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Das Ge­spräch

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Mo­dera­tor:

Meine Her­ren, in den USA hal­ten ca. 50 % der Be­frag­ten es für mög­lich, dass die Welt so ent­stan­den ist, wie es im Buch Ge­ne­sis steht. Die Krea­tio­nis­ten sind im Vor­marsch und keine noch so kluge wis­sen­schaft­li­che und theo­lo­gi­sche Ar­gu­men­ta­ti­on kann sie stop­pen. Herr Pro­fes­sor Daw­kins, Sie haben sich mehr­mals mit die­sen „Vor­gest­ri­gen“, wie Sie diese Men­schen in einem In­ter­view ge­nannt haben, aus­ein­an­der­ge­setzt, und dies auch recht po­le­misch. Hat Ihre Kri­tik etwas be­wirkt?

Daw­kins:

Ich hoffe, doch! Aber man muss wohl ein­räu­men, dass bei vie­len Ver­tre­tern des Krea­tio­nis­mus der Ver­stand aus­setzt, wenn sie sich an­ma­ßen, über die Ent­ste­hung der Welt und des Men­schen Aus­sa­gen zu ma­chen. Das ist wirk­lich von vor­ges­tern. Nai­ves Den­ken, wört­li­ches Bi­bel­ver­ständ­nis, un­wis­sen­schaft­li­che Schluss­fol­ge­run­gen, kurz: eine fun­da­men­ta­lis­ti­sche Auf­fas­sung, die auch noch mis­sio­na­risch vor­ge­tra­gen wird. Fakt ist auf jeden Fall, dass an der Evo­lu­ti­ons­theo­rie kein se­riö­ser Wis­sen­schaft­ler vor­bei kommt. Das habe ich auch in mei­nem letz­ten Buch „The Grea­test Show on Earth“ un­miss­ver­ständ­lich dar­ge­legt.

Mo­dera­tor:

Herr Pro­fes­sor Gitt, das wird Ihnen wohl nicht ge­fal­len. In ihrem Buch „So steht’s ge­schrie­ben“ spre­chen Sie von „einer Zeit des zu­neh­men­den Ab­falls von Gott“, ein Pro­zess, der nach Ihrer An­sicht damit zu tun hat, dass die Bibel als Ur­kun­de des Glau­bens keine un­um­stöß­li­che Au­to­ri­tät mehr hat.

Gitt:

Das sieht man ja an den Äu­ße­run­gen von Herrn Daw­kins. Er lehnt nicht nur die Bibel als Grund­la­ge des Schöp­fungs­glau­bens ab, er lehnt in einem Rund­um­schlag jeg­li­chen Schöp­fer, also Gott selbst ab. (Zu Daw­kins) Woher Sie Ihre Ge­wiss­heit neh­men, ist mir ein Rät­sel. Wenn Sie schon nicht glau­ben kön­nen, dann wäre für Sie wohl der Stand­punkt des Agnos­ti­zis­mus an­ge­mes­se­ner. Na­tür­lich hat sich in der Bi­bel­wis­sen­schaft eine Ten­denz durch­ge­setzt, die Hei­li­ge Schrift nur noch his­to­risch-kri­tisch zu un­ter­su­chen, mei­nes Er­ach­tens ist aber der wis­sen­schaft­li­che Zu­griff von Grund auf falsch, weil er von außen an die Bibel her­an­geht und sie wie jedes an­de­re Buch der Welt­li­te­ra­tur ver­steht. Wie ein Buch also, das von Men­schen in ihrem ge­schicht­lich be­ding­ten Vor­stel­lungs­ho­ri­zont ver­fasst wurde. Wo ist da noch Got­tes Wort? Ist die Bibel dann noch gött­li­ches Do­ku­ment?

