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Erwachsenengerechtes Lernen

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Schülerinnen und Schüler in der Kursstufe – einige grundlegende Beobachtungen

Junge Erwachsene – aber eben auch „ganz normale Schülerinnen und Schüler“ – in dieser Spannung stehen die jungen Menschen in den Jahren der Kursstufe. Auf der einen Seite sind sie junge Erwachsene, verfügen über hohe Kenntnisse in vielen Fächern, über eine hohe Reflexionsfähigkeit und über ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Autonomie und Freiheit, auf der anderen Seite sind sie Schülerinnen und Schüler – Jugendliche, die auf der Suche sind nach ihrer Identität [1] , eine Suche, die sich auch darin zeigt, dass sie Grenzen suchen und sich an ihnen reiben, deren Arbeitsverhalten und Verhalten im Unterricht nicht immer erwachsengemäß sind, die sich von Autoritäten bewusst abgrenzen wollen und deren Persönlichkeit sich gerade auch in der kritischen Auseinandersetzung mit den Lehrerinnen und Lehrern entwickelt. Die Schülerinnen und Schüler des beginnenden 21. Jahrhunderts sind Kinder der postmodernen und pluralistischen Gesellschaft, in der die Erfahrung von weltanschaulicher Pluralität, Individualismus und einer freien Glaubensentscheidung sie von Kindheit an prägen. Wo ihre Eltern noch vor 30-40 Jahren den christlichen Glauben als häufig unhinterfragte weltanschauliche Grundlage des Lebens kennen gelernt hatten, sind die Schülerinnen und Schüler von heute bereits in der Kindheit und Jugend mit der Notwendigkeit einer weltanschaulichen und religiösen Positionierung konfrontiert, müssen sich selbst für Werte und Lebensorientierung entscheiden [2] . Christlicher Glaube ist für sie eine Option unter vielen, zu der man – je nach den aktuellen Bedürfnissen – unterschiedlich starke Nähe oder Distanz suchen kann.

Im Fach Religion lässt sich – vielleicht noch stärker als in den anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern – die Heterogenität der Lerngruppe wahrnehmen. Diese Heterogenität zeigt sich nicht nur in den fachlichen und methodischen Kompetenzen, in unterschiedlichen Intelligenztypen [3] , in unterschiedlichen Zugängen zu einem Sachverhalt, sondern vor allem auch im Zugang zum Phänomen Religion, in der kirchlichen und religiösen Sozialisation und vor allem in der eigenen religiösen Entwicklung, die sich an ganz unterschiedlichen Punkten befinden kann. Die meisten Schülerinnen und Schüler befinden sich in der Phase des synthetischen konventionellen oder aber des individuell-reflektierenden Glaubens nach Fowler [4] . Dies bedeutet, dass sie entweder die religiösen Vorstellungen ihrer Umgebung übernehmen und für sich zusammenstellen und arrangieren oder aber sich mit Religion kritisch auseinandersetzen und unkritisch übernommene Glaubensinhalte in der Regel ablehnen. Während eine Gruppe der Schülerinnen und Schüler also Religion und Glaube relativ unkritisch und tlw. auch desinteressiert gegenübersteht, setzen sich andere kritisch mit den Glaubensüberlieferungen auseinander, lehnen jeden Versuch einer vermeintlichen „Indoktrination“ sehr kritisch ab und sehen gleichzeitig Glaube und Naturwissenschaft als unvereinbare Gegensätze an. Einzelne andere Schülerinnen und Schüler könnten sich noch auf der Stufe des mythisch-wörtlichen Glaubens befinden und zum Beispiel ein wörtliches Bibelverständnis zeigen – und somit also große Probleme haben, den Anforderungen des Religionsunterrichts in der Kursstufe zu folgen. In der Unterrichtspraxis zeigt sich diese Heterogenität häufig in einem hohen Interesse an Diskussionen und an kritischem Nachfragen durch einige Schülerinnen und Schüler, während andere – vor allem in noch eher volkskirchlich geprägten Gebieten – die Lehre der Kirche teilweise recht deutlich vertreten, eine kritische Reflexion ablehnen und stolz auf ihr Engagement z.B. bei den Ministranten sind. Diese Heterogenität ist jedoch gerade eine der Chancen des Religionsunterrichts in der Kursstufe, denn die Fähigkeit zum Umgang mit dem Phänomen Religion, mit der eigenen Religiosität in ihren verschiedenen Dimensionen und lebensgeschichtlichen Wandlungen [5] entwickelt sich vor allem auch im kritischen Diskurs, in der aktiven Auseinandersetzung mit Positionen, die viele Schülerinnen und Schüler häufig zunächst spontan ablehnen mögen oder gerade wenn sie ein noch recht kindliches Gottesbild haben z.B. in der Religionskritik als Bedrohung ihres Glaubens erleben. Somit kann die eigene Lerngruppe ein optimales Übungsfeld für die Entwicklung der Urteils- und Dialogfähigkeit sein.

 

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[1] Vgl. Baumann, Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe, S. 120.
[2] Vgl. Baumann, Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe, S. 121, S.130-132
[3] Vgl. http://www.kooperativeslernen.de/dc/netautor/napro4/appl/na_professional/parse.php?mlay_id=2500&mdoc_id=1000465 Howard Gardner unterscheidet insgesamt 9 unterschiedliche Intellegenzien, die jeweils unterschiedliche Lernangebote brauchen: Sprachliche Intelligenz, Musikalische Intelligent, Logisch-mathematische Intelligenz, Räumliche Intelligenz, Körperlich-kinästhetische Intelligenz, Intrapersonale Intelligenz, Interpersonale Intelligenz, Naturalistische Intelligenz und Existentielle Intelligenz.
[4] Vgl. Hilger, Ziebertz: Wer lernt? – Die Schülerinnen und Schüler als Subjekte religiösen Lernens, S. 189.
[5] Definition nach Hemel, Religiöse Kompetenz als Ziel des Religionsunterrichts, S. 6.

 

Kompetenzorientierter Religionsunterricht in der Kursstufe: Herunterladen [pdf] [411 KB]