Trauma -wirk-lichkeit
Was ist ein Trauma und welche Wirkungen kann es entfalten?
Eine kurze Skizze von Uta Wahl-Witte,2009
„…denn ich bin es, den ich darstelle.“ Montaigne
Allzu schnell werden heute die Worte „Traumatisierung, traumatisch, Trauma usw.“ in den Mund genommen, ohne sie genau definiert zu haben.
Im Griechischen wird das Wort Trauma für Verletzung, Verwundung, Schaden,
Niederlage verwendet. In der 2. Hälfte des 19.Jhs bei Freud erscheint
Trauma als Ausdruck für seelische Erschütterung und Schock. In ihrem
Buch „Trauma und die Folgen“ definiert Michaela Huber Trauma in
Abgrenzung zu dem, was man allgemein ein „belastendes Lebensereignis“ nennen
könnte. Das erscheint mir sinnvoll. Heute also würde man beschreibend
sagen:
„Ein Trauma ist überwältigend, lebensgefährlich, über
alle Maßen erschreckend, etwas, das man eigentlich nicht verkraften kann,
ein Ereignis außerhalb dessen, was der Mensch sonst kennt, verbunden
mit der Überzeugung, dass man es nie verwindet, so schlimm, dass man nachher
denkt, es könne nicht passiert sein, mit enormen seelischen und/oder körperlichen
Schmerzen verbunden. Etwas, das von unserem Gehirn aufgesplittert oder ganz
verdrängt wird.“
Michaela Huber, 2003
Damit extreme, tatsächlich von außen kommende, stressreiche Lebensereignisse in der Folge als Trauma bezeichnet werden, müssen bestimmte Bedingungen sowohl im Außen als auch neurophysiologisch hinzukommen. Die Definition des Traumas erfolgt also postum.
Normalerweise reagiert der Mensch auf extrem stressreiche (vom Gehirn als
vernichtend erkannte) äußere Einwirkungen mit zwei Möglichkeiten,
die ganz instinktmäßig ablaufen: der
Kampf
oder
die
Flucht
. Ist das nicht möglich, wird versucht, mit
einer Auflösung des Selbst zu entkommen:
Starre
bzw.
Entfremdung vom Geschehen und
Fragmentierung
bzw. Zersplitterung
in kleine Teile, die rückblickend nicht mehr zusammenhängend wahrgenommen
werden können. In dem Moment, in dem das Phänomen der Starre auftritt,
sprechen wir von einem Trauma. Das „Weggehen“ in die extreme Dissoziation
hilft, sich zu entfernen, obwohl man körperlich anwesend ist. Diese Möglichkeit
des Weggehens ist eine Ressource, denn sie ist lebenserhaltend. Doch sie hat
einen Preis, den man vielleicht als den Verlust oder Teilverlust des Selbst
bezeichnen könnte. (Sehr eindrücklich aufgeschrieben ist das im „Roman
eines Schicksalslosen“ von Imre Kertesz.)
Zwischen 30 und 60% aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens ein Trauma.
Nur jeder Dritte davon muss mit den langfristigen Folgen einer posttraumatischen
Belastungsstörung rechnen. Das zeigt, dass der Mensch hohe Fähigkeiten
zur Integration und Selbstheilung in sich trägt.
Was ist der „Preis“, den Starre und Fragmentierung im Leben eines Betroffenen mit langfristiger Störung haben können? Schon vor einhundertzwanzig Jahren stellte der Philosoph und Psychiater Pierre Janet folgendes fest: „Ein Trauma, das man nicht realisiert, muss man wiedererleben oder reinszenieren“. Janet, 1889 .
Heute ist in aller Munde das Wort der posttraumatischen Belastungsstörung. Zur posttraumatischen Belastungsstörung gehören per aktueller Definition folgende Phänomene:
- Angstzustände und erhöhte Schreckhaftigkeit
- Albträume und Schlafstörungen
- Häufiges Wiedererleben von Teilen des Traumas. Da es oft ins unkenntliche zersplitterte Teile des Traumas sind, werden sie häufig nicht erkannt als ein Wiedererleben.
-
Polares Verhalten auf Reize, die mit dem Trauma zu
tun haben. Das heißt,
diese Reize werden unter allen Umständen vermieden oder genau das Gegenteil,
nämlich immer wieder gesucht.
-
Gefühle von Empfindungslosigkeit auf körperlicher und seelischer
Ebene
- Losgelöstheitsgefühle vom anderen und von sich selbst
- Einsamkeitsgefühle, Depression
- Kontaktunwilligkeit
- Beeinträchtigung und Veränderung der Wahrnehmung der Umwelt, des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle
- Konzentrations- und Leistungsbeeinträchtigung
Nun hört sich das an, als sei es ein Einfaches, diese Phänomene
zu erkennen. Doch das zeigt sich manches Mal als ein schwieriges, sehr uneindeutiges
Unterfangen:
„Den Komplex der traumatischen Störung zu erkennen, setzt voraus,
Botschaften mit ihren verwirrenden Verhaltensmustern, die Folge von Reaktionen
auf existentielle Bedrohung, die sprachlich nicht fassbar sind, wahrnehmen
zu können Dies verlangt andere Wahrnehmungseinstellungen, als wir üblicherweise
einnehmen…Wahrnehmungen von Verhaltensweisen, die nicht von neurotischen
Konflikten bestimmt sind, sondern sich quasi am Ich und jeglicher Kommunizierbarkeit
vorbei entwickelt haben.“
Streeck-Fischer, Kepper, Lehmann 2002
Die oben beschriebenen Phänomene ziehen Spuren in komplexer und vielfältiger
und individueller Form nach sich:
Sie beeinflussen
- die Verbundenheit mit anderen und sich selbst bis zur gestörten Bindungsfähigkeit
- die Fühlfähigkeit und den achtsamen Umgang mit sich selbst bis zu selbstverletzendem Verhalten
- die natürliche Zuwendung zum Leben bis zur vollständigen Abwendung vom Leben.
Dies jetzt genauer auszuführen sprengt den Rahmen dieser Skizze. Auch
wende ich mich in diesem Rahmen bewusst nicht der allerwichtigsten Frage zu:
der Frage der Heilung. So viel sei gesagt: Heilung ist möglich und wichtig
und die Wege dorthin sind vielfältig
„Meine Geschichte ist von mir abgefallen: mich erfasst eine jähe
Gleichgewichtsstörung, als hätte ich mich verirrt und wäre zwischen
Vergangenheit und Zukunft aus der Zeit herausgeglitten. Irgendwann einmal werde
ich mich von diesem Zusammenbruch erholen, werde der beharrlichen Stimme folgen,
die mich hinter meinen grauen Nebel zurück ins Leben ruft. Im Augenblick
aber stehe ich, unwissend und verständnislos, gleichsam auf der Schwelle
zwischen Leben und Tod, mein Körper strebt Richtung Tod ,mein Kopf dreht
sich zum Leben um, mein Fuß holt unschlüssig zu einem Schritt aus.
Einem Schritt wohin? Egal, denn wer den Schritt tut, bin schon nicht mehr ich,
das ist ein anderer“
(aus Imre Kertesz: „Ich-ein anderer“)
Uta Wahl-Witte
Praxis für Psychotherapie
Paarberatung
Supervision, Coaching, Teamentwicklung
Nowackanlage 15
76137 Karlsruhe
0721-38489213
Vortrag: Trauma -wirk-lichkeit [pdf] [23 KB]