Daw­kins:

Was die Bibel auch sein mag, an der Tat­sa­che der Evo­lu­ti­on, wie sie Dar­win uns er­klärt hat, führt kein Weg vor­bei. „Wir sind Vet­tern der Schim­pan­sen, etwas weit­läu­fi­ge­re Vet­tern der Kleinaf­fen, noch weit­läu­fi­ge­re Ver­wand­te der Erd­fer­kel und See­kü­he und noch weit­läu­fi­ge­re Ver­wand­te der Ba­na­nen und Steck­rü­ben...“ (Daw­kins 1, S. 17). Das müs­sen auch Sie, Herr Gitt, zur Kennt­nis neh­men. Alles, was in Ge­ne­sis steht, ist eben über­holt, ist ja auch schon zwei­ein­halb­tau­send Jahre her. Es gibt keine Al­ter­na­ti­ve zur Evo­lu­ti­ons­leh­re. Jede gute, wis­sen­schaft­li­che Theo­rie ist grund­sätz­lich für eine Fal­si­fi­ka­ti­on offen. Auch wenn es si­cher noch Er­klä­rungs­lü­cken gibt, wird die Evo­lu­ti­ons­theo­rie in den Wis­sen­schaf­ten ak­zep­tiert. Sie ist auch nicht wi­der­legt.

Gitt:

Wie Sie das so tri­um­phie­rend sagen, ge­fällt mir nicht, Herr Daw­kins. Die Bibel ist zwar nicht „vom Him­mel ge­fal­len“, den­noch kom­men ihre Worte von Gott, denn der Hei­li­ge Geist hat die Ver­fas­ser beim Schrei­ben ge­lei­tet. Ich bin über­zeugt: Gott ach­te­te auf die Ab­fas­sung der Ur­tex­te bis hin­ein in sprach­li­che Aus­drucks­wei­sen. Da­durch ist die Bibel in all ihren Aus­sa­gen ver­bind­lich.

Mo­dera­tor:

Herr Gitt, Sie be­haup­ten damit: Nur ein wört­li­ches Ver­ständ­nis wird der Bibel ge­recht. Aber was ist dann mit den Schöp­fungs­be­rich­ten? Es glaubt doch kaum noch einer, dass die Welt in sechs Tagen er­schaf­fen wurde. Wir wer­den nach­her auch Pro­fes­sor Haw­king dazu be­fra­gen.

Gitt:

Ich stim­me Ihnen zu, dass wir von „Schöp­fungs be­rich­ten “ spre­chen kön­nen, denn allzu häu­fig wird die­ser Be­griff heute er­setzt durch „Schöp­fungs er­zäh­lun­gen “ oder „Schöp­fungs texte “. Vie­les wird ver­wäs­sert, was Jahr­hun­der­te lang selbst­ver­ständ­lich war. Eines ist doch un­um­stöß­lich wahr: Nie­mand war bei der Ent­ste­hung der Welt oder des Le­bens di­rek­ter Be­ob­ach­ter und kann nicht wahr­heits­ge­treu be­rich­ten. So kann auch hier nur der Schöp­fer selbst die ein­zig gül­ti­ge In­for­ma­ti­on geben. Auch Papst Jo­han­nes Paul II. hat im Jahr 1996 mei­nes Er­ach­tens die Evo­lu­ti­ons­leh­re vor­schnell ak­zep­tiert und damit grund­le­gen­de bi­bli­sche Aus­sa­gen in Frage ge­stellt.

Mo­dera­tor:

Ich kann mich an den Ar­ti­kel im „Focus“ vom 21.12.1996 er­in­nern, dort war zu lesen: „Die Welt ist rund wie eine Weih­nachts­ku­gel, sie dreht sich um die Sonne, und seit dem 22. Ok­to­ber die­ses Jah­res (1996) stammt der Mensch auch nach An­sicht der ka­tho­li­schen Kir­che vom Affen ab. Es war der Tag, an dem der Papst den letz­ten gro­ßen his­to­ri­schen Streit zwi­schen Kir­che und Wis­sen­schaft end­gül­tig zu den Akten ins Va­ti­ka­ni­sche Ar­chiv legte.“

Gitt:

Das trieft vor Iro­nie und ist ein gro­ßes Miss­ver­ständ­nis!

