Wert, Güterabwägung, „Interesse“
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Begriffsklärungen
WERTE in der Technik
W~ kommen in Wertungen zum Ausdruck und sind bestimmend dafür, dass etwas anerkannt, geschätzt, verehrt oder erstrebt wird ; sie dienen damit zur Orientierung, Beurteilung oder Begründung bei der Auszeichnung von Handlungs- und Sachverhaltsarten, die es anzustreben, zu befürworten oder vorzuziehen gilt. Allgemein wird mit Werten ein Anspruch auf Geltung und Zustimmung verbunden. - W~ sind Ergebnisse individueller und sozialer Entwicklungsprozesse, die in Auseinandersetzung mit natürlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen vollziehen; daher unterliegen W~systeme dem historischen Wandel und können in verschiedenen Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen voneinander abweichen. Der Inhalt eines W~s kann aus Bedürfnissen hervorgehen; er konkretisiert sich insbesondere in Zielen, Kriterien und Normen. - W~ können in einem weiten Sinn als normative soziale Tatsachen verstanden werden, deren Geltung objektiv beurteilt und damit auch anerkannt, kritisiert oder begründet werden kann: Aussagen über W~ können in einer jedem zugängliche Weise wahr oder falsch sein; solche Aussagen haben auch einen Wahrheits-W~. - Sprachlich differenziert werden kann zwischen dem, was (a) ein Wert ist ; (b) einen Wert hat ; (c) einem Handeln Wert verleiht , d.h. es sinnvoll macht, bzw. das ausmacht, dem ein Handeln verpflichtet ist/das Worum-willen eines Tuns.
Ein W~ ist häufig Bestandteil eines W~ systems, das mehrere Werte und Beziehungen zwischen den W~ umfasst. Vier unterschiedliche Arten von Beziehungen können bestehen: (a) Hierarchie : ein Wert ist einem anderen über/untergeordnet bzw. in ihm enthalten; (b) Indifferenz : Ein W~/Ziel kann verwirklicht werden, ohne dass dadurch das Erreichen/Verwirklichen des anderen beeinträchtigt wird; (c) Konkurrenz : die Verwirklichung eines W~/Ziel wird durch die Verfolgung des anderen beeinträchtigt; (d) Instrumentalbeziehung : die Verwirklichung eines W~ kann als Mittel zur Verwirklichung eines anderen (Ziel-)W~s dienen; jedes Mittel kann selbst wiederum als Ziel betrachtet werden, wie häufig auch umgekehrt gilt, dass ein Ziel als Mittel zur Verwirklichung eines anderen Zieles anzusehen ist; die Kenntnis und Gestaltung/Anwendung von Mitteln können rückwirkend auch ein Ziel verändern. - In einer Richtlinie des VDI zur Technikbewertung werden die im technischen Handeln wichtigsten Werte in Form eines W~Oktogon s dargestellt, das häufige Instrumental- und Konkurrenz-Beziehungen zwischen Werten abbildet. Das Oktogon-Schema markiert nicht, dass es sich um unterschiedliche W~Kategorien/Wert-Typen handelt: nämlich interne W~ , die wichtig sind innerhalb des praktischen Ingenieurwesens (z.B. Funktionsfähigkeit, Effektivität, Effizienz, technologische Begeisterung) und W~, die mit den technologischen Auswirkungen auf andere Bereiche zu tun haben, sog. externe W~ (z.B. Sicherheit, Gesundheit, Umweltqualität/Nachhaltigkeit). Eine hilfreiche, wenngleich nicht immer trennscharfe Unterscheidung ist diejenige von instrumentellen W~ (gut für...) und intrinsischen/Selbst-W~ (gut an sich) ; letztere, die intrinsischen W~ lassen eine weitere Gliederung zu in eudaimonistische (Sicherheit, Gesundheit, Wohlbefinden/ well-beeing u.a.)und moralische W~ (Freiheit, Privatheit, (informationelle)Selbstbestimmung, Solidarität, Gerechtigkeit, u.a.); eudaimonistische und moralische W~ lassen sich auch als letzte Zwecke ansehen.
These von der W~-Neutralität der Technik
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Hauptargument zur Unterstützung lautet, dass es sich bei einer Technik/Technologie lediglich um ein neutrales Mittel zum Erreichen eines bestimmten Zwecks handle, das zum Vor- oder Nachteil genutzt werden kann. Somit ergibt sich der jeweilige Wert aus der Nutzung und erwächst nicht aus der Technologie selbst. Das bedeutet auch, dass die negativen Auswirkungen der Technologie den Nutzern zuzuschreiben sind und nicht den technologischen Artefakten oder ihren Gestaltern. Wie die amerikanische Schusswaffenvereinigung ( National Rifle Association ) sagt: »Waffen töten keine Menschen, es sind Menschen, die Menschen töten«.
Was Vertreter dieser Position ignorieren ist, dass, 1. bestimmte Werkzeuge oder Technologien haben instrumentelle Wert allein schon aufgrund gewisser physikalischer und funktioneller Eigenschaften zur Realisierung unterschiedlicher (extrinsischer) Werte; dass es 2. eine naturwüchsige Eigendynamik bzw. Verselbständigungstendenz der Mittel gibt; dass 3. es stets Rückkoppelungseffekte von Mittel auf Zwecke gibt (C. Hubig).
