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AB 1-4: Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen

Der Ge­no­zid - Kurze Chro­no­lo­gie und his­to­ri­sche Ein­ord­nun­gen

M1 Kurze Chro­no­lo­gie

1915 Ein Vor­stoß os­ma­ni­scher Trup­pen ab De­zem­ber 1914 en­de­te durch Schnee und Eis im Ge­bir­ge mit der ver­nich­ten­den Nie­der­la­ge bei Sa­ri­ka­mis (Stadt im Nord­os­ten der Tür­kei). Die meis­ten os­ma­ni­schen Trup­pen star­ben nicht im Kampf, son­dern an Hun­ger und Kälte in den Ber­gen des Kau­ka­sus. Dies be­deu­te­te eine Be­dro­hung der Ost­gren­ze des Os­ma­ni­schen Rei­ches. In Grenz- und Front­nä­he sahen sich ar­me­ni­sche Füh­rer, Or­ga­ni­sa­tio­nen und Dör­fer ver­stärkt Un­ter­drü­ckungs­maß­nah­men aus­ge­setzt. Tür­ki­sche Mi­li­tärs und Po­li­ti­ker woll­ten die Mög­lich­keit einer Un­ter­stüt­zung rus­si­scher An­grif­fe durch Ar­me­ni­er ver­hin­dern. Morde, Mas­sa­ker und an­ti­ar­me­ni­sche Pro­pa­gan­da nah­men zu.

Im März ver­schärf­ten sich auch in front­fer­nen Ge­bie­ten, ins­be­son­de­re in Zei­tun (Be­zirk Adana), Über­grif­fe und Ver­trei­bun­gen. Die Vor­wür­fe lau­te­ten auf Schwä­chung der os­ma­ni­schen Kriegs­an­stren­gun­gen durch Un­ter­stüt­zung von De­ser­teu­ren und Spio­na­ge für den Feind. Am 13. März fand in Zei­tun ein Ge­fecht zwi­schen Sol­da­ten und ar­me­ni­schen De­ser­teu­ren statt. Die Aus­ein­an­der­set­zung en­de­te mit der Ver­trei­bung der ge­sam­ten ar­me­ni­schen Be­völ­ke­rung der Stadt ab 8. April. In den Ost­pro­vin­zen wurde die ge­ziel­te und rück­sichts­lo­se Ver­trei­bung der ar­me­ni­schen Be­völ­ke­rung mit dem dro­hen­den Vor­rü­cken rus­si­scher Trup­pen be­grün­det. In der mehr­heit­lich von Ar­me­ni­ern be­wohn­ten Stadt Van wei­ger­ten diese sich ab Mitte April, Be­feh­len der Be­hör­den zu fol­gen. Sie fürch­te­ten um ihr Leben. Füh­rer der Ar­me­ni­er waren er­mor­det wor­den und die Men­schen wuss­ten um zahl­rei­che blu­ti­ge Mas­sa­ker in der Um­ge­bung der Pro­vinz und in Nord­per­si­en. Ab dem 20. April ein­set­zen­de An­grif­fe des tür­ki­schen Mi­li­tärs und kur­di­scher Hilfs­trup­pen auf das ver­bar­ri­ka­dier­te Ar­me­ni­er-Vier­tel blie­ben er­folg­los. Die Be­frei­ung der Ar­me­ni­er brach­ten vor­rü­cken­de rus­si­sche Trup­pen.

Völkermord an den Armeniern

Ver­grö­ßern Bild­quel­le: Vo­el­ker­mord an den Ar­me­ni­ern.png von Klaus M. [ CC BY-SA 3.0 ], via Wi­ki­me­dia Com­mons, be­ar­bei­tet

Ein am 22. April ver­kün­de­tes neues Waf­fen­ge­setz hatte zur Folge, dass die Ar­me­ni­er über­all im Os­ma­ni­schen Reich ent­waff­net wur­den und die Be­hör­den for­mal legal über­all auf­se­hen­er­re­gen­de Haus­su­chun­gen vor­nah­men.

