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Ar­beits­blatt 16: gro­ßer Sprung – Grup­pen­ar­beit

Der „Große Sprung nach vorn“ in der Rea­li­tät

Die Natur als Feind: Groß­pro­jek­te

Mao be­trach­te­te die Natur als Feind, der über­wun­den wer­den muss­te. Er sagte 1958: „Wir be­fin­den uns in einem neuen Krieg: Wir müs­sen das Feuer auf die Natur er­öff­nen.“

In der nord­west­li­chen Pro­vinz Gansu, die zum gro­ßen Teil aus tro­cke­nem Step­pen­land be­steht, wurde ein um­fas­sen­des Be­wäs­se­rungs­sys­tem ge­plant, das die Pro­vinz in einen blü­hen­den Gar­ten ver­wan­deln soll­te, der genau so üppig und grün war, wie der des Kai­ser­pa­las­tes in Pe­king.

Zu die­sem Zweck muss­ten 3,4 Mil­lio­nen Bau­ern, etwa 70% der Bau­ern der Pro­vinz, von 1958-61 Stau­däm­me und Ka­nä­le bauen. Da der Er­folg zu­nächst aus­blieb, be­schloss der Par­tei­funk­tio­när vor Ort, eine große Was­ser­stra­ße über 900 km quer durch das schnee­be­deck­te Ge­bir­ge zu füh­ren. Die Par­tei­spit­ze in Pe­king un­ter­stütz­te das Pro­jekt. Doch man­geln­de tech­ni­sche Kennt­nis, dazu immer wie­der Erd­rut­sche, ver­schlamm­te Flüs­se und ei­si­ge Win­ter lie­ßen die Ar­bei­ten nur schwer­lich vor­an­kom­men, bis sie 1961 ganz ein­ge­stellt wer­den muss­ten. Die Kos­ten be­lie­fen sich auf 150 Mil­lio­nen Yuan, auf dem Hö­he­punkt der Ar­bei­ten waren 160 000 Men­schen ein­ge­setzt, wovon 2400 wäh­rend der Ar­bei­ten star­ben, die meis­ten aus Un­ter­ernäh­rung. Kein ein­zi­ger Hekt­ar Feld konn­te zu­sätz­lich be­wäs­sert wer­den. Weil die meis­ten Bau­ern über Jahre hin­weg ihre Fel­der nicht be­stel­len konn­ten, fiel im gan­zen Ge­biet von Gansu die Ernte bis 1962 sehr schmal aus.

Lan­des­weit waren Groß­pro­jek­te von Par­tei­ka­dern ohne Sach­kennt­nis ge­plant und er­rich­tet wor­den. Diese schlecht ge­bau­ten Dämme und Ka­nä­le hat­ten aber zudem lan­des­weit ka­ta­stro­pha­le Fol­gen beim Her­ein­bruch star­ker Re­gen­fäl­le: Die Was­ser­net­ze waren ver­schlammt und konn­ten das Was­ser nicht mehr auf­neh­men, wes­halb ganze Re­gio­nen unter Was­ser stan­den und Dör­fer über­flu­tet wur­den. Staubecken ver­schlamm­ten, die Mau­ern bra­chen, etwa 40% aller Staubecken Chi­nas konn­ten das Was­ser nicht zu­rück­hal­ten. Die Was­ser­ver­sor­gung brach dann in den Tro­cken­pe­ri­oden er­neut zu­sam­men, so wur­den 1961 nicht ein­mal 50% der Flä­chen wie 1957 be­wäs­sert. Ei­ni­ge große Dämme wie der in Shi­man­tan ent­wi­ckel­ten sich waren Zeit­bom­ben: 1975 brach die­ser Damm durch einen Tai­fun, es er­tran­ken etwa 230 000 Men­schen in der Flut­wel­le.