Daw­kins:

Ja, aber nur bei der Aus­sa­ge „Der Mensch stammt vom Affen ab“. Wir wis­sen alle, dass Homo sa­pi­ens sa­pi­ens und Men­schen­af­fen eine ge­mein­sa­me Wur­zel haben, auch wenn dies, lie­ber Herr Gitt, nicht in der Bibel steht. Ich wie­der­ho­le: Das Prin­zip der na­tür­li­chen Aus­le­se, des sur­vi­val of the fit­test, ist der Motor der Evo­lu­ti­on. Diese wird heute von allen ver­nünf­tig den­ken­den Men­schen, sogar vom Papst – das macht ihn mir sym­pa­thisch – ak­zep­tiert.

Mo­dera­tor:

Pro­fes­sor Haw­king, ich denke, es ist an der Zeit, dass wir Sie zu Wort kom­men las­sen. Wei­ten wir un­se­re Be­trach­tung aus auf die un­fass­lich gro­ßen Di­men­sio­nen des Uni­ver­sums, aber auch die fei­nen Struk­tu­ren des Mi­kro­kos­mos. In Ihrem neuen Buch „Der große Ent­wurf“, Un­ter­ti­tel „Eine neue Er­klä­rung des Uni­ver­sums“, be­haup­ten Sie in doch recht am­bi­tio­nier­ter Weise, dass un­se­re Welt kei­nen Schöp­fer braucht. Wie ist das zu ver­ste­hen?

Haw­king:

Frü­her war es üb­lich, hin­ter allen un­er­klär­li­chen Na­tur­er­schei­nun­gen ir­gend­wel­che Göt­ter an­zu­neh­men. Un­glück galt häu­fig als Hin­weis dafür, dass man die Göt­ter ir­gend­wie be­lei­digt hatte. Da sie die Na­tur­ge­set­ze nicht er­forscht hat­ten, er­fan­den die Men­schen Göt­ter, die in jeden Be­reich des mensch­li­chen Le­bens hin­ein­wirk­ten. Das ist end­lich über­wun­den, heute reden wir nicht mehr von einem di­rek­ten Ein­fluss der Göt­ter, viel­mehr wird alles Ge­sche­hen von Na­tur­ge­set­zen be­stimmt.

Mo­dera­tor:

In Ihrem Buch be­zeich­nen Sie die „Hy­po­the­se Gott“ als völ­lig über­flüs­sig. Gott brau­che man weder zur Er­klä­rung von Na­tur­er­eig­nis­sen noch sei er der Be­grün­der der Na­tur­ge­set­ze, wie es Kep­ler, Ga­li­lei und New­ton an­ge­nom­men hat­ten, sogar als Schöp­fer, der z.B. den Ur­knall in Gang ge­setzt hat, könne er ab­dan­ken.

Haw­king:

Ganz rich­tig! Wenn wir die geis­tes- und re­li­gi­ons­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung zu­rück­ver­fol­gen, dann kann man sagen, dass Gott seine Macht und sei­nen Platz in der Welt immer mehr ab­tre­ten muss­te. Mit zu­neh­men­dem Fort­schritt in den Na­tur­wis­sen­schaf­ten wurde er immer mehr hin­aus­ge­drängt, aber als „ers­ter Be­we­ger“, als erste Wir­kur­sa­che, die den gan­zen Pro­zess der Ent­ste­hung der Welt und des Le­bens in­iti­iert hat, wurde er nicht an­ge­tas­tet. Die­sen Ge­dan­ken ver­tritt ja auch der De­is­mus , der sagt, dass Gott zwar die Welt er­schaf­fen hat, aber nicht in sie ein­greift, son­dern sie den ei­ge­nen Ge­set­zen über­lässt, wie ein Uhr­ma­cher, der sich um seine Uhren nicht mehr küm­mert. Doch jetzt hat Gott auch diese Funk­ti­on ver­lo­ren. Wir gehen von einer Theo­rie aus, nach der das Uni­ver­sum ohne Schöp­fer ins Da­sein ge­tre­ten ist.

Gitt:

Das ist nicht se­ri­ös! Das ist nicht wis­sen­schaft­lich! Wir alle wis­sen, dass es nach dem Kau­sa­li­täts­ge­setz zu jeder Wir­kung eine Ur­sa­che geben muss. Wie soll denn etwas aus dem Nichts ent­ste­hen?

