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Text: Ger­hard Loh­fink

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Wel­che Ar­gu­men­te hat der neue Athe­is­mus? Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung, 2008, S. 45 ff.

Ger­hard Loh­fink, geb. 1934, war bis 1986 Pro­fes­sor für Neues Tes­ta­ment an der Uni­ver­si­tät Tü­bin­gen. Seit­her lebt und ar­bei­tet er in Mün­chen in der Ka­tho­li­schen In­te­grier­ten Ge­mein­de.

Über die Evo­lu­ti­on lässt sich na­tur­wis­sen­schaft­lich un­end­lich viel sagen. Aber nichts davon wi­der­legt den Got­tes­glau­ben und den Glau­ben an die Welt als Schöp­fung Got­tes. Die Na­tur­wis­sen­schaft­ler sol­len ruhig hart daran ar­bei­ten, die Phä­no­me­ne der Evo­lu­ti­on zu sich­ten und zu ord­nen. Sie sol­len uns zei­gen, wie vor rund 4 – 6 Mil­li­ar­den Jah­ren die ers­ten Zel­len ent­stan­den sind, also der Über­gang vom An­or­ga­ni­schen zum Or­ga­ni­schen, von der un­be­leb­ten Ma­te­rie zu der äl­tes­ten Form von Leben – der Über­gang zu einer Struk­tur, die sich selbst ko­pie­ren kann und die einen Stoff­wech­sel hat. Wahr­schein­lich ge­schah die­ser Über­gang bei den so­ge­nann­ten Blau­al­gen. Viel­leicht waren aber auch Bak­te­ri­en die ers­ten Le­be­we­sen. Die Na­tur­wis­sen­schaft­ler sol­len uns ruhig immer ge­nau­er zei­gen, wie dann aus den äl­tes­ten, noch re­la­tiv ein­fa­chen Bau­for­men des Le­bens kom­ple­xe­re Or­ga­nis­men ent­stan­den sind... Und sie sol­len uns immer ge­nau­er und immer de­tail­lier­ter zei­gen, wie sich dann vor 2 – 5 Mil­lio­nen Jah­ren der Mensch lang­sam, un­end­lich lang­sam aus sei­nen tie­ri­schen Vor­fah­ren ent­wi­ckelt hat... Gegen all das hat ein ver­nünf­ti­ger Christ heute nicht mehr das Ge­rings­te ein­zu­wen­den. Im Ge­gen­teil: Er wird sich an der Evo­lu­ti­on er­freu­en. Er wird den un­end­li­chen Reich­tum sich bil­den­der For­men be­wun­dern. Er wird stau­nen über das Sich-Her­an­tas­ten der Evo­lu­ti­on an immer kom­ple­xe­re Struk­tu­ren, und er wird hin­ter dem Spiel von Re­pro­duk­ti­on, Mu­ta­ti­on und Se­lek­ti­on und der un­fass­li­chen Fülle, die aus die­sem Spiel her­vor­geht, nicht nur die Natur, son­dern hin­ter der Natur Gott selbst am Werk sehen.

Lei­der gibt es christ­li­che Fun­da­men­ta­lis­ten, die hier aus einem fal­schen Bi­bel­ver­ständ­nis her­aus noch immer an­de­rer Mei­nung sind. Sie leh­nen die Evo­lu­ti­ons­theo­rie ra­di­kal ab. Doch fügen sie dem Chris­ten­tum damit schwe­ren Scha­den zu. Sie haben immer noch nicht be­grif­fen, was es heißt, die Bibel wört­lich zu neh­men. Denn „wört­lich“ nimmt man die Bibel ge­ra­de dann, wenn man die Art, in der sie redet, ernst nimmt: das heißt, wenn man ihre Text­gat­tun­gen be­ach­tet. Den Text von der Schöp­fung in Ge­ne­sis 1 zum Bei­spiel neh­men wir nur dann wört­lich, wenn wir ihn nicht als na­tur­his­to­ri­sche Do­ku­men­ta­ti­on lesen, son­dern als eine hoch­theo­lo­gi­sche Er­zäh­lung, die Gott als den Schöp­fer Him­mels und der Erde zei­gen und zu­gleich die In­sti­tu­ti­on des Sab­bats von der Schöp­fungs­ord­nung her be­grün­den will. Des­halb ar­bei­tet Gott sechs Tage lang und ruht sich am sieb­ten Tag von sei­ner Ar­beit aus. Die bi­bli­sche Schöp­fungs­ge­schich­te zeigt üb­ri­gens selbst, dass sie nicht als kos­mo­lo­gi­sche be­zie­hungs­wei­se bio­lo­gi­sche Do­ku­men­ta­ti­on ge­le­sen sein möch­te. Es gibt näm­lich in Ge­ne­sis 1 – 2 zwei Schöp­fungs­er­zäh­lun­gen, die sich grund­le­gend von­ein­an­der un­ter­schei­den. (. . .)

