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Leseverstehen und Schreiben

Am Ende der 8. Klasse muss der Übergang vom elementaren zum selbstständigen Sprachgebrauch beginnen. Die Lektüre eines adaptierten Jugendbuches eignet sich in besonderem Maße, diesen Prozess anzustoßen, weil ein die Altersgruppe ansprechender Problemzusammenhang sowie Figuren in einer besonderen Lebenssituation entfaltet werden, die als innerfamiliäre Konstellation einerseits nahe am Lebensalltag der Schülerinnen und Schüler liegt und andererseits vor dem Hintergrund des Kriminalfalls doch neu und fremd für sie ist. Die Geschichte mit all den Fragen, vor denen der Protagonist Martin steht, lädt deshalb mehr als ein Textauszug oder ein kurzer Lehrbuchtext zu einer intensiven Auseinandersetzung ein: zum genauen Hinsehen beim Lesen, zur Vernetzung und zur persönlichen Stellungnahme. Umgekehrt fördert die produktive Auseinandersetzung mit dem Roman die Fokussierung wichtiger Textstellen, trägt zu einem aktiveren Erschließen von Zusammenhängen zwischen umfangreicheren Textteilen bei und legt Schlussfolgerungen nahe, die sich gegebenenfalls im weiteren Lektürevorgang überprüfen lassen1. Im Zuge des Verstehensprozesses wiederholen bzw. erwerben die Lernenden einen Großteil des Wortschatzes, den sie für ihre eigenen Äußerungen benötigen. Eine für eine 8. Klasse verhältnismäßig lange Kriminalgeschichte wie die vorliegende, deren Ich-Erzähler die Rolle des Detektivs einnimmt, eignet sich eher für eine Kombination von Leseverstehen mit Schreiben als mit Sprechen. Dies liegt daran, dass die faktischen Bedingungen des Kriminalfalles dem Leser erst am Schluss vollständig bekannt sind und Schülerinnen und Schüler dieses Lernstandes noch nicht in genügendem Maße Hypothesen äußern können, um eventuelle Lösungen und Zusammenhänge zu diskutieren. Das Schreiben von portraits und résumés hingegen fördert in besonderem Maße die Fokussierung entscheidender Passagen und die Reorganisation der Informationen, so dass diese Informationen über längere Lesephasen hinweg stets abgerufen werden können. Gestaltendes Schreiben (zum Beispiel: monologue intérieur, journal intime) fordert die Schülerinnen und Schüler zu einem Perspektivwechsel heraus und hat zum Ziel, das Verständnis des Agierens einzelner Personen in spezifischen Situationen zu vertiefen.

Der Schwierigkeitsgrad des adaptierten Romans und die genannten Textsorten entsprechen der Ausprägung, welche die Teilkompetenzen des Leseverstehens und Schreibens der Lernenden am Ende der 8. Klasse erreicht haben müssen, wie ein Blick auf die entsprechenden Auszüge aus dem Bildungsplan 20162 zeigt:

Bildungsplan 2016 – Französisch als zweite Fremdsprache – Klassen 6/7/8

Leseverstehen

Schreiben

 

Die Schülerinnen und Schüler können didaktisierte oder kurze authentische fiktionale und nichtfiktionale Texte (wie zum Beispiel adaptierte Sachtexte und vereinfachte Texte aus der Jugendliteratur) verstehen.

Für den angemessenen Schwierigkeitsgrad der Texte sind folgende Aspekte von Bedeutung: Vertrautheit mit dem Thema, frequenter Wortschatz, einfache Satzgefüge, gegebenenfalls Verständnishilfen (zum Beispiel Bilder, Zwischenüberschriften).

 

Die Schülerinnen und Schüler können syntaktisch einfache Texte über ihr Alltagsleben und zu Themen ihres Erfahrungshorizontes verfassen und verfügen über einfache Strategien zur Steuerung des Schreibprozesses.

