Kompetenzaufbau Gestaltendes Interpretieren und Grammatik
Gestaltendes Interpretieren, Meinungsäußerung und Leseverstehen – Innere Monologe und Tagebucheinträge von Figuren in Frères de sang
Bekanntermaßen eröffnet der gestaltende Umgang mit einem fiktionalen Text die Chance, durch Perspektivübernahme und Einfühlung die Situation, das Wertgefüge und die Gefühlslage einer oder mehrerer Figuren vertieft zu verstehen. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen darüber hinaus in sprachlicher Hinsicht, weil sie bei der Lektüre erarbeitetes Vokabular und Strukturen umwälzen und festigen, indem sie diese mit anderen Ausdrucksintentionen, Wortschatz und Strukturen vernetzen.
Bei Frères de sang jedoch ist zu beachten, dass die Familien Lemeunier und Lascan in hohem Maße belastet sind, was, will man Innensichten dieser Figuren formulieren lassen, Schülerinnen und Schüler zu überfordern droht, insbesondere wenn sie selbst in einer sensiblen, gegebenenfalls familiär angespannten Lebenslage sind. Martin als Ich-Erzähler präsentiert ohnehin seine Innensicht, so dass eine weitere Reflexion in Form von Tagebucheinträgen oder inneren Monologen nicht wirklich förderlich erscheint – wenigstens nicht im 3. Lernjahr. Es gibt aber einige wenige Situationen, in denen unbelastete Personen sekundärer oder sogar tertiärer Bedeutung punktuell eine Rolle spielen, deren Sicht dazu beitragen könnte, dass die Lernenden eine Situation im Lauf der Handlung besser durchdringen1. Hierzu finden sich im Folgenden einige Anregungen. Die Zahl der Möglichkeiten zur Perspektivübernahme dieser Art ist jedoch beschränkt, so dass es nicht naheliegt, den Umgang mit einer Textsorte in der Form aufzubauen, wie es hinsichtlich des portrait und des résumé angeregt wird. Andererseits sind der innere Monolog und der Tagebucheintrag strukturell weniger festgelegte Textsorten, die den Schülerinnen und Schülern zudem aus den Fächern Deutsch und Englisch bekannt sein dürften. Die entsprechenden fiches d’écriture bieten zudem wichtige Formulierungsanregungen und -hilfen, aber auch Evaluationsgesichtspunkte. Es ist sinnvoll, die Lernenden beim Schreiben neben den beiden fiches d’écriture zum monologue intérieur und zum journal intime auch die fiche d’écriture « Formuler ses sentiments / Donner son avis » berücksichtigen zu lassen.
Chapitre 8
Martins Englischlehrerin zählt zu den wenigen Personen in der Schule, die den Jungen nach Brice‘ Verhaftung ansprechen und ihr Mitgefühl zeigen. Ausgehend von der Situation im Unterricht, die in den ersten beiden Absätzen des Kapitels dargestellt wird (p. 24, Z. 1-9), könnte folgende Aufgabe gestellt werden:
Le soir, le professeur d’anglais écrit dans son journal intime : elle a lu le journal le matin, elle a vu Martin dans son cours d’anglais, elle lui a parlé … Rédige son texte. Travaille avec la fiche d’écriture.
Die Aufgabe legt nahe, dass die Schülerinnen und Schüler kurz das Geschehen reflektieren, das der Familie Martins widerfahren ist und dass sie sich zusätzlich in Martin und die Lehrerin einfühlen. Da im Text auch das Verhalten der meisten Mitschüler dargestellt wird, lädt die Aufgabe dazu ein, dass die Lehrerin ihr eigenes Verhalten und das der anderen kommentiert und bewertet. Der Ausdruck von Gefühlen und der eigenen Meinung gehen bei einer gestaltenden Aufgabe dieser Art mit dem Perspektivwechsel einher2.
Eine ähnliche Aufgabe wäre die eines Inneren Monologs, der sich während des Unterrichts vollzieht, bevor die Lehrerin Martin anspricht:
Pendant son cours, le professeur d’anglais observe la classe qui doit travailler sur un texte difficile. Il y a quelques élèves qui regardent Martin et ne se concentrent pas sur le texte anglais.
Ecris le monologue intérieur du professeur. Travaille avec la fiche d’écriture.
