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Text: Hans Küng

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Text: Hans Küng: Was ich glau­be, Piper-Ver­lag Mün­chen, 2009, S. 191 ff.

Hans Küng ist einer der be­kann­tes­ten und pro­fi­lier­tes­ten Theo­lo­gen der Ge­gen­wart. Er war über viele Jahre Pro­fes­sor für Ka­tho­li­sche Theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Tü­bin­gen und hat sich in vie­len Pu­bli­ka­tio­nen mit der Frage nach Gott aus­ein­an­der­ge­setzt. Zu­letzt war er Prä­si­dent der von ihm ge­grün­de­ten Stif­tung Welt­ethos.

Heute wis­sen wir: Unser Uni­ver­sum ist aller Wahr­schein­lich­keit nach end­lich in Raum und Zeit. Vor 13,7 Mil­li­ar­den Jah­ren ist es ent­stan­den aus der Ex­plo­si­on einer win­zi­gen Ein­heit von ex­tre­mer Dich­te, Tem­pe­ra­tur und An­fangs­schwung, in wel­cher das Po­ten­ti­al für Mil­li­ar­den Ga­la­xi­en ent­hal­ten war. Und noch immer dehnt sich die­ses Uni­ver­sum aus auf­grund der Be­din­gun­gen, die vom al­ler­ers­ten An­fang an zu­sam­men mit Raum und Zeit ge­setzt schei­nen.

Nun bin ich nicht Na­tur­wis­sen­schaft­ler. Doch wäre ich As­tro­phy­si­ker, würde ich mich der Frage des al­ler­ers­ten An­fangs stel­len. Als un­über­wind­ba­re Gren­ze für mensch­li­ches Wis­sen er­scheint ja ge­ra­de die­ser Ur­knall, über des­sen Ur­sa­che die Phy­sik bis­her nicht das Ge­rings­te sagen konn­te. Sie konn­te des­halb auch nicht er­klä­ren, woher die uni­ver­sa­len Na­tur­kon­stan­ten kom­men, die schon in der ers­ten Hun­derts­tel­se­kun­de nach dem Ur­knall ge­ge­ben waren und die alles phy­si­ka­li­sche Ge­sche­hen bis heute be­stim­men. Als Phy­si­ker würde ich mich auf den Phi­lo­so­phen Kant be­ru­fen: Die Na­tur­wis­sen­schaft ist jen­seits des Er­fah­rungs­ho­ri­zonts nicht mehr zu­stän­dig und kann des­halb die grund­le­gen­de Frage des Men­schen nach dem Ur­sprung des Uni­ver­sums nicht be­ant­wor­ten. (...)

Den meis­ten Na­tur­wis­sen­schaft­lern macht die Be­ru­fung der pro­phe­ti­schen Re­li­gio­nen auf einen Schöp­fer­gott Schwie­rig­kei­ten. Das ist ver­ständ­lich, denn die bei­den bi­bli­schen Schöp­fungs­be­rich­te des Bu­ches Ge­ne­sis sind nun ein­mal ge­schrie­ben um 900 und um 500 v.​Chr. Beide geben keine na­tur­wis­sen­schaft­li­che Aus­kunft über die Ent­ste­hung von Welt und Mensch. Doch ver­mit­teln sie ein ein­drück­li­ches Glau­ben­zeug­nis über das letz­te Woher des Uni­ver­sums, das der Na­tur­wis­sen­schaft­ler weder be­stä­ti­gen noch wi­der­le­gen kann: Am An­fang aller Dinge ist Gott. Aus dem Chaos („die Erde war wüst und leer“) macht Gott den ge­ord­ne­ten „Kos­mos“ und bringt die Ele­men­te und alle Krea­tu­ren her­vor. Dass Gott die Welt „aus dem Nichts“ ge­schaf­fen hat, ist in der Bibel eine späte Er­kennt­nis, sie stammt erst aus hel­le­nis­ti­scher Zeit. Diese phi­lo­so­phi­sche Aus­sa­ge darf nicht ver­stan­den wer­den als eine Ver­selb­stän­di­gung des Nichts, als wäre dies so­zu­sa­gen ein schwar­zes Loch, vor oder neben Gott. Sie ist viel­mehr ein Aus­druck dafür, dass sich Welt und Mensch, samt Raum und Zeit, kei­ner an­de­ren Macht, son­dern Gott al­lein ver­dan­ken.