Alles für den Fort­schritt: Ge­trei­de­ex­por­te trotz Hun­gers­not

Mao hatte an­ge­kün­digt, Groß­bri­tan­ni­en in 15 Jah­ren über­ho­len zu wol­len und aus dem Agrar­staat China eine In­dus­trie­na­ti­on zu ma­chen. Dazu be­durf­te es um­fang­rei­cher tech­no­lo­gi­scher und in­dus­tri­el­ler Un­ter­stüt­zung aus der So­wjet­uni­on. Von dort wur­den Tau­sen­de Trak­to­ren, Pum­pen, Mo­to­ren, Last­wa­gen, ja ganze Stahl­wer­ke und Ma­schi­nen­parks ge­kauft. Die Im­por­te aus der SU stie­gen von 1957 bis 1959 von Waren im Wert von 557 Mil­lio­nen Rubel auf Waren im Wert von 881 Mil­lio­nen Rubel. Be­zahlt wur­den die Güter nur zum Teil mit De­vi­sen, der Groß­teil wurde durch um­fang­rei­che Ge­trei­de­lie­fe­run­gen ab­ge­gol­ten. Al­lein 1959, als be­reits Mil­lio­nen Chi­ne­sen hun­ger­ten und 70 000 Men­schen ver­hun­gert waren, wur­den 4 Mil­lio­nen Ton­nen Ge­trei­de in die SU ex­por­tiert – al­ler­dings immer noch nicht genug, um die Wa­ren­lie­fe­run­gen zu be­zah­len.

Weil die chi­ne­si­schen Plan­zah­len für den Ge­trei­de­an­bau fern von jeg­li­cher Rea­li­tät viel zu hoch waren, konn­te China nicht noch mehr Ge­trei­de ex­por­tie­ren, ohne bei der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung noch mehr Hun­ger aus­zu­lö­sen. Die Re­ak­ti­on von Mao auf den Eng­pass der Ge­trei­de­lie­fe­run­gen: „Pfer­de, Kühe, Scha­fe, Hüh­ner, Hunde, Schwei­ne: Diese sechs Nutz­tie­re fres­sen kein Fleisch, aber sie leben trotz­dem noch. Auch man­che Men­schen essen kein Fleisch. Der alte Zhu aß kein Fleisch und wurde 80 Jahre alt. Kön­nen wir den Be­schluss fas­sen, dass nie­mand Fleisch essen soll, damit wir es zur Gänze ex­por­tie­ren kön­nen?“

Als die Ver­sor­gungs­män­gel im Land auch ge­gen­über der Par­tei­füh­rung nicht mehr zu ver­heim­li­chen waren, gab es in­ner­halb des Zen­tral­ko­mi­tees der KP eine Ver­such des prag­ma­ti­schen Flü­gels, Mao ab­zu­set­zen. Mao ge­lang es aber, in der ent­schei­den­den Kon­fe­renz von Lus­han 1959 die Ober­hand zu be­hal­ten. Die Kri­ti­ker wur­den als „Rechts­ab­weich­ler“ und Kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re stig­ma­ti­siert und po­li­tisch kalt ge­stellt. Mao, der noch wei­te­re Kri­tik aus der Par­tei fürch­te­te, star­te­te eine Kam­pa­gne gegen alle „Rechts­ab­weich­ler“, bei der etwa 6 Mil­lio­nen Par­tei­ka­der ihres Amtes ent­ho­ben wur­den oder in Ar­beits­la­ger ver­bannt wur­den. Der „Große Sprung nach vorn“ wurde noch zwei wei­te­re Jahre fort­ge­setzt.

