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Kuba-Krise

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Nach­in­sze­nie­rung oder Re-enact­ment

Nach-In­sze­nie­run­gen, im Bran­chen-Neu­sprech auch Re-Enact­ments ge­nannt, haben im do­ku­men­ta­ri­schen Sek­tor der­zeit Kon­junk­tur. Man fin­det kaum Do­ku­men­ta­tio­nen, in denen nicht we­nigs­tens ge­le­gent­lich nach­ge­stell­te Sze­nen auf­tau­chen. Und sei es nur, um dem Er­zähl­fluss ein wenig Bahn zu bre­chen oder Über­gän­ge ge­len­ki­ger und ge­fäl­li­ger zu ge­stal­ten. Wenn Au­to­ren und Re­dak­ti­on ihre Zu­schau­er über die Her­kunft der Bil­der kei­nes­falls im Un­kla­ren las­sen wol­len, dann schrei­ben sie „nach­ge­stell­te Szene“ dazu. Weil das je­doch nur we­ni­ge tun, wir­ken sol­che Hin­wei­se immer etwas un­ge­lenk. Nach-In­sze­nie­run­gen wer­den in ver­schie­dens­ten Aus­prä­gun­gen an­ge­wandt. Be­liebt, weil mit ge­rin­ge­rem Ein­satz her­zu­stel­len, sind sym­bo­li­sche Sze­ne­ri­en, in denen das De­tail für das Ganze steht – das Co­gnacglas auf dem Ka­min­sims etwa drückt die ent­spann­te Her­ren­stim­mung auf der Wann­see-Kon­fe­renz aus. Auf­wen­di­ger als sym­bo­li­sche Fül­ler sind ganze stum­me Spiel­sze­nen – sie zei­gen etwa den bri­ti­sche Uhr­ma­cher John Har­ri­son, wie er an einer Uhr feilt und fum­melt, die den See­fah­rern im 18. Jahr­hun­dert end­lich die Be­stim­mung des Län­gen­gra­des er­laubt. Selbst kom­plet­te Film­spiel­sze­nen mit Dia­log und Span­nungs­dra­ma­tur­gie kom­men vor […] – wir sehen und hören, wie der ita­lie­ni­sche Groß­in­qui­si­tor Gi­ulio An­to­nio San­tor die Ver­bren­nung des Ket­zers Gior­da­no Bruno be­grün­det. Be­son­ders bei his­to­ri­schen Stof­fen aus der Zeit vor den Brü­dern Lumière grei­fen Au­to­ren zum Mit­tel der Nach-In­sze­nie­rung. Sie er­fül­len damit ein un­ge­schrie­be­nes Ge­setz des Fern­se­hens, wo­nach nicht exis­tiert, was nicht ab­ge­bil­det wer­den kann. Wenn von einem Er­eig­nis oder von einer Stadt keine Film­auf­nah­men exis­tie­ren, soll der Zu­schau­er sich den­noch ein Bild ma­chen kön­nen. […]

Die Er­war­tungs­hal­tung der Zu­schau­er spielt dabei eine zen­tra­le Rolle. Nach-In­sze­nie­run­gen sind eine Re­fe­renz an die Ge­wohn­hei­ten der Zu­schau­er. Span­nung, Hoch­glan­zäs­the­tik, emo­tio­na­le Reize, das er­war­ten Zu­schau­er nicht nur von Fern­seh­spiel und Spiel­film, son­dern auch von do­ku­men­ta­ri­schen Sen­dun­gen. Des­halb in­sze­niert die Do­ku­men­ta­ti­on über die „Ge­hei­me In­qui­si­ti­on“ aus­führ­lich den Flam­men­tod von Gior­da­no Bruno. Be­trächt­lich ist auch der in­sze­na­to­ri­sche Auf­wand, totes Ur­vieh wie­der zum Bild­schirm-Leben zu er­we­cken. Pa­trick Hörl (Dis­co­very): „Die Leute wol­len nicht nur den Fund eines Mam­mut-Stoß­zahns sehen, son­dern auch in ani­mier­ter Form ver­fol­gen, wie das Mam­mut dazu aus­sieht.“ Zu­schau­er mögen keine hal­ben Sa­chen. Ge­schich­te muss kom­plett sein. Un­klar­heit und of­fe­ne Fra­gen schmä­lern den Un­ter­hal­tungs­wert.

