Bestandsaufnahme
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Beobachtungen im Religionsunterricht in der Kursstufe
Der Unterricht in der Kursstufe ist – noch stärker als in der Unter- und Mittelstufe – von der Logik des Stoffs geprägt. Führt der Bildungsplan in Klassen 5-10 durch die verbindlichen Themenfelder häufig noch zu einer „Bachbettpädagogik“ [1] , also der isolierten Behandlung einzelner kürzerer Themen, bietet der Bildungsplan 2001 für die Kursstufe – wie schon die vorherigen Pläne – mit den sechs Lehrplaneinheiten umfangreichere Unterrichtssequenzen, in denen wesentliche Aspekte des jeweiligen theologischen Wissensgebiets vermittelt werden. Der Religionsunterricht der Kursstufe ist so eine Art „Dogmatik“ auf Schülerniveau. Somit ist auch für den Fachlehrer/ die Fachlehrerin bei der Konzeption der Unterrichtssequenzen in der Regel die Fachlogik entscheidend. Er/sie wählt diejenigen Unterrichtsinhalte aus, die der Bildungsplan vorschreibt, die die Schülerinnen und Schüler in der Präsentationsprüfung oder im schriftlichen Abitur „brauchen“, d.h. die sie „wissen“, reproduzieren und anwenden müssen. Die schriftlichen Abituraufgaben orientieren sich an den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA), fordern aber vor allem ein umfangreiches Sachwissen in den – im jeweiligen Schuljahr verpflichtenden – Themenbereichen. Ein Basiswissen ist daher nur in diesen „Sternchenthemen“ verbindlich, ein Kerncurriculum im Sinne der Klieme-Expertise [2] kann nicht vermittelt werden. Die Schülerinnen und Schüler erwerben somit vertiefte Kenntnisse in den für die Abiturprüfung verpflichtenden Themenfeldern und in weiteren von der Lehrkraft ausgewählten Stoffgebieten. Entscheidend ist – vor allem in der Vorbereitung auf die Abiturprüfung – der Stoff, den der Lehrer/ die Lehrerin „gemacht hat“, der Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler wird häufig – abgesehen von den für die Abiturprüfung benötigten methodischen Kompetenzen wie z.B. die Textarbeit - nur wenig reflektiert.
Auch die gängigen Medien vor allem älteren Datums wie z.B. die Wege-Hefte gehen von einem stark an den theologischen Inhalten orientierten Religionsunterricht aus und stellen die entsprechenden Materialien bereit, die teilweise Impulse zur Reflexion geben, teilweise primär Inhalte zusammenfassend darstellen und somit für viele Schülerinnen und Schüler die Lerngrundlage für das Abitur bieten. Bezüge zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler oder den Verweis auf Herausforderungen aus dem Alltag oder anhand von gesellschaftlichen Problemen findet man nur in einzelnen Fällen. Erst ganz neue Unterrichtswerke wie „Vernünftig glauben“ enthalten deutlich mehr schülerorientierte Impulse und Arbeitsanweisungen, sowie Elemente der Metakognition, wie z.B. einen Advance Organizer, so dass hier selbständiges Lernen bereits trainiert wird.
In der Reform der Kursstufe, die mit dem Schuljahr 2002/2003 in Kraft trat, wurden GFS (Gleichwertige Feststellungen von Schülerleistungen) für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Viele in der Unterrichtspraxis gängige Themen wie z.B. „Das Jesusbild in der Kunst“ oder „Determinismus und Indeterminismus“ sind inhaltliche Ergänzungen des Unterrichts. Die Lernleistung des Schülers/ der Schülerin besteht darin, sich ein Thema selbständig zu erarbeiten und es anschließend als Präsentation oder schriftliche Hausarbeit zu präsentieren Die Problemlöse- und religiöse Urteilsfähigkeit und der Lebensweltbezug bleiben bei der konkreten Themenwahl häufig unberücksichtigt.