Bei der Technikbewertung , die auch in allen Technikfolgenabschätzungen enthalten ist, handelt es sich um eine Güterabwägung , d.h. um ein überlegtes Beurteilen im Anschluss an eine Analyse der ggf. konkurrierenden Beziehung zwischen W~. Für eine Abwägung, welchem W~ der Vorrang gebührt, gibt es kein Patentrezept.
Eine methodische Hilfe bietet das Verfahren der Suche nach einem Überlegungsgleichgewicht (J. Rawls), bei dem intuitive Urteile mit Prinzipien wechselseitig abgeglichen werden; auch bei der Suche nach möglichen Kompromissen. D.h. dass oberste moralphilosophische Prinzipien nicht einfach und direkt angewendet werden können, sondern ihre Anwendbarkeit im konkreten Fall geprüft werden muss.
Eine sprachliche Hilfe bieten die unterschiedlichen Wert-Wörter : Ist etwas „ geeignet/tauglich für “, „ gut (für mich/für eine bestimmte Interessengruppe/in einer bestimmten Hinsicht/schlechthin“, „(universell) richtig “? Bei Bewertungen muss es sich nicht immer um moralische Bewertungen im engeren Sinn handeln. Die Verwendung der Wert-Ausdrücke in bestimmten Urteilen verweist auf unterschiedliche Aspekte/Kategorien der praktischen Vernunft: Etwas (x) zu tun kann unvernünftig/schlecht(er)/falsch sein, weil es
(a) | als Mittel nicht dienlich/geeignet/tauglich/effektiv ist; | K |
(b) | im Rahmen eines Aufwand-Ertrags-Kalküls nicht lohnend/effizient ist; | K |
(c) | weil ich (y) mag/lieber lieber mag als (z); | W |
(d) | weil (x) Gesundheit/Sicherheit/Umweltqualität/Freiheit usw. beeinträchtigt ; | W |
(e) | weil (x) nicht passt zu einer Haltung der Besonnenheit/Gelassenheit/Vorsicht; | T |
(f) | weil (x) verstößt gegen Rechtsnormen (z.B. Gefährungshaftung)/ Grundrechte (z.B. körperl. Unversehrtheit) / Standeskodizes (z.B. Loyalität; Kollegialität) /moralische Gebote(z.B. „Schade niemandem!“) /ethische Prinzipien (Kateg. Imp.) | N |
(a) - (b) sind
K
lugheitsregeln; (c) - (d) sind
W
erte; (e) sind
T
ugenden (= Werte u. Normen im Modus verinnerlichter Grundhaltungen);
(f) sind
N
ormen; von (Grund-)Werten aus lassen sich sie schützende bzw.
zur Realisierung anhaltende Normen entwickeln.
Quelle:Konrad Ott ppp
Eine Hilfe bei Güter(Wert/Norm)abwägungen bieten sog. Vorrangregeln:
  |
Ist das Ziel gut/Welches Ziel ist gut?
|
Eine Begründung dafür, dass bestimmte Werte/Güter/Zwecke zentraler bzw. höherrangig sind, wird letztlich nochmals auf moralphilosophische Prinzipien zurückgreifen. Diese bilden das unterste warrent eines Toulmin-Schemas: beurteilt man den Rang, die Dringlichkeit oder die Zentralität eines Gutes/Wertes
- auf der Basis einer anthropologisch-essentialistischen/aristotelischen/capability- (material wertethischen) Konzeption des guten menschlichen Lebens?
- mit Blick auf den Vorrang moralischer Güter/Werte?
- auf der Grundlage von Berechnungen der zu erwartenden Maximalnutzen / Minimalschaden-Summe ?
Eine Testfrage beim klugen Abwägen wäre, ob ggf. moralische (i) vor eudaimonistischen (ii) und diese vor prudentiellen und Nutzen-Werten (iii) stehen? Weitere ähnliche Testfragen im KOLLEG ETHIK unter „Grundsätze einer futuristischen Ethik“ S. 272 f. und S. 282. Eine Ethik der Technik kann grundsätzlich nicht in eine Technik der Ethik münden, für einen verantwortungsvollen Einsatz von Algorithmen wird es keinen Algorithmus geben können, sondern letztlich nur utilitaristisch, eudaimonistisch oder deontologisch motivierte Orientierungsvorschläge. * Wenn es ein Gütesiegel einer Abwägung ist, dass sie klug genannt werden kann, dann deutet das auf eine besondere Bedeutung der aristotelischen dianoetischen Tugend der phronesis (und der aristotelischen Klugheitsethik).
[... ] als Merkmal des Menschen mit sittlicher Einsicht (phronesis) gilt, dass er fähig ist, Wert oder Nutzen für seine Person richtig abzuwägen , und zwar nicht im speziellen Sinn, z.B. Mittel und Wege zu Gesundheit oder zu Kraft, sondern in dem umfassenden Sinn: Mittel und Wege zum guten und glücklichen Leben... So bleibt denn als Ergebnis, dass sittliche Einsicht eine mit richtigem Planen verbundene, zur Grundhaltung verfestigte Fähigkeit des Handelns ist, des Handelns im Bereich dessen, was für den Menschen wertvoll oder nicht wertvoll ist ... Aus diesem Grunde glauben wir, dass Perikles und Männer seiner Art sittliche Einsicht haben, weil sie nämlich einen Blick dafür besitzen, was für sie selbst und für den Menschen wertvoll ist .
Aristoteles NE, VI,8
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