Am 24. April 1915 be­gann in Kon­stan­ti­no­pel die Fest­nah­me und Aus­schal­tung der po­li­ti­schen, kirch­li­chen und sons­ti­gen Füh­rer der Ar­me­ni­er. Par­al­lel dazu kam es zu einer Aus­wei­tung von De­por­ta­tio­nen ins­be­son­de­re an der Ost­gren­ze. Ab Mai le­ga­li­sier­te ein Ge­setz ent­spre­chen­de Maß­nah­men for­mal. Der Be­sitz der Ver­trie­be­nen und Er­mor­de­ten wurde be­schlag­nahmt oder ge­raubt. Über­le­ben konn­ten Frau­en, Kin­der und zum Islam Kon­ver­tier­te.

Am 25. April be­gann ein Groß­an­griff al­li­ier­ter See­streit­kräf­te auf die Dar­da­nel­len.

Ende Mai ver­öf­fent­lich­ten die Re­gie­run­gen Frank­reichs, Groß­bri­tan­ni­ens und Russ­lands eine Er­klä­rung gegen Mas­sen­mor­de an den Ar­me­ni­ern und warn­ten, sie wür­den alle Be­tei­lig­ten zur Re­chen­schaft zie­hen.

In den Mo­na­ten Mai bis Au­gust er­folg­te eine Aus­wei­tung der Ver­trei­bun­gen und Mas­sa­ker auf na­he­zu das ge­sam­te Klein­asi­en. Aus­nah­men bil­de­ten Kon­stan­ti­no­pel, Smyr­na und Alep­po. Am Musa Dagh ver­schanz­ten Ar­me­ni­ern ge­lang vom Juli bis zu ihrer Ret­tung durch fran­zö­si­sche Kriegs­schif­fe im Sep­tem­ber die Ab­wehr tür­ki­scher An­grif­fe.

Ein Ende Sep­tem­ber ver­öf­fent­lich­tes „vor­läu­fi­ges“ Ge­setz über den Be­sitz von De­por­tier­ten le­ga­li­sier­te im Nach­hin­ein Weg­nah­me, Plün­de­rung und Raub des Be­sit­zes der Ar­me­ni­er. Im Herbst 1915 waren die meis­ten ar­me­ni­schen Ge­mein­den zer­stört. Über­le­ben­de be­fan­den sich in De­por­ta­ti­ons­zü­gen und La­gern ins­be­son­de­re in der sy­ri­schen Wüste, wo sie von Hun­ger, Durst, Krank­heit hin­ge­rafft wur­den oder durch Mas­sa­ker star­ben.

1916 Die letz­ten gro­ßen Mas­sa­ker fan­den in den To­des­la­gern unter an­de­ren bei Der Zor in der sy­ri­schen Wüste statt. Der Lei­dens­weg der Ar­me­ni­er war damit je­doch nicht be­en­det. Nach dem Zu­sam­men­bruch der za­ris­ti­schen Herr­schaft 1917 dran­gen in Süd­kau­ka­si­en tür­ki­sche Trup­pen vor. Bei den in den fol­gen­den Jah­ren statt­fin­den­den Ge­fech­ten und Met­ze­lei­en fan­den auch in Ge­or­gi­en, Aser­bei­dschan und Rus­sisch-Ar­me­ni­en viele Ar­me­ni­er den Tod.