Daw­kins:

Ich danke Herrn Haw­king für die klare Sicht der Dinge. Für mein Fach kann ich nur sagen: Für das Ver­ständ­nis der Evo­lu­ti­on brau­chen wir Gott nicht, im Ge­gen­teil, er stört nur. Es gilt die Ei­gen­ge­setz­lich­keit der Natur zu ver­ste­hen. Der Glau­be an Gott ver­ne­belt nur den Blick auf wis­sen­schaft­li­che Fak­ten.

Mo­dera­tor:

Herr Pro­fes­sor Lenn­ox, Sie haben sich in ihrem Buch „Ste­phen Haw­king, das Uni­ver­sum und Gott“  kri­tisch mit den Be­haup­tun­gen von Herrn Haw­king aus­ein­an­der­ge­setzt. Warum?

Lenn­ox:

Herr Haw­king meint, die Phy­sik, ins­be­son­de­re die Kos­mo­lo­gie, lasse kei­nen Raum mehr für Gott, denn sie habe den letz­ten Ort be­sei­tigt, an dem er hätte zu fin­den sein kön­nen: die un­ge­klär­te Frage nach der Ent­ste­hung des Uni­ver­sums. Eine der Kern­aus­sa­gen in Der große Ent­wurf lau­tet: „Da es ein Ge­setz wie das der Gra­vi­ta­ti­on gibt, kann und wird sich das Uni­ver­sum ... aus dem Nichts er­zeu­gen“ (Haw­king, S. 177). Doch was heißt hier „Nichts“? Haw­king geht davon aus, dass ein Ge­setz der Gra­vi­ta­ti­on exis­tiert; das ist doch „Etwas“ und nicht „Nichts“. Seine These, ein Na­tur­ge­setz, näm­lich das Gra­vi­ta­ti­ons­ge­setz, sei die Er­klä­rung für die Exis­tenz des Uni­ver­sums, ent­hält einen Wi­der­spruch in sich selbst, denn ein Na­tur­ge­setz kann es nicht geben, wenn die Natur nicht vor­her exis­tiert.

Daw­kins:

Sind das nicht Spitz­fin­dig­kei­ten? Ent­schei­dend ist doch, dass kein se­riö­ser Wis­sen­schaft­ler Gott ins Spiel bringt, wenn er forscht und Er­kennt­nis­se ge­ne­riert. Auch Dar­win schon wuss­te mit Gott nichts an­zu­fan­gen, denn in die­ser ge­walt­tä­ti­gen, oft­mals grau­sa­men Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te, wo der Stär­ke­re mit dem Schwä­che­ren macht, was er will, ist kein Platz für einen lie­ben­den Gott, der für seine Ge­schöp­fe sorgt. Sehen wir der Wahr­heit ins Auge!

Mo­dera­tor:

Noch ein­mal zu­rück zu Pro­fes­sor Haw­king. Sie sind also der Mei­nung, dass es für die Exis­tenz des Uni­ver­sums kei­nes Schöp­fers und kei­ner me­ta­phy­si­schen Ur­sa­che be­darf. Die Grund­fra­ge der Phi­lo­so­phie „Warum exis­tiert etwas und nicht viel­mehr nichts?“ be­ant­wor­ten Sie ohne jeden re­li­giö­sen Bezug?

Haw­king:

Ich möch­te noch­mals klar­stel­len: Ein Na­tur­ge­setz taugt in wis­sen­schaft­li­cher Hin­sicht gar nichts, wenn seine Gül­tig­keit nur so lange be­steht, so lange ein über­na­tür­li­ches Wesen nicht ein­greift. Aris­to­te­les ging von der An­nah­me aus, dass es das Uni­ver­sum schon immer gab, um der Frage nicht be­ant­wor­ten zu müs­sen, wie es ent­stan­den sei. An­de­re glaub­ten, das Uni­ver­sum habe einen An­fang, und ver­wen­de­ten dies als Ar­gu­ment für die Exis­tenz Got­tes. Die Er­kennt­nis, dass die Zeit sich wie ein Raum ver­hält – dies genau zu ex­pli­zie­ren fehlt mir hier die Ge­le­gen­heit –, lie­fert eine neue Sicht­wei­se. Am Be­ginn allen Seins ste­hen die Ge­set­ze der Wis­sen­schaft und nicht ir­gend­ein Gott, der alles an­ge­sto­ßen hat. Das ist eine Ein­sicht, die sich aus mei­nem wis­sen­schaft­li­chen Mo­dell zwangs­läu­fig er­gibt.

