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Einführung und didaktische Überlegungen

Inhalt

Soyaan, ein Kind, schleppt sich auf einer Straße entlang durch karges Land der nächsten Stadt entgegen. Er hat Vater und Mutter in den Wirren des Bürgerkrieges und des Hungers in seiner Heimat, einem nicht weiter präzisierten afrikanischen Land, verloren. Plötzlich merkt er, dass nicht weit von der Straße entfernt ein kleiner Flugplatz und eine Station des Roten Kreuzes liegen. Deshalb verlässt er die Straße, um den Weg dorthin abzukürzen, verfängt sich aber in einem Stacheldraht. Der Junge wird von Paola, einer Krankenschwester des Roten Kreuzes, beobachtet. Paola weiß, dass das Gelände um den Flugplatz vermint ist und dass der kleine Junge Gefahr läuft, zerrissen zu werden. Deshalb will sie ihm entgegengehen. Daran hindert sie aber Ali, ein 16-jähriges Mitglied einer der örtlichen bewaffneten Banden, der schon seit drei Jahren Soldat ist und die Befehle seiner Vorgesetzten blind ausführt. Er hat den Auftrag, Paola und den kleinen Flughafen zu bewachen. Er ist sogar bereit, auf Soyaan zu schießen, sollte Paola den Versuch machen, sich dem Kind über das Minenfeld zu nähern. Paola aber verspricht Ali, dass sie sich bei einem der Piloten für ihn verwenden will, damit er mitfliegen darf. Ihre Bedingung: Ali muss sie ungehindert auf das Kind zugehen lassen. Damit hat sie Ali in seinem tiefsten Inneren berührt. Es wird deutlich, dass auch Ali ein Kind ist und Träume hat, für die er bereit ist, von den Befehlen seiner Vorgesetzten abzusehen. Der Soldat betritt so vor Paola das Minenfeld, auf dem sie sich nun vorsichtig gemeinsam Soyaan entgegenbewegen, der ebenso auf sie zukommt, weil er es inzwischen geschafft hat, sich aus dem Stacheldraht zu befreien.

Zielgruppe

Die kurze und spannende Erzählung, ein authentischer Text, eignet sich für eine Erarbeitung in der Jahrgangsstufe 10. Diese Verortung legt sowohl ihr Inhalt als auch ihre sprachliche Anlage nahe. Yann Mens verzichtet auf ausschließlich der Schriftsprache angehörende und literarische Ausdrücke und Strukturen, der Wortschatz geht aber über den frequenten Bereich hinaus. In inhaltlicher Hinsicht verlangt die Erzählung politisches Verständnis und einen Grad der Empathiefähigkeit, über die jüngere Schülerinnen und Schüler in der Regel noch nicht verfügen. Auch Zehntklässlern erschließen sich die Hinweise auf politische und gesellschaftliche Bedingungen und Abhängigkeiten nicht ohne Weiteres. Sie sind kontextualisierungsbedürftig, bieten damit aber zugleich die Chance eines interkulturellen Lernfortschrittes. Mit der Einsicht in die Gegensätzlichkeit der Weltanschauung und des Wertgefüges der beiden Protagonisten Paola und Ali wird zugleich der Grundkonflikt deutlich, der die Handlung der Erzählung bestimmt.

Kompetenzaufbau – Bildungsplan 2016 Gymnasium: Französisch als zweite Fremdsprache

Die Erzählung eignet sich wegen der klaren Strukturen der Ausgangssituation sowie des Grundkonfliktes bzw. der Personenkonstellation zu einer Lektüre mit textanalytischem Schwerpunkt, bei der vom Wortlaut der Erzählung ausgegangen wird und dort, wo es notwendig erscheint, das Verständnis durch geeignete Zusatzmaterialien vertieft wird, zum Beispiel zu: enfants soldats, bandes de guerre, aide humanitaire de la Croix-Rouge1. Die vorliegenden Überlegungen betreffen vor allem die inhaltliche Struktur der Erzählung und zeigen – auch in schematisierter Form – die Analyseergebnisse, die Schülerinnen und Schüler bei der sukzessiven Auseinandersetzung mit dem Text erzielen können. Das heißt, dass zwei Teilkompetenzen des Leseverstehens aus dem Bildungsplan 2016 im Vordergrund stehen:

