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Unterrichtsvorschlag

Einführung in ethisches Reflektieren

Didaktische und fachliche Hinführung

Wie leicht gehen einem die Begriffe „Werte“, „Moral“, „Norm“ und „Ethik“ einschließlich deren Verwendung als Adjektiv oder in Form von Wortverbindungen von den Lippen. Die Zeitung beschreibt und beklagt den Werteverfall, das Verhalten von Gaffern auf der Autobahn wird als unmoralisch bezeichnet, Normen bestimmen ohnehin unser Leben bis hin zur Blattgröße der Deutschen Industrienorm und als ethisch oder unethisch wird schnell das bezeichnet, was der eigenen Überzeugung widerspricht. Doch auch wer die Begriffe im Zusammenhang einer philosophisch verantworteten Klarheit verwenden will, muss sich Rechenschaft darüber ablegen, welcher Definition und welchem Ansatz er oder sie dabei folgen möchte. Wie halten Sie es zum Beispiel, wenn Sie über Moral oder Werte einführen? Ist der Begriff „Moral“ frei von ethischen Implikationen und inhaltlich nur dadurch bestimmt, dass er den Konsens einer Gruppe im Blick auf ein richtiges oder gesolltes Handeln bezeichnet? Dann wäre es beispielsweise als Lehrkraft moralisch richtig, den Schülerinnen und Schülern eine angemessene Wertschätzung entgegenzubringen. Denn unter der Gruppe der Lehrpersonen sowie der Elternschaft und der Schülerschaft, ja vermutlich der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft herrscht im Hinblick auf dieses Verhalten ein gewisser Konsens. Wenn ich die Gruppe verkleinere und – nehmen wir ein deutliches Beispiel – nach der Moral einer Rockergruppe frage, würden diese mich vermutlich auf deren Kodex hinweisen, dass sie ihrem Anführer unbedingten Gehorsam leisten, zusammenhalten und, wenn es ihrer Meinung nach sein muss, gegen anders Denkende und Fühlende brutal vorgehen. So sind das wertschätzende Verhalten der Lehrerschaft sowie das brutale Vorgehen der Rocker gegen eine andere Gruppierung innerhalb der jeweiligen Gruppe „moralisch“ vertretbar, ja sogar moralisch notwendig, um den Ansprüchen der die Moral etablierenden Gruppe zu genügen. Im umgekehrten Sinn wäre es in der Logik der jeweiligen Gruppe jeweils unmoralisch, wenn ein Lehrer ein Kind schlägt und ein Rocker sich einer befohlenen Gewalttat verweigert.

Wenn also Moral zunächst eine Größe ist, die innerhalb einer Gruppe entsteht, stellt sich die weiterführende Frage, wodurch die moralischen Vorstellungen generiert und genährt werden. Dies können zum einen unbewusste Prozesse sein, die sich zu einer Sitte und Brauchtum verdichtet haben, eventuell einen sie begründenden Kern besitzen, aber häufig von der Nachwelt als Konvention unverstanden nachgeahmt werden. Begibt man sich auf die Suche nach einem Kern, um den herum ein Brauch oder eine Sitte entstanden ist, so kommt man meist im letzten Zugriff auf einen Begriff, der mehr ist, als die Moral, der auch mehr ist, als eine daraus abgeleitete gute Gewohnheit: Es ist - ein „Wert“. Die Quelle der Moral ist ein Wert, der die moralische Bewegung speist und nährt und erhält. Dies lässt sich wieder an unseren beiden Beispielen veranschaulichen: Wenn die pädagogischen Kräfte das Wohl des Kindes im Blick haben und ihm gutes Gedeihen aufgrund der durch die Lehrperson hergestellten Situation wünschen, so ist das Kindeswohl und seine emotional-geistige Entwicklung ein hohes Ziel, das in diesem Fall zugleich Ausgangspunkt für das eigene Handeln und Zielpunkt für die anzustrebende Entwicklung darstellt. Im Gegensatz dazu könnte ein Rocker den Zusammenhalt in seiner Gruppe und den damit verbundenen Gehorsam gegenüber dem Oberhaupt als seinen höchsten Wert formulieren, der für ihn wiederum Anfang und Ziel seines Handelns bedeutet.

Wenn der Zusammenhang von Quelle und Fluss so stimmt und mithin der für den einzelnen oder die Gruppe handlungsleitende Wert die Moral der gesamten Gruppe ausmacht, kann man dennoch in zweifacher Weise auf Moral oder Werte zu sprechen kommen. Einmal könnte man von Werten ausgehen und schauen, wo diese Eingang gefunden haben. Und wenn jemand dieselben Werte vertritt, können sich beide Personen zusammentun und über den gemeinsamen Wert auch eine gemeinsame Moral entwickeln, die sich in verschiedenen Handlungsfeldern festmacht und entsprechende gemeinsame Verhaltensweisen einfordert. Und ein anderes Mal könnte man aus einer Gruppenmoral auf den oder die dahinter liegenden Werte schließen.