Um­gang mit den Men­schen

Seit 1957 waren Schul­kin­der ver­pflich­tet, neben ihrer Aus­bil­dung auch einer pro­duk­ti­ven Tä­tig­keit nach­zu­ge­hen. Diese konn­te bis zu 50% der Schul­zeit um­fas­sen. Wäh­rend der Stahl­kam­pa­gne 1958 muss­ten die Kin­der Ei­senschrott und Zie­gel sam­meln und sogar an den hei­ßen Hoch­öfen ar­bei­ten, wobei nicht we­ni­ge Kin­der zu­sam­men­bra­chen. Um di­rekt bei den Fa­bri­ken zu sein, muss­ten Kin­der auch teil­wei­se in den Schu­le schla­fen – oft zu dritt in einem Bett – um am nächs­ten Tag früh­mor­gens ar­bei­ten zu kön­nen. In der Hoch­pha­se des Gro­ßen Sprungs fiel der Un­ter­richt wo­chen­lang aus.

Im Sinne der Soller­fül­lung wurde mit den Kin­dern ge­nau­so rück­sicht­los um­ge­gan­gen wie mit den Er­wach­se­nen. Es sind zahl­rei­che Fälle über­lie­fert, wo 14-jäh­ri­ge Kin­der Las­ten von 50kg tra­gen muss­ten. Konn­ten sie ihre Pflicht nicht er­fül­len oder be­sorg­ten sie sich gar selb­stän­dig Essen, droh­ten ihnen dra­ko­ni­sche Stra­fen: Weil ein 12-jäh­ri­ger Junge Essen in einer Kan­ti­ne ge­klaut hatte, wurde er vor allen Leu­ten von der Füh­rung der Volks­kom­mu­ne im Teich er­tränkt. Wie viele Kin­der so oder auf an­de­re Weise wäh­rend des Gro­ßen Sprungs um­ge­kom­men sind, kann nicht mehr ge­klärt wer­den, es dürf­ten wohl aber Tau­sen­de sein. Die Not war auch für die El­tern so groß, dass in­ner­halb eines Jah­res ein dra­ma­ti­scher Ge­bur­ten­rück­gang in ganz China ein­set­ze, so z.B. in der Pro­vinz Yunn­an, wo die Ge­bur­ten­zahl von 678 000 1957 auf 450 000 ein Jahr spä­ter zu­rück­ge­gan­gen war.

Eines der Ziele der Kom­mu­nis­ten war es, die Frau­en aus der Be­vor­mun­dung durch die pa­tri­ar­cha­li­sche Ge­sell­schaft zu be­frei­en. Dazu wur­den die alten Struk­tu­ren auf­ge­bro­chen und z.B. die Frau­en­ar­beit er­mög­licht. Wäh­rend des Gro­ßen Sprungs ent­stand je­doch an­stel­le der ge­plan­te so­zia­lis­ti­schen Ge­sell­schaft eine ganz an­de­re Form des Zu­sam­men­le­bens: Männ­li­che Par­tei­funk­tio­nä­re nutz­ten die Ab­we­sen­heit der meis­ten Män­ner aus und ver­ge­wal­tig­ten Frau­en rei­hen­wei­se, dar­un­ter auch Min­der­jäh­ri­ge. Dabei dürf­te es sich nicht um Ein­zel­fäl­le ge­han­delt haben, son­dern um all­ge­mei­ne Phä­no­me­ne, die eine kom­plet­te Um­kehr ak­zep­tier­ter Ver­hal­tens­re­geln be­deu­tet haben. So muss­ten z.B. Frau­en in einer Fa­brik auf Be­fehl ihrer Vor­ge­setz­ten nackt ar­bei­ten, in man­chen Dör­fern muss­ten die Frau­en nackt auf die Fel­der mar­schie­ren. Maos Ziel­set­zung, die alten kon­fu­zia­nis­ti­schen Werte wie Ehr­furcht ge­gen­über den El­tern, der Fa­mi­lie oder den Vor­fah­ren zu eli­mi­nie­ren, führ­te zu einer all­ge­mei­nen Wer­te­lo­sig­keit im öf­fent­li­chen Leben.

Mao – ein neuer Kai­ser?