Leseverstehen – Klassen 9/10
Die Schülerinnen und Schüler können …
(2) einem Text implizite oder explizite Informationen, beziehungsweise Zusammenhänge, logische Beziehungen (zum Beispiel Ursache-Wirkung) entnehmen, auch wenn diese über mehrere Textabschnitte hinweg vermittelt werden, nicht immer unmittelbar zu erkennen sind oder teilweise den eigenen Erwartungen zuwiderlaufen
(3) Aussagen und Handlungsstrukturen eines Textes zu ihrem themenspezifischen und interkulturellen Wissen in Beziehung setzen, Zusammenhänge herstellen; unter zunehmender Berücksichtigung von Aspekten wie zum Beispiel Personenkonstellation, These und Argument können sie Deutungshypothesen bilden sowie Leerstellen füllen

Während das Wertgefüge und die Handlungsmotive Paolas für die Schülerinnen und Schüler unmittelbar nachvollziehbar sein dürften, ist dies in Bezug auf das Wertgefüge Alis eher unwahrscheinlich. Denn die vielen kleinen Hinweise im Text, aus denen der Leser Schlüsse ziehen kann, stehen nicht an prominenter Stelle und fallen bei einer auf den Handlungsfortschritt konzentrierten Lektüre wenig auf. Insofern eignet sich die Figur Alis in besonderem Maße zur bewussten Hypothesenbildung, die – gegebenenfalls unter Einbeziehung zusätzlicher Materialien, die interkulturelle Wissenslücken schließen und das Wahrnehmungsraster bei einer erneuten Lektüre verändern – am Text überprüft wird. Für einen Lernfortschritt in textanalytisch-methodischer Hinsicht erscheint es darüber hinaus wichtig, dass die Verfahrensweise und die Gründe dafür mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden.

Bei dieser Erzählung ist – das ist deutlich geworden – ein nachvollziehbares Analyseergebnis in hohem Maße von interkulturellem Verständnis abhängig. Insofern geht bei der Lektüre von Champ de mines mit der Förderung des Leseverstehens eine Förderung einer wichtigen Teilkompetenz der interkulturellen kommunikativen Kompetenz des Bildungsplans 2016 einher:

Interkulturelle kommunikative Kompetenz – Klassen 9/10
Die Schülerinnen und Schüler können …
(4) die vergleichende Auseinandersetzung mit authentischen und didaktisierten fiktionalen Texten zum Aufbau eines Verständnisses für den französischsprachigen Kulturraum sowie seiner Geschichte und Gesellschaft nutzen. Mit dem gleichen Ziel verstehen sie anhand von didaktisierten oder authentischen nichtfiktionalen Texten (zum Beispiel journalistischen Dokumenten aus verschiedenen Medien) besondere (aktuelle) Ereignisse in Frankreich und der Frankophonie und setzen diese gegebenenfalls zu Geschehnissen in Deutschland in Bezug.

In der vorliegenden Darstellung wird bewusst auf direkte Textzitate verzichtet. Stattdessen werden die Informationen, die der Erzählung entnommen werden, in eigenen und dem Lernstand der Klasse 10 angemessenen Formulierungen wiedergegeben. Damit wird hervorgehoben, dass Schülerinnen und Schüler am Ende der Klassen 9/10 Erkanntes in sprachlich vertrauten Kontexten eigenständig (gegebenenfalls auch abstrahierend) benennen können müssen und dass diese Fähigkeit geübt werden muss. Die Liste von Textzitaten, die sich im Dossier am Ende des Teiles zur Textanalyse befindet (S. 12-13), hat eine andere Funktion: Hier sind Passagen zusammengestellt, deren sprachliche Struktur zur Analyse auffordert. Ausgehend von einzelnen kleinen Textfragmenten können so der rhetorische Bau und seine Funktion bestimmt werden. Punktuelle Übungen dieser Art tragen zum Aufbau der prozessbezogenen Kompetenz der Sprachbewusstheit bei und fördern die Fähigkeit, Beobachtungen zur sprachlichen Gestalt in den Prozess des Leseverstehens einzubeziehen.