Lenn­ox:

Mir scheint da ein Denk­feh­ler vor­zu­lie­gen. Noch­mals: Die Ge­set­ze der Phy­sik sind nicht in der Lage etwas zu er­schaf­fen. „New­tons be­rühm­te Be­we­gungs­ge­set­ze [haben] nie eine Bil­lard­ku­gel dazu ge­bracht, über den grü­nen Filz zu rol­len. Das kön­nen nur Men­schen mit einem Bil­lard­queue und den Be­we­gun­gen ihrer Mus­keln be­werk­stel­li­gen“ (Lenn­ox, S. 29). Mit den Ge­set­zen kön­nen wir z.B. die Bahn der Kugel be­rech­nen, diese aber nie „er­schaf­fen“. Auch für Prof. Haw­king muss die Frage offen blei­ben: Warum gibt es etwas und nicht ein­fach nichts? Wer soll das Ganze an­ge­sto­ßen haben, wenn nicht ein Schöp­fer­gott?

Haw­king:

Alle meine For­schun­gen und Über­le­gun­gen, die ich ge­gen­über der Fach­welt auch er­läu­tern werde, las­sen den Schluss zu: Das Uni­ver­sum kann sich auf­grund des Gra­vi­ta­ti­ons­ge­set­zes selbst er­zeu­gen, und zwar aus dem Nichts!. Wir spre­chen hier­bei von einem „spon­ta­nen quan­ten­me­cha­ni­schen Tun­nel­pro­zess“, d.h. spon­ta­ne Er­zeu­gung ist der Grund, warum etwas ist und nicht ein­fach nichts. Es ist über­flüs­sig, „Gott als den ers­ten Be­we­ger zu be­mü­hen, der das Licht ent­zün­det und das Uni­ver­sum in Gang ge­setzt hat“ (Haw­king, S. 177).

Mo­dera­tor:

Kom­men wir noch ein­mal auf die Evo­lu­ti­on des Le­bens zu­rück. Herr Daw­kins ist der Auf­fas­sung, dass die Evo­lu­ti­on kein von einem über­welt­li­chen Pla­ner vor­ge­ge­be­nes Ziel hat. Alle Evo­lu­ti­ons­me­cha­nis­men, z.B. die Se­lek­ti­on, lau­fen un­ab­hän­gig davon ab, ob es einen hö­he­ren Plan oder ein Ziel gibt. Könn­ten Sie dies uns noch­mals ge­nau­er er­klä­ren, Herr Daw­kins?

Daw­kins:

Es gibt kei­nen Gott, der die Evo­lu­ti­on lenkt, da bin ich mir si­cher. Wie könn­te sonst ein all­mäch­ti­ger und wohl­wol­len­der Ge­stal­ter so ent­setz­li­ches Lei­den, z.B. in der Tier­welt, zu­las­sen. Die Löwen rei­ßen die An­ti­lo­pen, die Ge­par­de jagen Ga­zel­len, die Schlupf­wes­pen legen ihre Eier in le­ben­de In­sek­ten, die dann die Opfer von innen her­aus auf­fres­sen. Und alles soll ein Schöp­fer­gott wun­der­bar ge­stal­tet haben? Nein! Da ak­zep­tie­re ich lie­ber die har­ten Ge­set­ze der Evo­lu­ti­on und hänge kei­nen re­li­giö­sen Träu­men nach.

