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Konzept

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Der Kalte Krieg in beziehungsgeschichtlicher Perspektive:
Internationale, europäische und deutsch-deutsche Geschichte in ihren gegenseitigen Wechselwirkungen

„Durch die Revolution in Ostmitteleuropa und der DDR haben sich seit 1989 die Perspektiven auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt und insbesondere auf die deutsche Nachkriegsgeschichte gravierend verschoben.“ [1] Diese Aussage des Zeithistorikers Christoph Kleßmann aus dem Jahr 2005 gilt heute immer noch unverändert, und zwar nicht nur für wissenschaftliche Darstellungen, sondern gleichermaßen für den Geschichtsunterricht. Für die Geschichte Europas nach 1945 hat Jost Dülffer ergänzt: „Die Geschichte Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich nicht aus sich selbst heraus verstehen. Mehr als in jeder anderen Epoche zuvor wurde sie von außen bestimmt… Eine Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg muss daher auch die Rolle der beiden „Supermächte“ USA und Sowjetunion einbeziehen.“ [2]

Gemeinsam ist den komplementären Diagnosen von Kleßmann und Dülffer die Überzeugung, dass die Einheit der europäischen und der deutsch-deutschen Geschichte zwischen 1945 und 1990/91 einerseits durch die Revolutionen seit 1989, d.h. durch das Ende des Kalten Kriegs als neuem „Fluchtpunkt“ (H.A. Winkler) des kurzen 20. Jahrhunderts wieder deutlicher sichtbar geworden ist und dass sie andererseits nur durch ihre beziehungsgeschichtliche Einbettung in den umfassenden Kontext der Geschichte des Kalten Kriegs analytisch verständlich gemacht werden kann. Die aus systematischen Gründen geforderte Analyse der Bedingungsgefüge und gegenseitigen Wechselwirkungen auf den drei wirkmächtigen Ebenen – der internationalen, der europäischen und der deutsch-deutschen Politik – setzt bei Schülern allerdings komplexe Strukturierungskompetenzen voraus, die nachhaltig geschult werden müssen. Insofern eignen sich die Schwerpunktthemen ab 2014 in besonderer Weise für einen kompetenzorientierten Geschichtsunterricht.

Die neuen Schwerpunktthemen ab 2014 knüpfen direkt an den bis 2013 gültigen Schwerpunktthemen zur deutsch-deutschen Geschichte 1949 - 1989 und zum Kalten Krieg an, denn bereits bei diesen Themen stand das deutsch-deutsche Spannungsfeld von Abgrenzung und Integration zwischen BRD und DDR (Schwerpunktthema 1) einerseits, ihre Außenbestimmung durch die Politik der USA und der Sowjetunion (Schwerpunktthema 2) andererseits im Zentrum der Aufgabenstellungen im Abitur.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Teilung Deutschlands tut sich also nicht nur die Chance zur Neubestimmung epochaler Zusammenhänge auf, möglich wird nun auch die „innere Wiedervereinigung“ der europäischen und der deutschen Zeitgeschichte selbst, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sowohl in den beiden deutschen als auch in den west- und osteuropäischen Staaten in zwei „getrennte Geschichten“ zerrissen worden war, wodurch der Zustand der Teilung Europas und Deutschlands sich sozusagen auf historiographischer Ebene reproduzierte.

Der mit dem Jahr 1989/90 gegebene neue Fluchtpunkt der deutschen und europäischen Geschichte rückt demgegenüber die gesamtdeutschen und gesamteuropäischen Zusammenhänge wieder stärker ins Blickfeld, was nicht nur die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR betrifft, sondern auch ihre Wechselwirkungen untereinander einerseits, mit der europäischen und der internationalen Ebene andererseits.

In diesem Spannungsverhältnis spiegeln sich einerseits fortwirkende ökonomische, politische und kulturelle Zusammenhänge auf deutscher und europäischer Ebene, andererseits aber auch ideologisch bedingte zentrifugale Kräfte, so dass sich in gerade dieser Spannung das spezifische Profil der deutsch-deutschen, europäischen und internationalen Entwicklung nach 1945 zeigt, in der vergleichbare Problemlagen zu divergierenden systemspezifischen Lösungsversuchen führen.