Nun haben aber die Re­dak­to­ren der Ge­ne­sis beide Schöp­fungs­er­zäh­lun­gen an­ein­an­der­ge­reiht und mit­ein­an­der ver­fugt. Sie wuss­ten durch­aus, dass sie dabei mit un­ter­schied­li­chem Er­zähl­ma­te­ri­al ar­bei­te­ten. Wir wür­den heute sagen: Sie haben mit dif­fe­rie­ren­den Wel­tent­ste­hungs-Theo­ri­en ge­ar­bei­tet. Aber ge­ra­de diese Frei­heit im Um­gang mit je ver­schie­de­nem Er­fah­rungs­ma­te­ri­al zeigt: Sie woll­ten gar nicht in ers­ter Linie bio­lo­gi­sche oder kos­mo­lo­gi­sche Theo­ri­en ver­tre­ten. Sie woll­ten viel­mehr theo­lo­gisch her­aus­ar­bei­ten, dass Gott alles er­schaf­fen hatte. Na­tür­lich taten sie das mit den Mit­teln ihrer Zeit. Weil das so ist, neh­men Fun­da­men­ta­lis­ten, die mit Ge­ne­sis 1 und 2 kos­mo­lo­gisch oder bio­lo­gisch ar­gu­men­tie­ren, den bi­bli­schen Text ge­ra­de nicht wört­lich. Sie lesen die Bibel schon im Grund­an­satz falsch. Sie lesen sie gegen ihre Aus­sa­ge-In­ten­ti­on. Die Bibel kann des­halb nicht gegen die Evo­lu­ti­on ins Feld ge­führt wer­den. Üb­ri­gens kann sie das auch des­halb nicht, weil die große Schöp­fungs­er­zäh­lung in Ge­ne­sis 1 we­nigs­tens an einer Stel­le sel­ber ein Stück weit evo­lu­tiv denkt. Die Pflan­zen und die Tiere wer­den näm­lich von Gott nicht di­rekt, mit ei­ge­ner Hand, ge­schaf­fen, son­dern die „Erde“ bringt sie her­vor...