 

(2) einem Text verschiedene über mehrere Textabschnitte verteilte, explizit ausgedrückte Informationen, Zusammenhänge und Handlungslinien unter Anleitung beziehungsweise mithilfe einer vorgegebenen Fragestellung entnehmen

(3) Aussagen und Handlungsstrukturen eines Textes zum eigenen Erfahrungshorizont bzw. Alltagswissen sowie den eigenen (inter-) kulturellen Kenntnissen in Beziehung setzen, ihre Bedeutung analysieren und unter Anleitung erklären

(4) zu fiktionalen und nichtfiktionalen Texten mit vertrauter Thematik in einfacher Form mündlich und/oder schriftlich Stellung beziehen

(5) die Perspektive einer Figur in einem fiktionalen Text übernehmen und aus deren Sicht schriftlich Stellung zu Ereignissen und Personen beziehen

(6) unterschiedliche Lesestile nutzen (global, detailliert, selektiv)

7) Methoden der Texterschließung unter Anleitung nutzen (unter anderem Unterstreichen, Markieren, Randnotizen, Formulierung von Verständnisfragen; Übersetzen einzelner Textausschnitte ins Deutsche, falls erforderlich)

(9) das Vokabelverzeichnis ihres Lehrwerkes und zweisprachige Wörterbücher zur Texterschließung nutzen

 

(3) Berichte und Beschreibungen zu vertrauten Themen auf der Basis von Vorlagen sowie Informationen verfassen (zum Beispiel Kurzbiographien)

(4) syntaktisch einfache fiktionale und nichtfiktionale Texten aufgrund von Vorgaben zusammenfassen

(6) Zustimmung, Ablehnung, Vorlieben, Abneigungen sowie persönliche Gefühle formulieren und die eigene Meinung begründet darlegen

(7) optisch und akustisch kodierte Informationen in einfacher Form beschreiben (zum Beispiel Bild, Foto, Geräusche)

(8) auf der Basis von Vorgaben beziehungsweise Vorlagen (zum Beispiel Bildergeschichte) kurze Geschichten, Gedichte, Tagebucheinträge zunehmend selbstständig ergänzen, umgestalten und verfassen. Sie können Dialoge und innere Monologe verfassen  (zum Beispiel zum Füllen von Leerstellen in fiktionalen Texten)

(9) Strukturformen sowie Methoden zur Ideenfindung und Planung des Schreibvorgangs anwenden  (Begriffsraster, Mindmap mit Untergliederung, Handlungsgeländer)

(10) Hilfsmittel – auch digitale – zum Verfassen und Überarbeiten von eigenen Texte verwenden (zum Beispiel Wörterbücher, einfache Konnektorenlisten, fiches d’écriture)

(11) Strategien zur Vermeidung von Fehlern einsetzen (zum Beispiel Genus-Numerus-Abgleich, Fehlerkartei)

Die nachfolgenden Vorschläge zur Arbeit mit der Ganzschrift sind nicht als Unterrichtseinheit in dem Sinn zu verstehen, dass eine kohärente, ins Detail ausgearbeitete und chronologisch einzusetzende Folge von Stunden dargestellt würde. Vielmehr bietet sie exemplarisch verschiedene Hilfen zur Erarbeitung des Leseverstehens an und kombiniert diese, wo möglich, mit dem Aufbau einer Textsortenkompetenz. Dabei ist das Prinzip des Scaffoldings maßgeblich: Anhand einfacher Textpassagen werden die den Erfordernissen der Textsorte entsprechende Informationsentnahme sowie adäquates Schlussfolgern gefördert. Mithilfe von fiches d‘écriture3 wird die Reorganisation dieser Informationen im Zuge des Schreibprozesses trainiert. Ausgehend von weiteren geeigneten Textpassagen wiederholen die Lernenden das Procedere zunehmend selbstständig und beziehen – auch unter Zuhilfenahme von Evaluationsbögen bzw. -hilfen – sprachliche Gesichtspunkte in ihre Textplanung und Überarbeitung ein. Es ist selbstverständlich auch möglich, im Verlauf der Romanlektüre nur eine der hier vorgeschlagenen Textsorten mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten. Genauso können einzelne der hier vorgeschlagenen Hilfen zum Leseverstehen unabhängig von den Schreibaufgaben ausgewählt und in Kombination mit anderen Maßnahmen zur Förderung des Leseverstehens eingesetzt werden4.