Daraus ergeben sich für den Geschichtsunterricht zur Nachkriegsgeschichte Probleme auf den folgenden Ebenen:

  1. Zu lösen ist das Problem einer gemeinsamen, d.h. die drei Ebenen verbindenden Periodisierung, weil nämlich einerseits die „getrennten Geschichten“ der beiden deutschen Staaten, Europas und der beiden Supermächte, andererseits auch ihre Beziehungen zueinander und Wechselwirkungen untereinander in zumindest annähernd deckungsgleiche Phasen eingeteilt werden müssen.
  1. Innerhalb der einzelnen Phasen ist jeweils einerseits der Vergleichs- und Beziehungsaspekt, andererseits aber auch die interne Systemlogik der Prozesse und Entscheidungen darzustellen, was wiederum Rückwirkungen auf die Periodisierungsentscheidungen hat, weil der komparative Aspekt darstellungstechnisch eher kürzere, der systemlogische eher längere Phasen nahe legt. Es ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, die Unterrichtsstunden innerhalb der einzelnen Phasen aufeinander abzustimmen.
  1. Die Phasen sind jeweils in ein dreifach bestimmtes Kraftfeld einzuordnen: a) in die (zeitlich und räumlich unterschiedlich intensive) Außensteuerung im Rahmen des Ost-West-Konflikts, b) in die von den politischen Akteuren in den deutschen und europäischen Staaten zu verantwortende Entwicklung, c) in die Konstellation der wechselseitigen Beeinflussung.
  1. Die politik-, wirtschafts- und ereignisgeschichtlichen Zusammenhänge sind schließlich in Beziehung zu setzen zu Fragestellungen der Mentalitäts-, Alltags-, Kultur-, Regional- und Geschlechtergeschichte. Hier stellt sich erneut das Periodisierungsproblem, weil es sich bei letzteren in der Regel um strukturgeschichtliche Zusammenhänge einer teilautonomen „longue durée“ handelt, die eine längsschnittartige Darstellung nahe legen.
  1. Die auf den genannten drei Ebenen zu analysierende Zeitgeschichte nach 1945 ist schließlich auch mit der „älteren Zeitgeschichte“ (Bracher) zu vermitteln, von der sie sich zwar einerseits deutlich abhebt, auf die sie aber auch immer wieder stößt und mit der sie sich da und dort auch überlagert. Zu fragen ist dabei nach Unterströmungen, die aus der älteren in die neuere Zeitgeschichte hineinreichen, nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten, nach dem jeweiligen Verhältnis zur eigenen Vergangenheit, z.B. zur älteren europäischen Integrationsgeschichte, zu den Anfängen des Ost-West-Konflikts seit 1917 und zu den prägenden Faktoren der deutsch-deutschen Geschichte, die aus der Zeit vor 1945 weiterwirken.

Der nachfolgende Vorschlag zur Periodisierung soll einerseits der besseren Orientierung im „Gestrüpp“ der genannten drei Ebenen dienen. Er soll andererseits aber auch Einschnitte markieren, die das Muster des Konfliktverlaufs erhellen und dadurch Leitperspektiven für einen kompetenzorientierten Unterricht zu den neuen Schwerpunktthemen sichtbar machen. Unterrichtspraktisch eignen sich die diversen „Fieberkurven“ zum Kalten Krieg in verschiedenen Geschichtsbüchern dazu, die Periodisierung zu erarbeiten.

Periodisierung: Die Welt, Europa und Deutschland im Schatten des Kalten Kriegs 1945 - 1991

Phase 1: 1945/46

Halbherzige Fortsetzung der Kooperation in der Anti-Hitler-Koalition („One World“, UN, Baruch-Plan, Zurückhaltung Stalins im griechischen Bürgerkrieg) bei wachsendem gegenseitigem Misstrauen, Formelkompromisse (z.B. Potsdam), Marginalisierung Europas, Zusammenbruchsgesellschaft in Deutschland