Für beide Fälle kann als Ergebnis festgehalten werden, dass man jeweils die Verhaltensweisen und ethischen Beweggründe einer Gruppe so zur Sprache bringen, mit anderen austauschen, sich also Klarheit verschaffen und seine eigene Position beziehen, festigen oder verändern kann. Insofern hat die Beschäftigung mit Moral und Wert eindeutig Vorteile, denn man kommt nicht umhin, seine eigene Position bis hin zu den Werten, die man selbst für tragfähig und lebenswichtig hält, zu bestimmen (und zu kommunizieren). Dadurch entstehen Klarheit für das eigene Handeln und die es motivierenden Gründe in Form von Werten sowie Transparenz für den Umgang miteinander und nicht zuletzt eine Kommunizierbarkeit über das, was mir für mein Handeln im persönlichen oder gesellschaftlichen Umfeld wichtig ist. Gerade in einer Zeit, in der Werte und Moral zu Schlagwörtern werden, die einer genauen Füllung bedürfen, ist eine definitorische Durchdringung dieser Begriffe nötig.

So nötig es ist, diese Wörter zu definieren, so schwierig ist aber auch diese Arbeit. Denn während manche ethische Entwürfe Moral und Ethik synonym verwenden und den Wertbegriff kaum in diese Definition einbeziehen, grenzen andere Moral und Ethik vom ersten Moment an voneinander ab und entwickeln auf der Grundlage dieser Unterscheidung ihre ethische Theorie.

Für das weitere Konzept der Unterrichtsmodule zu Ethik und dabei insbesondere für die erste Stunde gilt, dass der Moralbegriff ohne eine ethische Wertung verstanden wird. Moral ist eine Überzeugung oder eine geschriebene oder ungeschriebene Übereinkunft, die sich zum Beispiel in Form einer Sitte, eines Brauchtums, einer rechtlichen Norm oder eines Selbstverständnisses in einer Gruppe als handlungsleitend richtig erwiesen hat und erweist. Insofern dient der Moralbegriff dazu, verschiedene, gruppenbezogene Verhaltensweisen deskriptiv zu bestimmen oder als Maßstab für künftiges Handeln normierend zu setzen.

In diesem Zusammenhang fungieren die Werte als die Basis für die daraus erwachsende Moral. Denn aus dem Umgang mit den Werten speist sich eine Haltung, die in den verschiedenen Herausforderungen des Alltags eine Leitfunktion besitzt und das Handeln maßgeblich bestimmt. Daran anknüpfend ergibt sich ein Zusammenspiel und schließlich eine Art Muster von Verhaltensweisen, die auf Werten basieren und sich in der Bewältigung der einzelnen Aufgaben im Alltag einerseits als Motivation im Hintergrund agieren, andererseits durch die Handlungen zum Vorschein treten. Darüber hinaus haben die Werte noch eine andere Funktion: Durch die Werte kommen Wertigkeiten ins Spiel, die dazu helfen, eine Moral für sich selber zu bejahen oder abzulehnen. An den Werten entscheidet sich, ob ich einer bestimmten Moralvorstellung zustimme oder nicht. Denn wenn ich mir darüber bewusst werde, was mich letztlich antreibt, kann ich über eine bestehende Moral hinweg diese Antreiber als für mich selbst richtig oder falsch erkennen und habe auf diese Weise wiederum ein Mittel, um einer bestehenden Moralvorstellung auf der Grundlage eines für besser erachteten Wertes den Abschied zu geben. Wer die Diskussion um das derzeit aktuelle Beispiel der zunehmenden Anerkennung homosexueller Paare verfolgt, bemerkt schnell, dass die Frage nicht mehr nur auf der Grundlage der rigorosen Ablehnung aufgrund moralischer Übereinkünfte erfolgt, sondern zunehmend mit Werten wie Liebe (unter Gleichgeschlechtlichen), Respekt und Toleranz geführt wird. Für diese Werte treten viele ein und sind von diesen Werten her willens und in der Lage, diese entsprechend auf die Moralvorstellung zu diesem Thema zu übertragen und dadurch die überkommenen moralischen Vorstellungen zu hinterfragen und neu zu gestalten. Insofern haben die Werte eine prägende und leitende Funktion, die moralische Vorstellungen bestimmen und verändern können.

Die Ethik bezeichnet demgegenüber das Nachdenken über die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Konsequenzen von Handlungen und Entscheidungen, die das menschliche Miteinander angehen. Ihre Arbeit ist deskriptiv, normgebend und selbst reflektierend. In dieser dreifachen Funktion versucht sie deutlich zu machen, wie menschliches Leben im handelnden Bezug zu anderen Personen bestimmt werden kann und welche Verhaltensoptionen es alternativ gibt.

Die hier dargestellten und grundsätzlichen Überlegungen sollen zeigen, auf welcher Basis in der ersten Stunde in die Grundbegriffe der Ethik eingeführt werden und wie sie miteinander verbunden sind. Dieser Ansatz bietet die inhaltliche Basis der Einführungsstunde und soll transparent machen, wie die einzelnen Unterrichtsphasen aufgebaut und miteinander verzahnt sind.

 

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