Haben aber diese ur­al­ten Schöp­fungs­be­rich­te, die nicht in ma­the­ma­ti­schen For­meln und phy­si­ka­li­schen Mo­del­len reden, son­dern in Bil­dern (Me­ta­phern) und Gleich­nis­sen (Pa­ra­beln), heute über­haupt noch etwas über den Ur­sprung zu sagen? Durch­aus, es sind Wahr­hei­ten, über die auch Na­tur­wis­sen­schaft­ler nach­den­ken soll­ten, weil sie nicht nur für die Wis­sen­schaft, son­dern vor allem für unser Leben re­le­vant sind: dass Gott der Ur­sprung von allem und jedem ist; dass er in der Welt­ge­schich­te mit kei­nem bösen dä­mo­ni­schen Ge­gen­prin­zip in Kon­kur­renz steht; dass die Welt im Gan­zen und im Ein­zel­nen, dass auch Ma­te­rie, Men­schen­leib und Ge­schlecht­lich­keit grund­sätz­lich gut sind; dass der Mensch Ziel des Schöp­fungs­pro­zes­ses ist und dass schon Got­tes Schöp­fung seine gnä­di­ge Zu­wen­dung zu Welt und Mensch be­deu­tet.

Ge­ra­de die As­tro­phy­sik lehrt mich ja: Meine Le­bens­jah­re sind nichts im Ver­gleich zum Alter der Mensch­heit. Und auch die Le­bens­jah­re der Mensch­heit sind ih­rer­seits nichts im Ver­gleich mit dem Gan­zen der Milch­stra­ße, die etwa 100 Mil­li­ar­den Ein­zelster­ne um­fasst, von denen einer die Sonne ist. Und diese un­se­re Milch­stra­ße ist wie­der­um ein Stäub­chen im Ver­gleich mit jenen Ga­la­xi­en-Hau­fen, zu­erst als „Nebel“ ver­stan­den, von denen je­doch ein­zel­ne 10.000 Ga­la­xi­en ent­hal­ten, so dass die Zahl der be­ob­acht­ba­ren Ga­la­xi­en in die 100 Mil­lio­nen geht. Hier muss sich doch auch dem Na­tur­wis­sen­schaft­ler die alte Frage auf­drän­gen: Was bin ich in die­sem Uni­ver­sum? Was soll das Ganze? Woher das Ganze? Aus dem Nichts? Er­klärt denn das Nichts etwas? Und gibt sich un­se­re Ver­nunft damit zu­frie­den? Was könn­te eine mög­li­che Al­ter­na­ti­ve sein? Als ein­zi­ge Al­ter­na­ti­ve, die mir die reine Ver­nunft frei­lich nicht lie­fern kann, weil sie ihren raum-zeit­li­chen Er­fah­rungs­ho­ri­zont über­steigt, zeigt sich mir: Das Ganze stammt aus jenem ers­ten schöp­fe­ri­schen Grund der Grün­de, den wir Gott, eben den Schöp­fer­gott, hei­ßen. Und wenn ich ihn auch nicht be­wei­sen kann, so kann ich ihn doch mit gutem Grund be­ja­hen: in jenem für mich so ver­nünf­ti­gen, ge­prüf­ten, auf­ge­klär­ten Ver­trau­en, in wel­chem ich schon seine Exis­tenz be­jaht habe... Doch zur Ver­mei­dung von Miss­ver­ständ­nis­sen, die für Na­tur­wis­sen­schaft­ler nahe lie­gen, füge ich so­fort hinzu: Der Schöp­fungs­glau­be ver­langt kei­nes­wegs, mich für die­ses oder jenes der wech­seln­den phy­si­ka­li­schen Welt­mo­del­le zu ent­schei­den. Er be­nennt die Vor­aus­set­zung aller Welt­mo­del­le und der Welt über­haupt und ist mit ver­schie­de­nen Welt­mo­del­len ver­ein­bar. An einen Schöp­fer der Welt glau­ben, heißt nur, in auf­ge­klär­tem Ver­trau­en be­ja­hen, dass Welt und Mensch nicht im letz­ten Woher un­er­klär­lich blei­ben. Dass Mensch und Welt nicht sinn­los aus dem Nichts ins Nichts ge­wor­fen sind. Dass sie trotz allem Sinn­lo­sen und Wert­lo­sen als Gan­zes sinn­voll und wert­voll sind, nicht Chaos, son­dern Kos­mos: weil sie in Gott, ihrem Ur­grund, Ur­he­ber, Schöp­fer, ihre erste und letz­te Ge­bor­gen­heit haben. Wie er­freu­lich, dass mich nichts zu die­sem Glau­ben zwingt. Ich kann mich für ihn in aller Frei­heit ent­schei­den!

