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Ar­beits­blatt 3

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Aus­zug aus einer Rede des so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ab­ge­ord­ne­ten Wil­helm Lieb­knecht vor dem Reichs­tag des Nord­deut­schen Bun­des am 9. De­zem­ber 1870

Nun komme ich zur ei­gent­li­chen Sache. Es han­delt sich, wie man sagt darum, die deut­sche Ein­heit her­zu­stel­len. – Was heißt denn Ein­heit? Die­ses Wort hat auch uns, wie gewiß einem Jeden von uns, in der Ju­gend das Herz höher schla­gen las­sen.; wir haben dar­un­ter aber nicht die Ei­ni­gung eines Theils von Deutsch­land ver­stan­den, son­dern die Ein­heit, die Ei­ni­gung des gan­zen Deutsch­land. Wenn die deut­sche Ein­heit darin be­steht, daß nur ein Theil ge­ei­nigt wird, dann ist es gleich­gül­tig, wie groß oder wie klein die­ser Theil ist; dann brau­chen Sie bloß eine Ka­ser­ne zu er­rich­ten, Sie haben die Ein­heit darin und Sie kön­nen sagen, das ist die deut­sche Ein­heit. Wenn die deut­sche Ein­heit nicht das ganze Deutsch­land um­faßt, so kann es eine Ein­heit nicht ge­nannt wer­den.

Das Hin­der­niß einer Ei­ni­gung Deutsch­lands liegt nun aber in der Macht­stel­lung, wel­che un­se­re Fürs­ten haben, und blos da­durch, daß das Volk durch eine Ak­ti­on seine Sou­ve­rä­ni­tät zur Gel­tung bringt, daß es die Macht der Fürs­ten bricht, mit an­de­ren Wor­ten durch eine Be­we­gung von unten her­auf kann al­lein die Ei­ni­gung des ge­sam­ten be­werk­stel­ligt wer­den. Sie kann nicht be­werk­stel­ligt wer­den durch die Fürs­ten, son­dern bloß gegen die Fürs­ten, denn die deut­schen Fürs­ten sind das Hin­der­nis die­ser Ein­heit. Es wurde von dem deut­schen Volke vor jetzt 21 Jah­ren ein Ver­such ge­macht, die deut­sche Ein­heit von unten her­aus zu­we­ge zu brin­gen; das Par­la­ment, ge­wählt vom deut­schen Volk, such­te eine Ver­mitt­lung an­zu­bah­nen zwi­schen der fürst­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät und der und der Volksou­ve­rä­ni­tät. Es kam die so­ge­nann­te Reichs­ver­fas­sung zu Stan­de. Wie die­sel­be zu Grun­de ging, das ist Ihnen allen be­kannt. Es war ge­ra­de die­je­ni­ge Dy­nas­tie, der da­mals die Kai­ser­kro­ne an­ge­bo­ten wurde, die auch heute die Kai­ser­kro­ne auf­set­zen soll, wel­che ihre Sol­da­ten nach Dres­den und Baden schick­te, um die Reichs­ver­fas­sung, um die deut­sche Ein­heit und Frei­heit, in deren Namen jetzt die­ses neue Werk er­rich­tet wer­den soll, zu­sam­men­zu­schie­ßen und die Vor­kämp­fer deut­scher Frei­heit und Ein­heit, die dem Schlacht­feld ent­ron­nen waren, durch das Stand­recht nie­der­zu­met­zeln. […] Er ist eben zwi­schen Volks­sou­ve­rä­ni­tät und Fürs­ten­sou­ve­rä­ni­tät eine Har­mo­nie nicht her­zu­stel­len. Und an die­ser Un­mög­lich­keit ging die Reichs­ver­fas­sung zu Grun­de. Kurz, eine Ei­ni­gung des ge­sam­ten deut­schen Deutsch­lands ist bloß mög­lich ohne die Fürs­ten und gegen die Fürs­ten, durch eine Ak­ti­on des Vol­kes von unten.

Es giebt aber noch eine an­de­re Ei­ni­gung Deutsch­lands, eine me­cha­ni­sche , möch­te ich sagen, an­statt der or­ga­ni­schen durch das Volk, d.h. eine Ei­ni­gung von oben her […]. Dies Werk ist das Pro­dukt der rea­len Ver­hält­nis­se; es ist aus den Macht­ver­hält­nis­sen her­vor­ge­gan­gen; die Macht liegt aber in Ver­sailles, nicht hier; das Re­sul­tat wird das­sel­be sein, ob Sie Ja oder Nein sagen […]. Wenn es Ihnen ge­lingt, Frank­reich nie­der­zu­wer­fen, die Re­pu­blik zu be­sie­gen, nun gut, […] dann wer­den wir den kras­ses­ten Ab­so­lu­tis­mus haben, und der neue Bund wird dann in kras­ses­ter Form das, wozu er be­stimmt ist: eine fürst­li­che Ver­si­che­rungs­an­stalt gegen die De­mo­kra­tie. […]
Die Krö­nung des neuen Kai­sers, meine Her­ren, um ihr eine wür­di­ge sym­bo­li­sche Be­deu­tung zu geben, sie wäre vor­zu­nah­men da drau­ßen, auf dem Gen­dar­men­markt, das ist der pas­sends­te Ort für die Krö­nung des mo­der­nen Kai­sers, denn die­ses Kai­ser­tum kann in der Tat nur durch den Gen­dar­men auf­recht er­hal­ten wer­den.

In: Ste­no­gra­phi­sche Pro­to­kol­le des Reichs­ta­ges des Nord­deut­schen Bun­des, 1. Le­gis­la­tur­pe­ri­ode, 3. Sit­zungs­pe­ri­ode 1870, Band 19, S. 152-154.

 

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