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Die El­tern

Karikatur: Köpfe von Frau und Mann, fröhlicher Gesichtsausdruck

Die Ge­mein­schafts­schu­le ist ein wert­vol­ler Er­fah­rungs­raum für Leo. Wenn wir mit un­se­rem Sohn bei Schul­ver­an­stal­tun­gen durchs Schul­ge­bäu­de gehen, heißt es über­all „Hallo Leo!“, „Tschüß Leo!“. Man sieht es auch in der Mensa, wie nor­mal und wert­schät­zend der Um­gang zwi­schen den Schü­le­rin­nen und Schü­lern aller Al­ters­grup­pen ist. Diese Ak­zep­tanz und An­er­ken­nung re­sul­tiert nach un­se­rer Ein­schät­zung we­ni­ger aus dem ge­mein­sa­men Un­ter­richt als viel­mehr durch sein Mit­wir­ken in Thea­ter-AG und Schul­or­ches­ter. Gleich­zei­tig pro­fi­tiert er von Pro­jek­ten, die in sei­ner Klas­se durch­ge­führt wer­den und den Be­geg­nun­gen, die da statt­fin­den. Wir ver­mu­ten, dass diese viel­fäl­ti­gen Be­geg­nun­gen und Aus­ein­an­der­set­zun­gen für ihn An­lass sind, sich mit dem Be­griff „Be­hin­de­rung“ aus­ein­an­der­zu­set­zen: „Ich bin doch nicht be­hin­dert!?“. Mit die­sem Satz kon­fron­tier­te er uns vor Kur­zem ganz un­ver­mit­telt. Als wir nach­frag­ten, wie er sich denn selbst ein­schät­zen würde, war seine erste Re­ak­ti­on: „Ich bin halt nicht ganz nor­mal“. Jetzt spricht er über sich von „be­ein­träch­tigt“. Die Be­griff­lich­keit des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses fin­det er un­mög­lich.

Seit er schul­pflich­tig ist, fra­gen wir uns: Wo ist der rich­ti­ge Lern­ort für ihn? Wo kön­nen seine Fä­hig­kei­ten ent­deckt, ge­för­dert, ent­wi­ckelt wer­den? Wo sind seine Gren­zen? Bei den Ant­wor­ten auf diese Fra­gen sind wir mal mehr, mal we­ni­ger un­si­cher. Nach un­se­rer Ein­schät­zung ist er, was schu­li­sches Ler­nen be­trifft, mords be­quem. Wir fra­gen uns, ob dies ein er­lern­tes Ver­hal­ten ist? Wir hof­fen immer, dass er am rich­ti­gen Lern­ort ist, an dem nach sei­nen Mög­lich­kei­ten ge­sucht und her­aus­ge­kit­zelt wird, was mög­lich ist.

Im Zu­sam­men­hang mit der Thea­ter-AG und auch im Stadt­or­ches­ter haben wir ein­mal mehr die Er­fah­rung ge­macht, dass wir nicht wis­sen, wie er lernt. Wir wis­sen nur, dass er in dem Mo­ment, wo er es von sich aus will, Dinge hin­be­kommt, die ihm nicht zu­ge­traut wer­den. Als er in der Thea­ter-AG be­gann, hat uns die Leh­re­rin an­ge­ru­fen und ge­fragt, ob Leo eine Sprech­rol­le be­wäl­ti­gen würde. Er hat sie be­wäl­tigt und bei den öf­fent­li­chen Auf­trit­ten große An­er­ken­nung er­fah­ren. Wenn er uns von dem Un­ter­richt in der Thea­ter-AG be­rich­tet, er­scheint er uns sehr stark.

Im Un­ter­richt hat er in Klas­se 5 Dik­ta­te teil­wei­se bes­ser ge­schrie­ben als Mit­schü­le­rin­nen und Mit­schü­ler, die nach dem Bil­dungs­gang Re­al­schu­le un­ter­rich­tet wur­den. Aber wenn wir heute in Klas­se 8 auf den Un­ter­richt in Deutsch oder auch Eng­lisch schau­en, glau­ben wir, dass viele Leh­re­rin­nen und Leh­rer noch nicht so­weit sind, wirk­lich ziel­dif­fe­rent un­ter­rich­ten zu kön­nen. Leo braucht viel Zeit zu for­mu­lie­ren, was er im Kopf hat. Hat er das Ge­fühl diese Zeit nicht zu haben, bricht er ab und sagt: „Mach du!“.