Der Glau­be an einen schöp­fe­ri­schen Grund der Grün­de ver­än­dert meine Stel­lung in der Welt, meine Ein­stel­lung zur Welt. Er ver­an­kert mein Grund­ver­trau­en und kon­kre­ti­siert mein Gott-Ver­trau­en . Frei­lich ver­langt er nach prak­ti­schen Kon­se­quen­zen: meine Ver­ant­wor­tung für Mit­men­schen und Um­welt wahr­neh­men und meine welt­li­chen Auf­ga­ben mit tie­fe­rem Ernst, mehr Hoff­nung und grö­ße­rem Rea­lis­mus an­ge­hen. Doch ich höre den Ein­wand: Sind nicht die bi­bli­schen Wun­der­ge­schich­ten ein stän­di­ger Stein des An­sto­ßes, völ­lig un­rea­lis­tisch und für Na­tur­wis­sen­schaft­ler ab­so­lut in­ak­zep­ta­bel? ...

Ich bin nicht Na­tur­wis­sen­schaft­ler. Doch die neu­es­ten Er­geb­nis­se der Mi­kro­bio­lo­gie finde ich eben­so über­zeu­gend wie die der As­tro­phy­sik: Wie auch immer der Über­gang vom Un­be­leb­ten zum Leben im Ein­zel­nen genau er­klärt wird, er be­ruht auf bio­che­mi­schen Ge­setz­mä­ßig­kei­ten und somit auf der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on der Ma­te­rie, der Mo­le­kü­le... Als glau­ben­der Mensch habe ich schlicht zur Kennt­nis zu neh­men: Nach den neu­es­ten bio­che­mi­schen Er­geb­nis­sen hat es bei die­sen höchst kom­ple­xen Pro­zes­sen eines be­son­de­ren Ein­griffs des Schöp­fer­got­tes nicht be­durft. Ob­wohl noch viele Fra­gen un­ge­klärt sind, ist die Ent­ste­hung des Le­bens doch ein phy­si­ka­lisch-che­misch ver­ständ­li­ches Ge­sche­hen... Wäre ich Bio­lo­ge, würde ich mich na­tür­lich auch fra­gen: Macht die sich re­gu­lie­ren­de Evo­lu­ti­on Gott nicht über­flüs­sig? Doch wie der Phy­si­ker müss­te auch der Bio­lo­ge zu­ge­ben: Auf­grund die­ses mo­le­ku­lar-bio­lo­gi­schen Be­fun­des lässt sich die Exis­tenz Got­tes weder pos­tu­lie­ren noch aus­schlie­ßen. Der Evo­lu­ti­ons­pro­zess als sol­cher of­fen­bart kei­nen Sinn. Den Sinn muss der Mensch ihm sel­ber geben. Auch für den Bio­lo­gen herrscht somit kein in­tel­lek­tu­el­ler Zwang, son­dern die Frei­heit der Wahl. Doch wird er kaum an Gott glau­ben, wenn er Gott in der Evo­lu­ti­on miss­ver­steht als eine über­ge­schicht­li­che Per­son, die kraft ihrer Schöp­fer­macht den ge­schicht­li­chen Men­schen und die Völ­ker auch gegen die Ge­set­ze der Natur und die Ord­nun­gen der Welt von Zeit zu Zeit mit Wun­dern über­fällt und über­wäl­tigt.

 

zu­rück: Text: Ger­hard Loh­fink

wei­ter: Trans­fer und Lern­er­geb­nis

 

Text: Hans Küng: Her­un­ter­la­den [doc] [28 KB]