[…] Nach-In­sze­nier­te Sze­nen, so­weit sie nur der Il­lus­tra­ti­on die­nen, mögen dem Ge­schichts­ver­ständ­nis noch Bei­stand leis­ten. Dra­ma­tur­gi­en, die dem Kino ab­ge­schaut sind, kön­nen aber auch den Blick ver­än­dern. Die Ent­füh­rung Eich­manns in Bue­nos Aires, in­sze­niert im Stil eines Kino-Thril­lers, ist von Auf­klä­rung und his­to­ri­scher Wahr­heit sehr weit ent­fernt. So kann man sich auch beim Drei­tei­ler über „Die ge­hei­me In­qui­si­ti­on“ die Frage stel­len, ob nicht die Gren­ze zum Doku-Drama schon über­schrit­ten ist. Ob hier nicht schon zeit­his­to­ri­scher Stoff fik­tio­nal über­setzt wird. Die Frage wäre nicht wei­ter wich­tig, wir sind an Misch­for­men ge­wöhnt. Aber da es sich um eine Do­ku­men­ta­ti­on han­delt, tau­chen Fra­gen auf. Sind die hör­ba­ren, vom Schau­spie­ler ge­spro­che­nen in­ne­ren Mo­no­lo­ge, in denen der Groß­in­qui­si­tor seine Ge­dan­ken und Skru­pel wälzt, his­to­risch ver­bürgt? Oder han­delt es sich um eine nach­emp­fin­den­de Idee des Dreh­buch­au­tors? Und wenn ge­ra­de diese Mo­no­lo­ge die These des Films stüt­zen, die In­qui­si­to­ren hät­ten zwar ge­irrt, aber aus einem tie­fen in­ne­ren Glau­ben her­aus – dann führt das Nach­in­sze­nier­te mit­ten hin­ein in eine sub­jek­ti­ve In­ter­pre­ta­ti­on von Ge­schich­te, die sich aber – es han­delt sich eben um do­ku­men­ta­ri­sches Fern­se­hen – ob­jek­tiv gibt.

Be­son­ders wei­ter ent­wi­ckelt ist die Me­tho­de des Nach-In­sze­nie­rens im Film „Ner­ven­pro­be – die Kuba Krise 62“. Die Au­to­ren Guido Knopp und Ste­fan Braun­bur­ger haben zum do­ku­men­ta­ri­schen Ma­te­ri­al auch in­sze­nier­tes Ma­te­ri­al ver­wen­det – und es künst­lich ver­al­tet. Sie haben, um einen Ef­fekt der Ho­mo­ge­ni­sie­rung zu er­rei­chen, auch mit ent­spre­chen­den Ma­te­ria­li­en ge­ar­bei­tet: „So wurde auch bei neuen Innen- und Au­ßen­auf­nah­men mit alter 16-mm-Ka­me­ra­tech­nik und altem Film­ma­te­ri­al ge­ar­bei­tet.“ Dann ver­schmel­zen sie in­sze­nier­te und do­ku­men­ta­ri­sche Se­quen­zen un­ter­schieds­los mit­ein­an­der. Fin­gier­te Sze­nen etwa aus dem Kri­sen­stab des Wei­ßen Hau­ses soll­ten aus­se­hen, als sei die Ka­me­ra in die­sen ent­schei­den­den Stun­den dabei ge­we­sen. Co-Autor Gün­ther Klein ver­wen­det für die­ses Ver­fah­ren den Be­griff der „do­ku­men­ta­ri­schen Ima­gi­na­ti­on“. Man habe dem Zeit-Ko­lo­rit näher kom­men wol­len und „spie­le­risch den Re­por­ta­ges­til der 60er Jahre imi­tiert“. Ab­sicht sei ge­we­sen, „die At­mo­sphä­re die­ser be­we­gen­den Ge­schich­te ohne for­ma­le Brü­che zu ver­mit­teln“. Der Zu­schau­er soll­te das Emp­fin­den haben, „au­then­tisch hin­ein­ver­setzt zu sein in das Ge­sche­hen“.


(C) Mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Ver­lags
aus: Wolf, Fritz: Alles Doku – oder was? Über die Aus­dif­fe­ren­zie­rung des Do­ku­men­ta­ri­schen im Fern­se­hen. Wup­per­tal 2003. S. 72-74.
http://​www.​lfm-​nrw.​de/​fi­lead­min/​lfm-​nrw/​Ak­tu­el­le_​For​schu​ngsp​roje​kte/​al­les­do­ku-​kompl.​pdf

Kuba-Krise: Her­un­ter­la­den [doc][31 KB]