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M2.7 Meis­ter Eck­hart: Vom Schwei­gen (alle Grup­pen)

Ich weise dar­auf hin, meine Rede und Werke sind al­lein guten und voll­kom­me­nen Men­schen ge­wid­met, in denen vor allem das wür­di­ge Leben und die edle Lehre un­se­res Herrn Jesu Chris­ti le­ben­dig ist. Die sol­len nun er­fah­ren, dass das Al­ler­bes­te und Al­le­re­dels­te, wozu man in die­sem Leben kom­men kann, das ist, dass du schwei­gest und Gott allda wir­ken und spre­chen läs­sest. Wo alle Kräf­te von allen ihren Wer­ken und Bil­dern ab­ge­zo­gen sind, da wird dies Wort ge­spro­chen. Darum sprach er: »Mit­ten im Schwei­gen ward zu mir das heim­li­che Wort ge­spro­chen.« Und darum, so du alle Kräf­te al­ler­meist ein­zie­hen kannst und in ein Ver­ges­sen aller Dinge und ihrer Bil­der ge­ra­ten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Krea­tur ver­gis­sest, umso näher bist du die­sem und umso emp­fäng­li­cher. Könn­test du aller Dinge zumal un­wis­send wer­den, ja könn­test du in ein Un­wis­sen dei­nes ei­ge­nen Le­bens kom­men, wie es Sankt Pau­lus ge­schah, als er sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl« - da hatte der Geist alle Kräf­te so ganz in sich ge­zo­gen, dass er des Kör­pers ver­ges­sen hatte, da wirk­te weder Ge­dächt­nis noch Ver­stand, noch die Sinne, noch die Kräf­te; eben­so ge­schah es Moses, da er die vier­zig Tage auf dem Berge fas­te­te und doch nicht schwä­cher wurde - so soll­te der Mensch allen Sin­nen ent­wei­chen und all seine Kräf­te nach innen keh­ren und in ein Ver­ges­sen aller Dinge und sei­ner sel­ber kom­men. In die­sem Sinne sprach ein Meis­ter zur Seele: Zieh dich zu­rück von der Un­ru­he äu­ße­rer Werke, flieh also, und ver­birg dich vor dem Ge­stürm äu­ße­rer Werke und in­wen­di­ger Ge­dan­ken, sie schaf­fen nur Un­frie­den. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele spre­chen soll, muss sie in Frie­de und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, son­dern sich selbst. […]

Alle Wahr­heit, die die Meis­ter je lehr­ten mit ihrer ei­ge­nen Ver­nunft und ihrem Ver­stand oder in Zu­kunft leh­ren bis an den jüngs­ten Tag, die ver­stan­den nie das min­des­te von die­sem Wis­sen und die­sem Ver­bor­ge­nen. Wenn es schon ein Un­wis­sen heißt und eine Un­er­kannt­heit, so hat es doch mehr in sich drin­nen als alles Wis­sen und Er­ken­nen von außen: Denn dies Un­wis­sen des Äu­ßern reizt und zieht dich von allen Wis­sens­din­gen und auch von dir selbst. Das mein­te Chris­tus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst ver­leug­net und nicht Vater und Mut­ter lässt und alles, was äu­ßer­lich ist, der ist mei­ner nicht wür­dig.« Als ob er sprä­che: Wer nicht alle Äu­ßer­lich­keit der Krea­tu­ren lässt, der kann in diese gött­li­che Ge­burt weder emp­fan­gen noch ge­bo­ren wer­den. Ja, wenn du dich dei­nes Selbst be­raubst und alles des­sen, was äu­ßer­lich ist, dann fin­dest du es in Wahr­heit. Zu die­ser Ge­burt ver­hel­fe uns Gott, der neu­ge­bo­ren ist in Men­schen­ge­stalt, dass wir armen Leute in ihm gött­lich ge­bo­ren wer­den, dazu ver­hel­fe er uns ewig­lich. Amen.

Quel­le: Meis­ter Eck­hart, Vom Schwei­gen, in: Ders.: Mys­ti­sche Schrif­ten, Aus dem Mit­tel­hoch­deut­schen über­tra­gen und mit einem Nach­wort ver­se­hen von Gus­tav Land­au­er, Frank­furt a.M. 1991, S. 17-25, hier S. 20f., 24f.

Meis­ter Eck­hart (* um 1260 - †1328): Theo­lo­ge und Phi­lo­soph des Spät­mit­tel­al­ters. Trat als Ju­gend­li­cher in den Orden der Do­mi­ni­ka­ner ein, in dem er spä­ter hohe Ämter er­lang­te. Seine un­kon­ven­tio­nel­len Pre­dig­ten er­fah­ren bis heute gro­ßes In­ter­es­se. Such­te nach einer spi­ri­tu­el­le Le­bens­pra­xis auch im All­tag. Wurde wegen Hä­re­sie (Irr­leh­re) an­ge­klagt, starb aber vor Ab­schluss des Ver­fah­rens.

Ma­te­ria­li­en: Her­un­ter­la­den [docx][194 KB]