Phase 2: 1947

Übergang zur Konfrontation, Beginn des Kalten Kriegs, Wettrüsten und Containment (Kennan), Ideologisierung (Truman-Doktrin vs. Zwei-Lager-Theorie), Wettlauf der Supermächte bei der Aufteilung Europas (Marshall-Plan/European Recovery Programm, Sowjetisierung Osteuropas), konträre deutschlandpolitische Strategien der Supermächte (Weststaat/Bizone vs. Einheit/Sprungbrett-Theorie), Beginn der europäischen Integration durch Strategiewechsel Frankreichs vom Dominanz- zum Integrationskonzept

Phase 3: 1948 - 1953

Formierung und Erweiterung der Blöcke (VR China/VR Nordkorea – bi-/multilaterale Militärbündnisse der USA), vom Containment zum Roll Back/Liberation, wachsende blockinterne Intoleranz (Antikommunismus/ McCarthy – Titoismus/ 17. Juni 1953), wachsende Kriegsgefahr (Berlin-Krise, Korea-Krieg), Beschleunigung der europäischen Integration (Adenauers Konzessionspolitik ggüb. Frankreich mit dem Ziel der Souveränität, EVG-Plan), deutsch-deutsche Entfremdung (Doppelte Staatsgründung: Westintegration – „Aufbau des Sozialismus“)

Phase 4: 1953 - 1957

„Tauwetter-Periode“ (Ilja Ehrenburg 1954): Konsolidierung der Blöcke, Entstalinisierung im Ostblock, Arrangement bei Konflikten durch Respektierung der Einflusszonen und Nichteinmischungsprinzip (Korea 1953, 17. Juni 1953, Vietnam 1954, Österreich 1955, Polen/Ungarn 1956), Durchbruch bei wirtschaftlicher Integration Europas (Römische Verträge), deutsch-deutsche Militarisierung (Wiederbewaffnung, „Vorneverteidigung“) und Bündnisintegration (Hallstein-Doktrin – Zwei-Staaten-Theorie)

Phase 5: 1957- 1962

Neue Konfrontation (Sputnik-Schock, atomares Patt und Overkill, „Massive Retaliation“, Schweinebucht, Kuba-Krise), deutsch-französische Aussöhnung (de Gaulle – Adenauer), deutsch-deutsche Entfremdung (2. Berlin-Krise, Mauerbau)

Phase 6: 1963 - 1976

Entspannungspolitik nach Kuba-Schock, Rüstungskontrollverträge und „Flexible Response“, Verlagerung des Kalten Kriegs in die Dritte Welt (Vietnam), wachsende wirtschaftliche Potenz Europas (EG), europäische Vertragspolitik (Ostverträge, Gewaltverzicht, KSZE-Prozess, Elysée-Vertrag), „Neue Ostpolitik“ Willy Brandts, Stabilisierung der DDR im Schatten der Mauer, deutsch-deutsche Vertragspolitik (Grundlagenvertrag)

Phase 7: 1976 – 1984

„Second Cold War“: Scheitern der Rüstungskontrollgespräche und neues Wettrüsten, EG-Erweiterung, zivilgesellschaftliche Bewegungen in West- und Osteuropa, deutschlandpolitische Kontinuität (Schmidt – Kohl)

Phase 8: 1985 – 1989/90

Gorbatschow, Raketenabbau und neue Rüstungskontrollabkommen, Auflösung des Ostblocks und Wiedervereinigung Europas, von der wirtschaftlichen zur politischen Integration Westeuropas, Selbstisolation der SED und Systemkrise in der DDR, Fluchtbewegung, friedliche Revolution und deutsche Einheit

Phase 9: 1991 - 2012

Auflösung der Sowjetunion und Ende des Kalten Kriegs, Unilateralismus, „Neue Weltordnung“, Maastricht-Vertrag, Renaissance von Nationalismus und Krieg in Europa (Balkan), Osterweiterung der EU und Euro-Krise, „Berliner Republik“ und die Folgen der Einheit: neue europa- und weltpolitische Rolle Deutschlands



[1] Christoph Kleßmann, Spaltung und Verflechtung – Ein Konzept zur integrierten Nachkriegsgeschichte 1945 – 1990, in: ders./Peter Lautzas (Hrsg.),  Teilung und Integration. Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und didaktisches Problem. Bonn 2005, S. 23.

[2] Jost Dülffer, Europa im Ost-West-Konflikt 1945 - 1990. München 2004, S. 1.

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