Lenn­ox:

Das ist wie­der mal klar! Das viele Leid, das wir er­le­ben, gegen Gott aus­spie­len! Als müss­te der immer dann schnell ein­grei­fen, wenn etwas auf der Welt schief­läuft. Wir Men­schen ver­ur­sa­chen doch selbst viel Leid, weil wir nicht in der Lage sind, mit un­se­rer Frei­heit ver­ant­wort­lich um­zu­ge­hen. Ich will aber noch etwas an­de­res sagen: Ge­ra­de die Na­tur­wis­sen­schaft hat durch ihre um­fas­sen­den For­schun­gen ge­zeigt, dass alles, was exis­tiert, in einem fein ge­spon­ne­nen Netz mit­ein­an­der ver­knüpft ist, dass es Ord­nung und Struk­tur gibt, im Ma­kro­kos­mos eben­so wie im Mi­kro­kos­mos.

Haw­king:

Struk­tur gibt es wohl, aber die hat nicht ein Gott ge­schaf­fen, son­dern die re­sul­tiert aus den Na­tur­ge­set­zen.

Lenn­ox:

Unser Leben hängt ja quasi am sei­de­nen Faden. Alle Be­din­gun­gen, die im und nach dem Ur­knall ge­schaf­fen wur­den, sind so fein auf­ein­an­der ab­ge­stimmt und kom­plex, dass eine klei­ne Ver­schie­bung der Na­tur­kon­stan­ten zu einer völ­lig an­de­ren Ent­wick­lung ge­führt hätte. Fred Hoyle hat ein­mal ge­sagt: „Die Wahr­schein­lich­keit, dass Leben auf der Erde ent­steht, ist nicht grö­ßer als die, dass ein Wir­bel­sturm, der über einen Schrott­platz fegt, rein zu­fäl­lig eine Boe­ing 747 zu­sam­men­baut“ (vgl. Daw­kins 2, S. 156) Steckt hin­ter die­sem fine tu­ning nicht ein in­tel­li­gen­ter Plan, ein gött­li­cher De­si­gner? Ich möch­te Sie nicht trak­tie­ren, aber schau­en Sie nur mal auf die Dif­fe­renz der Mas­sen von Neu­tron und Pro­ton. Sie ist sehr ge­ring, näm­lich un­ge­fähr ein Tau­sends­tel des Ei­gen­ge­wichts der bei­den Teil­chen, und ent­spricht gleich­zei­tig exakt der dop­pel­ten Masse eines Elek­trons. Würde man diese Mas­se­ver­hält­nis­se nur ge­ring­fü­gig än­dern, könn­ten sich keine Atom­ker­ne bil­den und die Ent­wick­lung eines hoch­struk­tu­rier­ten Uni­ver­sums wäre un­denk­bar.

Daw­kins:

Das ist doch alles kein Got­tes­be­weis!

Lenn­ox:

Aber diese Er­kennt­nis­se las­sen zu­min­dest die Frage stel­len: Warum ist in un­se­rem Kos­mos alles so ge­ord­net und struk­tu­riert? Und gibt es in der Evo­lu­ti­on nicht eine Auf­wärts­ent­wick­lung zu immer kom­ple­xe­ren For­men? Ist da nicht ein ziel­ge­rich­tet han­deln­der Schöp­fer am Werk, ist da nicht ein te­leo­lo­gi­sches Prin­zip zu er­ken­nen? Wir spre­chen nicht um­sonst vom „An­thro­pi­schen Prin­zip“.

Gitt:

Na­tür­lich kön­nen wir eine ziel­ge­rich­te­te Auf­wärts­ent­wick­lung er­ken­nen, das sagt ja auch der Sechs-Tage-Be­richt. Am Schluss, quasi als Krö­nung wurde der Mensch er­schaf­fen.

Daw­kins:

... den es ir­gend­wann in der jet­zi­gen Form nicht mehr geben wird, denn die Evo­lu­ti­on schrei­tet per­ma­nent voran und bringt neue Le­bens­for­men her­vor.

Haw­king:

Auch wird es wohl mög­lich sein, ir­gend­wann noch an­de­res Leben in die­sem un­er­mess­li­chen Uni­ver­sum zu ent­de­cken. Wir dür­fen nicht glau­ben, dass wir die Ein­zi­gen sind. Das bringt die Theo­lo­gen doch in große Ver­le­gen­heit!  