Gott schafft also die Pflan­zen und die Tiere nicht un­mit­tel­bar. Die Erde lässt sie aus sich her­aus ent­ste­hen. Und doch hat Gott die Pflan­zen und die Tiere „ge­macht“. Bei den Tie­ren wird das aus­drück­lich fest­ge­stellt. Es ist aber auch schon da­durch aus­ge­drückt, dass Gott ja der Erde den Be­fehl gibt, Pflan­zen und Tiere ent­ste­hen zu las­sen... Hat der Er­zäh­ler von Ge­ne­sis 1 schon ge­ahnt, dass die For­men des Le­bens nicht un­mit­tel­bar von Gott ge­schaf­fen sein müs­sen, son­dern dass Gott in seine Schöp­fung die Kraft ge­legt hat, Leben zu ent­wi­ckeln und her­vor­zu­brin­gen? Wir wis­sen es nicht mit Si­cher­heit. Aber eines wis­sen wir: Dass die christ­li­chen Fun­da­men­ta­lis­ten von der Bibel nichts wis­sen! Eine sach­ge­rech­te Bi­bel­aus­le­gung hat  also mit der Evo­lu­ti­ons­leh­re nicht die ge­rings­ten Schwie­rig­kei­ten – so­lan­ge diese ihre Gren­zen nicht über­schrei­tet. Kon­kret: Wenn Bio­lo­gen von „sich selbst or­ga­ni­sie­ren­der Natur“ reden oder vom „Ex­pe­ri­men­tie­ren der Evo­lu­ti­on“ oder der „Krea­ti­vi­tät der Evo­lu­ti­on“, so ist sol­che Re­de­wei­se theo­lo­gisch durch­aus ak­zep­ta­bel. Sie muss – in sich ge­se­hen – nicht aus­schlie­ßen, dass diese Natur Schöp­fung Got­tes ist. Gott hat die Welt so ge­schaf­fen, dass sie sich hoch­ent­wi­ckeln soll zu immer hö­he­rem Selb­stand – und zwar als „Natur“, das heißt, als Aus-sich-selbst-Her­aus­wach­sen­de. Die Ho­mi­ni­sa­ti­on, die Mensch­wer­dung des Men­schen, ist dann ganz das Werk Got­tes und ganz das Werk der Natur. Aber die Natur ist von Gott so ge­schaf­fen, dass sie als die Spit­ze der Evo­lu­ti­on den Men­schen her­vor­bringt. Die Geist­see­le, die den Men­schen grund­le­gend von jedem Tier un­ter­schei­det, ist Ge­schenk Got­tes – und den­noch Geist, auf den die Schöp­fung schon immer an­ge­legt und der ihr inne war. Die Vor­stel­lung be­stimm­ter Theo­lo­gen, dass Gott an den Schalt­stel­len der Evo­lu­ti­on je­weils als eine Art Lü­cken­bü­ßer ein­grei­fe, ist nicht nur über­flüs­sig. Sie ist theo­lo­gisch zu­tiefst frag­wür­dig. Sie wird der Art des Wir­kens Got­tes nicht ge­recht. Diese Vor­stel­lung ver­sucht einen Mix zwi­schen Schöp­fungs­glau­ben und Evo­lu­ti­ons­theo­rie an der fal­schen Stel­le und macht Gott dabei zu einer in­ner­welt­li­chen Ur­sa­che. Sie zer­stört die Ra­di­ka­li­tät der Schöp­fungs­aus­sa­ge. Gott greift nicht nur ge­le­gent­lich, son­dern immer und über­all ein. Ge­nau­er: Er trägt die Welt durch­ge­hend als tran­szen­den­te Ur­sa­che und als alles zu sich her­an­zie­hen­des Ziel. Des­halb ist die ge­sam­te Evo­lu­ti­on von Gott ge­wollt und be­trie­ben – und doch Selbst­her­vor­brin­gung der Natur mit stän­di­gem Pro­bie­ren, mit Ver­such und Irr­tum, mit Miss­lin­gen und Ge­lin­gen, mit evo­lu­ti­ven Sack­gas­sen und mit einer im Gan­zen ir­ri­tie­ren­den Nicht-Ge­rad­li­nig­keit. Das ge­ra­de ist die un­ge­heu­re Frei­heit, in der Gott seine Schöp­fung will – und eben darin liegt die Größe des Schöp­fers.

Damit soll­te klar sein: Dass sich der Mensch aus dem Tier­reich hoch­ent­wi­ckelt hat, schließt Gott als Schöp­fer in kei­ner Weise aus. Die Evo­lu­ti­ons­theo­rie ist alles an­de­re als ein Be­weis gegen Gott. Sie muss die Got­tes­fra­ge völ­lig offen las­sen. Die Evo­lu­ti­on kann dem gläu­bi­gen Chris­ten sogar zum Zei­chen wer­den für die Herr­lich­keit Got­tes und vor allem auch dafür, dass alle Schöp­fung ein Ziel hat. (. . .) Die Fun­da­men­ta­lis­ten ame­ri­ka­ni­scher Pro­ve­ni­enz haben es nicht ge­lernt, sich in die Bil­der-Spra­che der Bibel ein­zu­füh­len. Sie kön­nen nichts an­fan­gen mit Me­ta­phern und Sym­bo­len, ob­wohl mensch­li­che Spra­che von der Me­ta­pho­rik lebt. Lei­der fehlt aber auch den neuen Athe­is­ten jede Sen­si­bi­li­tät für die Spra­che der Bibel – und darin glei­chen sie in er­schre­cken­der Weise den Fun­da­men­ta­lis­ten. Sie lesen die Bibel als eine Art wis­sen­schaft­li­che Do­ku­men­ta­ti­on, ob­wohl sie doch sel­ber bei der Be­schrei­bung un­an­schau­li­cher Kos­mo­lo­gie mehr und mehr auf me­ta­pho­ri­sche Spra­che zu­rück­grei­fen.

 

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wei­ter: Text: Hans Küng

 

Text: Ger­hard Loh­fink: Her­un­ter­la­den [doc] [27 KB]