M3 Der Ab­lauf des Völ­ker­mords

Zeit­lich fan­den die Mas­sa­ker in zwei Zeit­ab­schnit­ten statt, die in der Ge­no­zid­for­schung als die erste und zwei­te Phase des Völ­ker­mords an den Ar­me­ni­ern be­zeich­net wer­den. Die erste Phase dau­er­te vom Mai bis Ok­to­ber 1915, die zwei­te vom Fe­bru­ar bis No­vem­ber 1916. Zwi­schen Ok­to­ber 1915 und Fe­bru­ar 1916 fan­den zwar fast keine ty­pi­schen Mas­sa­ker statt; trotz­dem star­ben viele Ar­me­ni­er in die­sen Mo­na­ten in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern. Die Mas­sa­ker wäh­rend der ers­ten Phase wur­den in allen ost­ana­to­li­schen Wi­la­je­ten (Vil­ay­et, Be­griff für Pro­vinz im Os­ma­ni­schen Reich) be­gan­gen; die Opfer waren mehr­heit­lich Män­ner und Jun­gen zwi­schen 11 und 65 Jah­ren. Die Mas­sa­ker der zwei­ten Phase wur­den im heu­ti­gen Sy­ri­en be­gan­gen; die Opfer waren mehr­heit­lich Frau­en und Kin­der, da die meis­ten Män­ner be­reits 1915 er­mor­det wor­den waren. Über die Mas­sa­ker der ers­ten Phase des Völ­ker­mords exis­tie­ren viele, sehr de­tail­lier­te Au­gen­zeu­gen­be­rich­te. Hin­ge­gen exis­tie­ren, von ei­ni­gen we­ni­gen Aus­nah­men ab­ge­se­hen, keine ge­nau­en Be­rich­te zur Durch­füh­rung der Mas­sa­ker wäh­rend der zwei­ten Phase des Völ­ker­mor­des. Dies be­ruht dar­auf, dass die Mas­sa­ker der zwei­ten Phase in ab­ge­le­ge­nen Wüs­ten­re­gio­nen statt­fan­den, weit ent­fernt von allen Kon­su­la­ten und an­de­ren In­sti­tu­tio­nen, wel­che die Be­rich­te der Über­le­ben­den hät­ten wei­ter­ver­mit­teln kön­nen.

aus: Stan­ge­land, Si­gurd Sver­re, Die Rolle Deutsch­lands im Völ­ker­mord an den Ar­me­ni­ern 1915-1916, Trond­heim 2013, S.17

M4 Ein Mus­ter bei den De­por­ta­tio­nen?

Der ge­naue Ab­lauf der De­por­ta­tio­nen un­ter­schied sich von Re­gi­on zu Re­gi­on, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, doch das all­ge­mei­ne Mus­ter legt einen zen­tral ge­steu­er­ten Plan nahe. Zu­nächst kam die Kam­pa­gne zur Ent­waff­nung der Be­völ­ke­rung, dann die Fest­nah­me und In­haf­tie­rung der füh­ren­den Bür­ger - Geist­li­che, Ge­schäfts­leu­te und Ärzte. [...] Nach Wo­chen der Fol­ter und Ver­fol­gung wur­den die ver­zwei­fel­ten, hung­ri­gen und er­schöpf­ten Ge­fan­ge­nen an­ein­an­der­ge­fes­selt, manch­mal zu zweit; manch­mal zu viert oder fünft, und be­wacht von Gen­dar­men und Ban­den der Spe­zi­al­or­ga­ni­sa­tio­nen ins Exil ge­trie­ben. Sel­ten kamen sie weit, bevor sie er­schos­sen oder er­schla­gen wur­den. Manch­mal er­mor­de­ten die Gen­dar­men sie bei Mas­sen­exe­ku­tio­nen. [...]

Da die meis­ten Män­ner in­haf­tiert oder be­reits auf dem Marsch in den Tod waren, leb­ten die ar­me­ni­schen Frau­en, Kin­der und Alten [...] in ‚er­bar­mungs­wür­di­ger Furcht". Die Be­feh­le zu ihrer De­por­ta­ti­on kamen ohne lange Vor­war­nung, und sie hat­ten zwi­schen ei­ni­gen Stun­den und vier bis fünf Tagen Zeit, sich rei­se­fer­tig zu ma­chen, ihren Be­sitz zu ver­kau­fen, Nah­rung und Last­tie­re zu sam­meln und los­zu­zie­hen. [...] Bei allen Un­ter­schie­den in der Art, wie die Ar­me­ni­er sich auf ihren er­zwun­ge­nen Weg über die ana­to­li­sche Hoch­ebe­ne zu den Wüs­ten im Süden mach­ten, er­lit­ten sie doch ganz ähn­li­che Mühen. [...] Au­gen­zeu­gen schätz­ten, dass 15 Pro­zent der Men­schen die Mär­sche über­leb­ten. Viele, die den Eu­phrat über­quer­ten und Alep­po, Der-es-Sor (Deir-ez-Zor) und Ras-ul-Ain in der sy­ri­schen Wüste er­reich­ten, waren aber so ab­ge­ma­gert und schwach, dass sie bald nach der An­kunft star­ben.

aus: Nai­mark, Nor­man, Flam­men­der Haß, Mün­chen 2004, S.44-49, Aus­zü­ge

 

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Wei­ter zu AB 1-5: UN-Re­so­lu­ti­on