Chapitre 10
Die Großmutter ist von Anfang an von Brice‘ Unschuld überzeugt. Sie ermutigt Martin bei ihrem ersten ‚Auftritt‘ im Rahmen des Telefonats, sich für den Bruder einzusetzen und nach Beweisen zu suchen (p. 30-31). Die Aufgabe, einen inneren Monolog der Großmutter zu verfassen, der sich direkt nach dem Telefonat vollzieht, gibt die Möglichkeit, die Ereignisse in der Familie rekapitulieren und das Verhalten der Eltern und des Anwalts André kritisch zu betrachten und sich dabei sehr subjektiv dazu zu äußern. Die Überzeugung von der Unschuld ihres Enkels, wie sie auch der Erzähler immer wieder betont, könnte vehement formuliert werden. Eventuell könnte die Großmutter Sorge über Martins Vorhaben zum Ausdruck bringen, obwohl sie ihn darin bestärkt hat, und sich selbst deswegen Vorwürfe machen.
Quand elle a raccroché, la grand-mère de Martin commence à réfléchir : les séjours de Brice à Grenoble, les idées des parents et de leur avocat André, l’enquête de Martin etc. … Ecris son monologue intérieur. Travaille avec la fiche d’écriture.
Ein Tagebucheintrag in der Nacht ist ebenfalls denkbar.
La grand-mère écrit à Brice. Mais dans cette lettre, elle ne doit pas parler de l‘enquête de Martin parce que c’est un secret. Et elle n’accuse personne.
Le soir, elle voudrait quand même retenir ses sentiments et ses doutes. C’est pourquoi elle écrit dans son journal intime. Elle parle des séjours de Brice à Grenoble, des idées des parents et de leur avocat André, de l’enquête de Martin etc. … Travaille avec la fiche d’écriture.
Auf diese Weise sind die Schreibaufgaben offener und bieten mehr Möglichkeiten des subjektiven Ausdrucks, als es die Aufgabe erlaubt, den Brief der Großmutter an Brice zu formulieren (p. 31, l. 26-27/p. 31, l. 27-28).
Chapitre 20/Epilogue
Der Kommissar Despart ist eine dritte Person, aus deren Perspektive man die Schülerinnen und Schüler die Ereignisse betrachten lassen kann. Sicherlich ist dieser Blickwinkel viel anspruchsvoller als die beiden oben aufgeführten, weil der gewählte Zeitpunkt das Ende der Geschichte ist und der Kommissar dann auch im Bewusstsein seines Irrtums und der Folgen für Brice Lemeunier schreiben muss. Eine Schwierigkeit, mit der sich sehr leistungsstarke Lernende gegebenenfalls konfrontiert sehen, besteht darin, dass sie rückblickend Handlungsalternativen formulieren wollen und dafür Strukturen benötigen, die noch nicht erworben wurden (z. B. « J’aurais dû y penser plus tôt! »). Hier liegt es nahe, mit ihnen Ausdruckswege zu suchen, die Vergleichbares meinen und deren Struktur ihnen vertraut ist (z. B. in Form einer Frage: « Pourquoi est-ce que je n’y ai pas pensé plus tôt? »
Le lendemain des événements, le commissaire Despart écrit dans son journal intime. Il pense à son enquête et à Martin. Ecris son texte.
Tu trouves des informations sur l’enquête du commissaire à la page 58, l. 1-5 et 16-25 (p. 58, l. 1-5 et 17-26)
1 Die wichtige Bedeutung von gestaltenden Schreibaufgaben im Hinblick auf das Leseverstehen macht der Bildungsplan 2016 Französisch als zweite Fremdsprache dadurch deutlich, dass unter der rezeptiven Kompetenz auch produktive Teilkompetenzen verzeichnet sind: vgl. 3.1.3.2 Teilkompetenzen 4 und 5.
2 Die Stellungnahme zu den Ereignissen und Figuren eines Romans wird im Bildungsplan 2016 Französisch als zweite Fremdsprache für die Klassen 8 unter anderem an einen Perspektivwechsel, d. h. die Übernahme der Sicht einer anderen fiktiven Figur, geknüpft: vgl. 3.1.3.2 Leseverstehen Teilkompetenz 5. Zum Formulieren von Gefühlen und der eigenen Meinung vgl. 3.1.3.5 Schreiben Teilkompetenz 6.
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