Sprachbewusstheit
[…] Darüber hinaus reflektieren sie die Rolle und Verwendung von Sprachen in der Welt, zum Beispiel im Kontext kultureller und politischer Gegebenheiten. In der Auseinandersetzung mit fiktionalen und nichtfiktionalen Texten erkennen, analysieren und bewerten sie über Sprache gesteuerte Beeinflussungsstrategien. Die Begegnung mit Literatur ermöglicht es ihnen darüber hinaus in besonderem Maße, Sprache in ihrer ästhetischen Dimension und als Mittel schöpferischen Ausdrucks zu erfahren. Auf diese Weise entwickeln sie Sensibilität für Sprache und sprachlich vermittelte Kommunikation.

In dem Dossier wird bewusst auf eine detaillierte Konkretisierung auf der Unterrichtsebene – etwa in Form von Verlaufsplänen oder Arbeitsblättern mit Differenzierungshinweisen – verzichtet, um die Möglichkeit und Erfordernis von Leseverstehen in textanalytischer Perspektive hervorzuheben. Diese konzeptionelle Entscheidung soll ferner zeigen, dass die Unterrichtschronologie bzw. die Abfolge der inhaltlichen und methodischen Schwerpunktsetzungen (individuelle Vorablektüre oder gemeinsame Lektüre im Klassenraum, Zeitpunkt des Einsatzes von Zusatzmaterialien, von gestaltenden Schreibaufgaben (Perspektivwechsel), von Differenzierungsmaßnahmen, von Hilfen zur Förderung des Detailverstehens und des selektiven Textverständnisses etc.) vom/von der Unterrichtenden individuell in Abhängigkeit von der Lerngruppe und den zusätzlichen (Teil-)Kompetenzen gesetzt werden muss, die er/sie zusammen mit dem Leseverstehen aufbauen will.

Auf eine Möglichkeit der integrativen Förderung des Leseverstehens und des Schreibens sei an dieser Stelle trotzdem hingewiesen: Für das Verständnis des Grundkonfliktes ist es von entscheidender Bedeutung, die Herkunft bzw. die Geschichte, das Wertgefüge und die Motivation der beiden Protagonisten zu durchdringen. Hinweise darauf finden sich in Alis und Paolas Aussagen, physischen Reaktionen und wie beiläufig eingeflochtenen Erzählerinformationen in den drei zentralen Kapiteln (3-5; vgl. S. 6-9). Deshalb liegt es nahe, die Erarbeitung dieser Figuren mit dem Verfassen von portraits (Charakterisierungen) zu verknüpfen.

Schreiben – Klassen 9/10
Die Schülerinnen und Schüler können …
(3) Berichte und Beschreibungen zu vertrauten Themen verfassen
(5) einfache fiktionale und nicht-fiktionale – auch diskontinuierliche – Texte auf der Grundlage vorgegebener Kategorien zunehmend eigenständig analysieren
(8) unterschiedliche Textsorten unter Berücksichtigung der textsortenspezifischen Merkmale verfassen (unter anderem Tagebucheintrag, Buchempfehlung). […]

Gegenüber den Klassen 7/8, wo das portrait noch stark aus den im Text ausdrücklich formulierten und an einzelnen wenigen erschlossenen Informationen über Grundsituation und Charakterzüge einer Person zusammengestellt wird, müssen in den Klassen 9/10 in stärkerem Maße Schlussfolgerungen gezogen werden und eine Einordnung mithilfe von Kategorien erfolgen. Bei Paola und Ali handelt es sich dabei zum Beispiel zentral um die Frage, welches Menschenbild die beiden vertreten bzw. einfacher gesagt: welchen Wert ein einzelner Mensch für sie hat. Darüber hinaus sollte in den Klassen 9/10 neben der eigenständigen Formulierung das Verweisen auf Belegstellen (wörtliches Zitat und Hinweis) und einfache Formulierungen für die Integration von Zitaten in den Text eingeübt werden.