Ein mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam ausgehend von verschiedenen Titelbildern entwickelter Advance Organizer5 soll das Interesse der Schülerinnen wecken und die Funktion verschiedener Schreibaufgaben sowie der Wortschatzarbeit im Hinblick auf den Verstehensprozess verdeutlichen, damit den Lernenden die Zielgerichtetheit der Arbeit mit dem Roman auch im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs klar wird und die Selbstwirksamkeit ihres Tuns gesteigert werden kann.

 

1 Zur Analyse der Prozesse, die sich beim Leseverstehen vollziehen müssen, vgl. das Lesekompetenzmodell Elisabeth Egerdings: https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpt/Abt7/Fachberater/Documents/2016-Lesekompetenzcurriculum%20Franz%C3%B6sisch%20-%20BP%202016-%20G8-%20%20Stand%20Mai%202016.pdf (letzter Aufruf: 28. 10. 2016). Dort finden sich vielfältige auf den Bildungsplan 2016 in Baden-Württemberg abgestimmte Vorschläge zum Aufbau der Lesekompetenz im Rahmen des Französischunterrichts. Otto-Michael Blume und Andreas Nieweler skizzieren unter dem Stichwort „Was ist Lesen?“ die sich beim Lesen bzw. Leseverstehen vollziehende Konstruktion von Bedeutung: dies., „Lesen und Verstehen als komplexer Prozess. Potenziale und Grenzen im Französischunterricht“, in: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 142 (August 2016), S. 2-9, bes. S. 3.

2 vgl. http://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/Startseite/BP2016BW_ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_F2_IK_6-7-8_03_02 sowie http://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/Startseite/BP2016BW_ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_F2_IK_6-7-8_03_05 (letzter Aufruf 4. 9. 2016)

3 In den einzelnen Kapiteln und auf den Arbeitsblättern (fiches de travail – Fdt) dieses Unterrichtsvorschlags wird auf die fiches d’écriture et de production orale verwiesen, die im Rahmen der ZPG 6 2016/17 zum Bildungsplan 2016 Klassen 7 und 8 in Baden-Württemberg erstellt wurden. Sie sind auf den gleichen Internetseiten abrufbar wie die Word- und pdf-Datei dieses Unterrichtsvorschlags und können den Bedürfnissen des/der einzelnen Kollegen/in bzw. Klasse angepasst werden.

4 Blume und Nieweler kritisieren in ihrem Aufsatz „Lesen und Verstehen als komplexer Prozess. Potenziale und Grenzen im Französischunterricht“, in: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 142 (August 2016), S. 2-9, bes. S. 6f., zu Recht die begrenzte Leistung von geschlossenen Aufgaben für das Leseverstehen. Diese schließt aber nicht aus, dass derlei Aufgaben als erste Verständnishilfe – gegebenenfalls im Sinne einer Differenzierungsmaßnahme – eingesetzt werden und dass im Anschluss daran mit offeneren Aufgaben oder Schreib- und Sprechaufgaben eine Verständnisebene angestrebt wird, die dem Text, den Bildungszielen des Unterrichts und dem Leserinteresse gerecht wird. Das Heft „Lesen und Verstehen“ (FU Französisch Nr. 142) beschränkt sich auf die Arbeit mit sehr kurzen Texten oder Textauszügen und gibt keine Antwort im Hinblick auf das Wie des Aufbaus von Leseverstehen bei der Arbeit mit umfangreicheren Ganzschriften auf allen Stufen des Französischunterrichts.

5 Vgl. zur Funktion des Advance Organizers die ausführliche Erläuterung aus dem Methodenpool der Universität Köln (pdf-Datei zum kostenlosen Download):  http://methodenpool.uni-koeln.de/download/organizer.pdf (letzter Aufruf 4. 9. 2016), daneben auch Diethelm Wahl, Lernumgebungen gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln, 3. Auflage mit Methodensammlung, Bad Heilbrunn 2013, S. 132f., 146-161, 284, sowie Diethelm Wahl, „Der Advance Organizer: Einstieg in eine Lernumgebung“, in: Grunder, H.U., H. Moser und K. Kansteiner-Schänzlin, Lehren und Lernen im Unterricht. Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Hohengehren 2011, S. 185-202.

 

 

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