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Konsequenzen

 
Konsequenzen für Schule und Unterricht
 
Welche Einflussmöglichkeiten hat in einer solchen Situation überhaupt die Schule? Sind die Einflussfaktoren von außen nicht viel zu stark, als dass im Unterricht dagegen angegangen werden könnte?
 
Diese, in unserem Zusammenhang speziell auf den Unterricht mit dem Computer bezogene Frage, lässt sich einbetten in die pädagogische Diskussion, die seit 20 Jahren im Rahmen der neuen Koedukationsdebatte geführt wird. Aus dieser Debatte hat sich das Konzept der sogenannten "reflexiven Koedukation" entwickelt. Eine zusammenfassende Darstellung der Leitvorstellungen sowie der Umsetzungsempfehlungen für eine solche Reflexiv Koedukation hat die Bildungskommission NRW gegeben (1995, S.126 - 134). Ziel des Konzepts ist es, eine Koedukation zu verwirklichen, “die die Geschlechterverhältnisse zugunsten eines gleichberechtigten Zusammenlebens verändern will.” (S. 130).
 
Damit kommt sehr schön zum Ausdruck, dass eine Resignation gegenüber den übermächtigen äußeren Umständen nicht angebracht ist, sondern vielmehr der bewusste Wille zur Veränderung gefragt und notwendig ist.
 
Auf den Unterricht am Computer bezogen bieten sich Handlungsmöglichkeiten auf allen Ebenen an: auf der Ebene der Inhalte, auf der Ebene der Interaktionen und Methoden und schließlich auf der Ebene der geschlechtsbezogenen Verhaltensweisen. Die wesentlichen Aspekte sollen im folgenden kurz skizziert werden.
 
Die traditionellen Unterrichtsinhalte, Themen und Beispiele müssen daraufhin untersucht werden, ob und in wieweit sie in gleicher Weise an der Lebenswelt der Mädchen und der Jungen orientiert sind. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die “richtige” Wahl der Inhalte durchaus eine Gratwanderung darstellt: Einerseits sollen Themen gewählt werden, die Mädchen ansprechen. Andererseits sollen diese Themen die Rollenvorstellungen nicht weiter zementieren.
 
Besonders sensibel für die Ausrichtung des Interesses der Mädchen ist der Bereich, in dem im Unterricht die erste Begegnung mit dem Computer stattfindet. Es ist zu berücksichtigen, dass die Jugendlichen schon durch ihre Freizeitgestaltung ganz unterschiedlich motiviert sein können, sich mit dem Computer auseinanderzusetzen. Sorgfältig zu prüfen sind die Fragestellungen, die beim Einsatz des Computers jeweils im Vordergrund stehen: Geht es um die Aneignung rein technisch orientierten Wissens, das für sich steht, oder findet eine Einbettung in inhaltliche und interessengeleitete Problemstellungen statt? Welche Bewertungen der Technik wird vorgenommen? Wird der Anteil der Frauen an der Entwicklung der modernen Computertechnologie im Unterricht sichtbar gemacht? Sollen Mädchen wie Jungen in gleichem Ausmaß positive Leitbilder, Identifikationsmöglichkeiten und Orientierungshilfen für ihre Lebensplanung gegeben werden, so muss den wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen von Frauen der gleiche Stellenwert eingeräumt werden wie den wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen der Männer.
 
Durch geeignete Wahl von Unterrichtsmethoden ist daraufhinzuwirken, dass die Interaktionen nicht einseitig an den Jungen orientiert sind und von ihnen beherrscht werden. Kooperative Arbeitsformen sind zu unterstützen und zu fördern. Es sollte vermittelt werden, dass der gegenseitige Austausch über Inhalte und Vorgehensweisen Teil der gestellten Aufgabe und mindestens genauso wichtig ist, wie die schließlich erarbeitete Lösung eines Problems. Insbesondere ist den Mädchen ein gleichberechtigter Zugang zu den Computern zu ermöglichen und darauf zu achten, dass sich nicht durch Vorkenntnisse eine hierarchische Arbeitsteilung am Computer einstellt. Diese Gefahr scheint besonders bei gemischten Arbeitsgruppen zu bestehen.
 