1 In diesem Zusammenhang sei auch auf das Dossier pédagogique zur Erzählung verwiesen, das 2008 von Uta Preller im Klett-Verlag herausgegeben wurde (ISBN 978-3-12-591402-5). In diesem Band werden im Unterschied zu den vorliegenden Materialien die Themen „La lutte contre la malnutrittion“ und „La lutte contre les mines“ betont. Darüber hinaus enthält die Lehrerhandreichung zusätzliche Hilfen für die Arbeit der Lernenden wie zum Beispiel „Annotations supplémentaires“, „Traces de mots“ und „Pistes de lecture“.

Integration mit Lehrwerksarbeit

Es liegt auf der Hand, dass sich eine Verknüpfung mit einer der Unterrichtseinheiten zur francophonie oder zu humanitärem Engagement in den gängigen Lehrwerken anbietet. Die Lehrwerkseinheiten zu afrikanischen Ländern erscheinen auch schon in früheren Lehrwerksgenerationen insofern unbefriedigend, als sie Probleme und Konflikte allenfalls andeuten, die das Leben in den betroffenen Gesellschaften prägen und die Schülerinnen und Schüler angehen. Die Gründe für die Auswahl von Inhalten, die eine Lehrwerksgeneration überdauern müssen und nur in geringem Maße kontextualisierungsbedürftig erscheinen, sind nachvollziehbar. Die Erzählung Champ de mines kann zu dem Versuch beitragen, die Lücke zu schließen, denn sie leistet durch ihre spezifische Anlage zwei entscheidende Dinge: Da die Handlung in einem unbestimmten afrikanischen Land angesiedelt ist, wird zum einen deutlich, dass der Konflikt und die Personen generalisierbar sind. Paola, Ali und Soyaan könnten in verschiedenen afrikanischen Konfliktgebieten und in verschiedenen Jahrzehnten leben, seit die Bevölkerung in afrikanischen Krisengebieten von humanitären Organisationen unterstützt wird. Zum zweiten macht es die Erzählung durch die Personalisierung des Grundkonfliktes und seiner Lösung möglich, dass Schülerinnen und Schüler in Ansätzen Bedingungen und innere Logik ihnen fremder Verhaltensweisen und Weltanschauungen erfahren und mit der Notwendigkeit konfrontiert werden, dass wirksames Handeln immer auch das Verständnis und die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge erfordert.

Textausgaben und Textverweise

Die Erzählung liegt in zwei Ausgaben vor. Sie wurde erstmals 2005 bei den Editions Thierry Magnier publiziert und dort 2016 neu aufgelegt. Es handelt sich um einen authentischen Text, dessen Zielgruppe junge frankophone Leser sind. Demgegenüber ist die Klett-Ausgabe von 2007 in den Fußzeilen annotiert und enthält zwei weitere Erzählungen. Es wurden keine Eingriffe in den Text vorgenommen. Beide Ausgaben eignen sich für den Einsatz im Französischunterricht. In den nachfolgenden Ausführungen wird jeweils auf die Belegstellen in beiden verwiesen: der erste Beleg mit der Zeilenangabe ist die Stelle in der Klett-Ausgabe, der zweite bezieht sich auf die Version aus Frankreich.

 

 

Lektüre – Umsetzungsbeispiel für Klasse 10: Yann Mens, Champ de mines: Herunterladen [docx][643 KB]

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