Betrachtet man die schriftlichen Abiturprüfungen der letzten Jahre, so fällt auf, dass vor allem fachliche Kompetenzen sowie wissenschaftspropädeutische Methoden (vor allem im Umgang mit Texten) verlangt werden. Die personalen und sozialen Kompetenzen spielen häufig nur eine untergeordnete Rolle, ebenso wie die in den EPA verlangte Gestaltungsfähigkeit. Dies zeigt sich recht deutlich an den Aufgaben des Doppelabiturs 2012 , die – auch in den komplexeren Aufgaben 3 und 4 - vor allem die Urteilsfähigkeit und die Dialogfähigkeit verlangen [3] , die Gestaltungsfähigkeit bleibt jedoch nahezu unberücksichtigt. Auch ein Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und den konkreten persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungssituationen ist nur in Einzelfällen erkennbar.
Auch die Themen, die die Schülerinnen und Schüler in Absprache mit ihren Fachlehrern für die Präsentationsprüfung vorschlagen, verlangen nicht immer komplexere Kompetenzen, da sie in manchen Fällen sehr wissenslastig und rein reproduktiv sind („Oscar Romero“, „Das Misereorhungertuch 2007“) und sich teilweise sehr stark an den im Unterricht behandelten Inhalten orientieren. Ferner ist eine zentrale Problemstellung nicht immer in der Themenstellung enthalten und wird somit auch nicht von den Schülerinnen und Schüler erarbeitet. So bleibt die Präsentation häufig im darstellenden Bereich, vor allem bei schwächeren Schülerinnen und Schülern. Im anschließenden Kolloquium können vertiefende Fragen gestellt werden, es besteht jedoch das Risiko, dass – um ein Grundwissen zu garantieren – Unterrichtsstoff abgefragt wird oder sich das Kolloquium auf Fragen zur Methode und zur eigenen Stellungnahme beschränkt. Eine Reflexion der im Kolloquium gestellten Fragen auf die Kompetenzbereiche oder die EPA-Teildimensionen hin bildet die Ausnahme.
Versucht man eine Zusammenschau dieser Beobachtungen, kann man feststellen, dass der „normale Abiturient“ im Fach Religion somit vor allem über fachliche und methodische Kompetenzen (theologisches Grundlagenwissen in den jeweils behandelten Halbjahrsthemen und Umgang mit Texten bzw. Präsentationskompetenz) verfügen dürfte. Die komplexeren Teilkompetenzen der EPA wie Dialog- und Gestaltungsfähigkeit dürften in vielen Fällen nur ansatzweise im Unterricht geschult und vertieft worden sein. Der Religionsunterricht in den Klassen 11 und 12 orientiert sich somit primär an der Fachlogik und an der für das Abitur notwendigen methodischen Kompetenz. Wie eine Weiterentwicklung der in der Mittelstufe vermittelten Kompetenzen gemäß dem Kompetenzbegriff der ZPG möglich ist, ist somit zu erarbeiten und zu hinterfragen.
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[1]
Vgl. Was ist kompetenzorientierter Religionsunterricht, S. 27.
[2]
Vgl. Klieme-Expertise, S 94-97.
[3]
Vgl. Abituraufgaben 2012.
Bei
Aufgabe A
lautet Teilaufgabe 4: „Stellen Sie ein Beispiel für ein subjektives und einseitiges Jesusbild dar.
Prüfen Sie, inwieweit es Bedürfnissen des Menschen entspricht und worin seine Problematik liegt.“ Hiermit
wird primär
Urteilsfähigkeit
verlangt.
Aufgabe B
enthält in Teilaufgabe 4 folgenden Arbeitsauftrag: Das Menschenbild Jesu „hat unmittelbare und
meist unbequeme Konsequenzen für die praktische Politik“ (Z. 25f.). Setzen Sie sich mit dieser Aussage am
Beispiel eines ethischen Problems der Gegenwart auseinander, der primär ebenfalls auf
Urteilsfähigkeit
sowie
tlw. auch auf die
Dialogfähigkeit
abzielt.
Auch bei
Aufgabe C
zielt die Teilaufgabe 4 (Manche Wissenschaftler und Philosophen behaupten, der Mensch
sei grundsätzlich nicht zur freien Entscheidung fähig.Skizzieren Sie eine solche Position und setzen Sie sich
mit ihr kritisch auseinander.) auf die
Urteils-
und auf die
Dialogfähigkeit
ab.
Aufgabe D
enthält folgende Teilaufgabe 4: Erläutern und bewerten Sie die These, Christen hätten nicht das
Recht, zu bescheiden zu sein (vgl. Z. 17ff.). Auch hier wird deutlich primär die
Urteilsfähigkeit
überprüft.
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