Eine Unterrichtsform, die in der Öffentlichkeit immer wieder Aufsehen erregt, ist die Trennung in reine Mädchen- und Jungengruppen. Eine solche Trennung wird zunehmend auch im Informatik- und ITG-Unterricht vorgenommen. Sie kann meiner Ansicht nach ein geeignetes Mittel sein, um sowohl die Lehrpersonen als auch die Jugendlichen für die geschlechtstypischen Unterschiede und Verhaltensweisen zu sensibilisieren. Es gibt jedoch auch zahlreiche Gründe, die gegen eine solche Trennung sprechen (vgl. z. B. Niederdrenk-Felgner 1993, S. 110 - 111). Sicherlich kann die rein organisatorische Maßnahme der Trennung das pädagogische Problem der Gleichbehandlung und Gleichstellung von Mädchen und Jungen im Unterricht nicht lösen. Notwendig erscheint vielmehr, dass sich Lehrpersonen und Jugendliche zunächst einmal über ihre eigenen stereotypen Verhaltensweisen bewusst werden – vielleicht auch über eine zeitweise Trennung in Mädchen- und Jungengruppen –, um dann bewusst darauf zu reagieren und schließlich diese Verhaltensweisen verändern zu können. Erfolgt in diesem Sinne eine Auseinandersetzung mit der Koedukationsdebatte innerhalb des Kollegium und unter Einbeziehung der Jugendlichen, so können damit Impulse zur Reflexion des jeweils eigenen Verhaltens gegeben und bei allen beteiligten Personen – Lehrerinnen, Lehren und Jugendlichen – ein Entwicklungsprozess hin zu einer reflexiven Koedukation eingeleitet werden.
 
Konkret im Unterricht kann eine Sensibilisierung für die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse erreicht werden, indem rollenstereotype Einstellungen und Verhaltensweisen thematisiert und bewusst gemacht werden. Ein positives Verständnis von weiblicher und männlicher Identität sowie die Toleranz individueller Unterschiede können die Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten unterstützen und sie ermuntern, ihre individuellen Interessen zu entwickeln, auch wenn diese im Gegensatz zu traditionellen Rollenzuweisungen stehen.  
 
Es ist nicht leicht, all diesen Kriterien im Unterrichtsalltag gerecht zu werden, und ein Patentrezept dafür, wie nun “guter” Unterricht zu gestalten sei, gibt es natürlich nicht. Es gibt aber inzwischen eine Fülle an Literatur mit konkreten Unterrichtsentwürfen, in denen die genannten Kriterien mit unterschiedlicher Akzentsetzung berücksichtigt sind (vgl. z. B. "Mädchen, Jungen und Computer" Computer und Unterricht, Heft 24, 1996 und die darin genannte Literatur). Die Durchsicht solcher Unterrichtsentwürfe macht darüber hinaus deutlich, dass die ernsthafte Untersuchung des Problemfelds "Mädchen, Jungen und Computer" zu einer grundsätzlichen Reflexion der Inhalte und Methoden im Unterricht mit dem Computer führt.
 
Untersucht man beispielsweise, in welcher Weise Voraussetzungen und Erwartungen im Hinblick auf den Computer und die neuen Technologien bei Mädchen und Jungen unterschiedlich sind und warum das so ist, so rückt dabei auch die Frage in den Blick, ob das vorherrschende Bild des Fachs Informatik eigentlich mit dem übereinstimmt, was wir vermitteln wollen, oder ob es nicht einseitig technisch orientiert ist. Die Frage nach der Beteiligung von Frauen an der Entwicklung des Computers führt zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Informatik und weitet den Blick über die enge Fachgrenze hinaus. Überprüfen wir schließlich das Unterrichtsgeschehen im Informatikraum darauf, ob es Mädchen und Jungen in gleicher Weise gerecht wird, so gelangen wir rasch zu einer generellen Kritik der Unterrichtskultur, in der kooperative Arbeitsformen immer noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.
 
Das Thema "Mädchen, Jungen und Computer" ist kein mal mehr, mal weniger modisches Randthema, mit dem sich nur einige wenige engagierte Kolleginnen beschäftigen. Es kann vielmehr als Schlüssel genutzt werden, Zugänge zu einer reflexiven Koedukation zu eröffnen.
 

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