In einer Rede vor Par­tei­füh­rern sagte Mao 1958: „Was ist so un­ge­wöhn­lich an dem Kai­ser Shi Huang­di aus der Qin-Dy­nas­tie? Er hat nur 460 Ge­lehr­te le­ben­dig be­gra­ben, wir da­ge­gen haben 46.000 Ge­lehr­te le­ben­dig be­gra­ben. Wir sind dem Kai­ser … in Bezug auf die Un­ter­drü­ckung kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­rer Ge­lehr­ter hun­dert­fach vor­aus.“

In vie­len kom­mu­nis­ti­schen Staa­ten ge­hör­ten Ter­ror und Mas­sen­mord zur Durch­set­zung der Herr­schaft, z.B. die Säu­be­run­gen in der So­wjet­uni­on unter Sta­lin 1936-38. Bei Mao ging es aber nicht nur um die Aus­schal­tung der Geg­ner und „Klas­sen­fein­de“, son­dern auch um den Auf­bau einer di­rek­ten Loya­li­täts­be­zie­hung zum chi­ne­si­schen Volk. Diese soll­te vor allem durch eine ar­chi­tek­to­ni­sche Um­ge­stal­tung der Haupt­stadt er­fol­gen.

Als Mao 1957 den Roten Platz in Mos­kau ge­se­hen hatte, den Sta­lin schon spe­zi­ell für die Pan­zer­pa­ra­den und Auf­mär­sche ver­brei­tert hatte, er­schien auch ihm eine Ver­grö­ße­rung des Tia­nan­men-Plat­zes in Pe­king nötig. Dort be­fand sich das Tor des Himm­li­schen Frie­dens (Tia­nan­men) als Ein­gang zur Ver­bo­te­nen Stadt der Kai­ser. Es war vom Kai­ser Yon­g­le um 1420 er­rich­tet wor­den. Der bis­her über­schau­ba­re Platz davor soll­te so aus­ge­baut wer­den, dass er noch grö­ßer als der Rote Platz in Mos­kau war. Auf einer Flä­che von 6 Fuß­ball­fel­dern wur­den mit­tel­al­ter­li­che Stra­ßen­zü­ge zer­stört um einen Platz für 400 000 Men­schen zu schaf­fen. An der West­flan­ke des Tia­nan­men ent­stand eine Große Halle des Vol­kes und ge­gen­über ein Mu­se­um der chi­ne­si­schen Ge­schich­te. Das Zhon­gua-Tor des alten Im­pe­ri­ums muss­te dem Denk­mal für die Hel­den des Vol­kes wei­chen, einem 37m hohen Obe­lis­ken. Kurze Zeit war sogar ge­plant, die ganze Stadt in 10 Jah­ren zu zer­stö­ren und kom­plett neu auf­zu­bau­en.

Al­ler­dings war der ver­wen­de­te Stahl, der z.T. aus den Hoch­öfen der Volks­kom­mu­nen kam, min­der­wer­tig, die Stahl­trä­ger der Gro­ßen Halle des Vol­kes ver­form­ten sich unter dem Ge­wicht. Da auch in allen Pro­vinz­städ­ten Hal­len, Sta­di­en und Bau­ten zu Ehren des 10.​Jahres­ta­ges der Volks­re­pu­blik 1959 er­rich­tet wur­den, ver­schlan­gen diese Aus­ga­ben in drei Jah­ren 100 Mil­lio­nen Yuan. Nicht we­ni­ge Bau­ten stürz­ten auf Grund der schlech­ten Ma­te­ri­al­qua­li­tät und sta­ti­scher Feh­ler wie­der ein. Gleich­wohl prägt der Platz des Himm­li­schen Frie­dens, nun er­gänzt um das Mau­so­le­um Maos, die Stadt Pe­king bis heute.

 

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Wei­ter zu Ar­beits­blatt 17a: Hil­fe­stel­lung zu den Pro­pa­gan­da-Pla­ka­ten