Verbs Schließen werden ebenfalls auf die Alpen und das Verhältnis des lyrischen Sprechers zu ihnen übertragen. Die Situation erscheint damit insgesamt in einem anderen Licht.
Kühne Metaphern
Wie sehr die Metapher eine Wiederherstellung eines Sinnzusammenhanges anstacheln, sieht man am Beispiel der kühnen Metapher. Sie bringt weit auseinanderliegende Teile des Bedeutungssystems der Sprache mit einander in Verbindung. Ihre Bedeutung erschließt sich nicht sofort und von alleine. „Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle“ (Trakl), „Der Tisch, aus Stundenholz“ (Celan) „Schwarze Milch der Frühe“ (Celan) – hier wird ein weiter Raum möglicher Bedeutungen aufgespannt, der aus der Kohärenz des Textes (Herbstszenerie bei Trakl, der eine Assoziation mit dem Himmel erlaubt) oder dem Kontext (unaussprechliche Greuel des Massenmordes in den Konzentrationslagern bei Celan) eine Deutung zu gewinnen. Bisweilen ist nicht einmal mehr ganz klar, was Bildspender und was Bildempfänger ist wie im Bild des „Stundenholzes“.
Aufgabe 13
- Analysieren Sie einige Ihrer bisher gesammelten Beispielmetaphern, indem Sie des Bedeutungsfeld des Rahmens und des Fokus benennen.
- Erläutern Sie in einem Kurzvortrag die Interaktionstheorie der Metapher. Nutzen Sie dazu das Schaubild.
- Prüfen Sie Ihre Ergebnisse aus Aufgabe 3, ob sich hier auch Beispiele für kühne Metaphern finden.
- Recherchieren Sie zur Deutung von Celans Gedicht „Todesfuge“, aus der die Metapher der „Schwarzen Milch der Frühe“ entnommen ist, und formulieren Sie eine Deutung dieser Metapher, die den Kontext einbezieht.
Zusatz: Schauen Sie sich das Erläuterungsvideo https://www.youtube.com/watch?v=-hRSjngZVrg an. Notieren Sie sich die wesentlichen Aussagen. Stellen Sie Verbindungen zur Interaktionstheorie der Metapher her. Erläutern Sie, inwiefern das Video vereinfacht und verkürzt.
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