Lenn­ox:

Neh­men wir doch mal das Phä­no­men der ir­re­du­zi­blen bzw. nicht re­du­zier­ba­ren Kom­ple­xi­tät. Was ist damit ge­meint? Unser Auge ist ein hoch­kom­ple­xes Ge­bil­de. Es hat sich nicht ein­fach in einem ad­di­ti­ven Pro­zess Schritt für Schritt aus Zwi­schen­for­men ent­wi­ckelt. Das Ganze ist nicht ein­fach die Summe sei­ner Teile, son­dern hat eine qua­li­ta­tiv neue Stufe er­reicht. Wenn man ein Teil her­aus­löst, ist die Funk­ti­on des gan­zen Auges zer­stört. In sei­ner Kom­ple­xi­tät kann unser Seh-Organ also nicht nur durch Evo­lu­ti­on ent­stan­den sein, son­dern – und es ist durch­aus mit einer wis­sen­schaft­li­chen Sicht­wei­se zu ver­ein­ba­ren – durch Ge­stal­tung. Ein krea­ti­ver Schöp­fer, ein plan­vol­ler De­si­gner, wir Chris­ten nen­nen ihn Gott, hat die­ses Auge, das uns die Wun­der der Welt er­bli­cken lässt, er­mög­licht.

Daw­kins:

Das Ge­stal­tungs­ar­gu­ment ist leicht zu wi­der­le­gen. Un­wahr­schein­li­che, hoch­kom­ple­xe Phä­no­me­ne kön­nen in viele klei­ne Teile zer­legt wer­den. Die fei­nen Zu­sam­men­hän­ge, die Kom­ple­xes be­din­gen, haben wir in vie­len Be­rei­chen schon ent­deckt. Bis­her Un­ent­deck­tes ver­weist nicht auf einen au­ßer­ir­di­schen, gött­li­chen Ge­stal­ter, son­dern ist wei­ter­hin Ob­jekt wis­sen­schaft­li­cher For­schung. Ich möch­te das Pro­blem in einer Pa­ra­bel auf­zei­gen: „Auf einer Seite [eines] Ber­ges ist eine Fels­wand, die man un­mög­lich be­stei­gen kann, aber auf der an­de­ren Seite führt eine sanf­te Bö­schung zum Gip­fel. Auf dem Gip­fel steht ein kom­ple­xes Ge­bil­de, bei­spiels­wei­se ein Auge oder der Fla­gel­len­mo­tor der Bak­te­ri­en. Die ab­sur­de Vor­stel­lung, diese Kom­ple­xi­tät könne sich spon­tan selbst bil­den“ (oder eben durch das Ein­wir­ken eines Ge­stal­ters), „wird durch den Sprung vom Fuß der Fels­wand zum Gip­fel sym­bo­li­siert. Die Evo­lu­ti­on da­ge­gen be­gibt sich auf die an­de­re Seite des Ber­ges und kriecht über die sanf­te Stei­gung zum Gip­fel“ (Daw­kins 2, S. 169). Nein, ein Ein­grei­fen eines Schöp­fers in die Na­tur­zu­sam­men­hän­ge gibt es nicht.

Mo­dera­tor:

Es gäbe noch viel zu sagen, aber, meine Her­ren, wir müs­sen unser äu­ßerst in­ter­es­san­tes Ge­spräch be­en­den. Die Frage nach Gott und sei­nem Ver­hält­nis zur Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te des Uni­ver­sums und des Le­bens bleibt um­strit­ten. Die Theo­lo­gie wird uns, wenn sie ihren Ein­fluss be­hal­ten will, plau­si­ble Ant­wor­ten geben müs­sen. Man darf ge­spannt sein. Herz­li­chen Dank für Ihre Teil­nah­me an die­sem Po­di­ums­ge­spräch!

Hin­weis : Me­tho­di­scher Vor­schlag zur Er­ar­bei­tung der ver­schie­de­nen Po­si­tio­nen: siehe 2.13

 

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