Es mag auch daran lie­gen, dass man­che Leh­re­rin­nen und Leh­rer ge­gen­über den be­hin­der­ten Schü­le­rin­nen und Schü­lernn immer noch skep­tisch sind. Eine in­ter­es­san­te Be­ob­ach­tung haben wir auch auf Schü­ler­sei­te ge­macht: In einem auf­ge­zeich­ne­ten Vi­deo­clip spielt Leo neben einer Mit­schü­le­rin Trom­pe­te. Sie fin­det es okay, dass je­mand neben ihr im Roll­stuhl sitzt und spielt. Sie fin­det es aber ganz of­fen­kun­dig nicht okay, dass er bes­ser spielt als sie. Wir stel­len uns nach wie vor die Frage, wie in einer Ge­sell­schaft, in der Leis­tung so hoch an­ge­sie­delt ist, In­klu­si­on ge­lin­gen kann?

Des­halb, wenn wir zu ent­schei­den haben, wie es für Leo wei­ter geht, dann ist der vor­herr­schen­de Ge­dan­ke, dass es un­se­rem Kind von Grund auf gut geht. Die Brü­cke dazu ist für uns die Son­der­schul­leh­re­rin. Eine Er­fah­rung vor we­ni­gen Wo­chen kann das am ein­drück­lichs­ten ver­deut­li­chen: Die Kin­der mit Be­hin­de­rung tra­fen sich nach einem hal­ben Schul­jahr mit ihrer ehe­ma­li­gen Son­der­schul­leh­re­rin wie­der. Wir waren tief be­rührt, wie in­ten­siv die Be­zie­hun­gen der Kin­der zu die­ser Leh­re­rin noch immer sind, wie wich­tig die in­ne­re Liebe die­ser Leh­re­rin­nen und Leh­rer für diese Kin­der ist, wie sehr es diese aus­ge­bil­de­ten Leute für diese Kin­der braucht. Diese Lehr­kräf­te geben un­se­ren Kin­dern Kon­stanz: Sie sor­gen für si­che­re Rah­men­be­din­gun­gen und für ri­tua­li­sier­te For­men der All­tags­be­wäl­ti­gung. Für uns sind sie erste An­sprech­part­ner, wenn es darum geht, sich über die Po­ten­zia­le und An­schluss­mög­lich­kei­ten von Leo aus­zu­tau­schen.

Karikatur: Eltern im Ruderboot, Zweier mit Kind als Steuermann

Seit sei­nen Auf­trit­ten mit der Thea­ter-AG kennt er nur einen Be­rufs­wunsch. Er möch­te Schau­spie­ler wer­den. Wir sind uns un­si­cher und des­halb manch­mal un­eins, was für ihn das Beste ist.

Kann er mit sei­nen Ein­schrän­kun­gen unter Schau­spie­lern und Künst­lern über­haupt zu­recht­kom­men? An­de­rer­seits, wes­halb sol­len wir es ihm ver­weh­ren, wenn er es wirk­lich möch­te? Rea­lis­tisch be­trach­tet, könn­ten wir uns Leo spä­ter ein­mal am Emp­fang einer Be­geg­nungs- oder Ta­gungs­stät­te vor­stel­len. Dazu bräuch­te es ein Zer­ti­fi­kat, das ihm einen Ab­schluss at­tes­tiert. Bei dem, was er schu­lisch stemmt, müss­te ein ab­ge­speck­ter Haupt­schul­ab­schluss mög­lich sein. Ihn da hin zu füh­ren und ihn mit Prak­ti­ka auf einen be­ruf­li­chen An­schluss vor­be­rei­ten, das wür­den wir uns jetzt von Schu­le wün­schen.

 

In­klu­si­on und Lehr­kräf­te­bil­dung: Her­un­ter­la­den [pdf][1,4 MB]

 

Wei­ter zu Klas­sen­leh­rer