Neue Medien im Deutschunterricht
Fachdidaktische Aspekte
Angesichts der Medialisierung unserer gesamten Lebenswirklichkeit, in einer Zeit des beschleunigten Medienwandels , geht es nicht mehr darum, ob die Neuen Medien auch in den Deutschunterricht gehören, sondern nur noch, wie sie in die Konzeption eines Deutschunterrichts hineinpassen, der sich einerseits verwurzelt sieht in einer langen Tradition der Buch- und Schriftkultur, der sich andererseits auch der Medienkultur der Gegenwart nicht verschließt. Nach Jahren der Diskussion kann man wohl von einem Konsens ausgehen: Weder gläubige Euphorie noch ängstliche Verweigerung den Neuen Medien gegenüber ist angebracht; vielmehr hat sich als sinnvoll erwiesen
- im Grundsätzlichen: die Einschätzung und Berücksichtigung der unterschiedlichen Medien - der sprach- und textorientierten, der bildlichen, audiovisuellen und neuen digitalen Medien - unter dem Gesichtspunkt einer nicht exklusiv, sondern produktiv verstandenen Konkurrenz - mit der Konsequenz, dass im Unterricht jedes der Medien das eine Mal Leitmedium und das andere Mal Folgemedium sein kann und "intermedial" immer neu eine sach- und zielorientierte Balance hergestellt werden muss;
- im Einzelnen: eine realistische Prüfung, wo die Neuen Medien für den Deutschunterricht eine Ergänzung und Erweiterung des bisherigen Lehrens und Lernens bedeuten, wo wirklich neue Akzente gesetzt werden, wo sich ihr Einsatz als unangebracht erweist und wo möglichen Verlusten begegnet werden muss.
Im gegenwärtigen Augenblick gilt es, die Frage nach dem "Mehrwert" der Neuen Medien in Bezug auf die Inhalte des Fachs - die Themen und Texte, Fragestellungen und Methoden - zu konkretisieren sowie das darzustellen und weiterzugeben, was sich in den ersten Erprobungsphasen bereits als sinnvoll und praktikabel erwiesen hat. Das versuchen die Arbeitsvorschläge in den 3 Modulen zu leisten:
Modul I: "Sprache betrachten - mit
Sprache experimentieren"
Modul II: "Texte erschließen - Texte
produzieren"
Modul III: "Ein Thema erarbeiten und präsentieren"
In ihrem "Gutachten zur Vorbereitung des Programms "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse" (SEMIK)" beschreiben Mandl/Reinmann-Rothmeier/Gräsel ein dreifaches Unterrichtspotential der Neuen Medien:
- als Lehr-Lern-Tool (" Tool-Charakte r")
- als Anlass zur Entwicklung und Anwendung neuer Lehr-Lernformen (" Impuls-Charakter ")
-
als
Lehr-Lerninhalt
( Mandl S.19 ff.)
1. Als kognitive Werkzeuge (mit der erwünschten Nebenwirkung der Schülermotivation) haben neue Medien im Deutschunterricht die gleiche Funktion wie vergleichbare Tools in anderen Unterrichtsfächern, sie sind "innovative Mittel der Anregung und Unterstützung von Lehr-Lernprozessen im Unterricht" ( Mandl u.a . S. 19 ff.). Die multimedialen Präsentations-, Interaktions- und Simulationsmöglichkeiten ermöglichen eine flexible Zusammenstellung von Lernmaterialien und eine individualisierende Konstruktion von Lernwegen. Das didaktische Modell, das diesen Einsatz der Neuen Medien begründet, ist das traditionelle Modell der Instruktion; der innovative Charakter liegt in der (intendierten) Steigerung der Effektivität durch die digitalen Medien. Der Computer bietet sowohl in den Bereichen des Rechtschreibe- und Grammatikunterrichts als auch der Schreib- und Leseserziehung vielfältige, durchaus auch spannende Möglichkeiten zur Nutzung seines Lehr- und Lernpotentials (s. die Arbeitsvorschläge in Modul I und II).
2.
Während
der Lernprozess bei dieser "instruktivistischen" Anwendung der Neuen
Medien zwar individualisiert (und auch kooperativ) verlaufen kann, ermöglicht
ihr Einsatz in einem
problemorientierten Unterricht
("Impuls-Charakter",
Mandl
u.a. S. 21 ff.) durch die Anwendung neuer Lern-, Arbeits-
und Kommunikationsformen die
Selbststeuerung
des Lernens, die
aktiv-konstruktive
Teilhabe
der Schülerinnen und Schüler am handlungsorientiert-offenen,
gleichwohl ergebnisorientierten Ablauf. In der Präsentation und Publikation
eigenständig erarbeiteter Inhalte, in computergestützten Planspielen
und Simulationen, in weitreichenden Recherchemöglichkeiten im Internet und
in synchroner bzw. asynchroner Telekommunikation und -kooperation der Lerner (Chat
bzw. E-Mail) ist der Computer nicht nur Tool, Mittel zum Zweck, sondern Ort und
Medium neuartiger Arbeitsabläufe, Lern- und Arbeitsumgebung in Ernstsituationen.
Für den Deutschunterricht liegt das Unterrichtspotential des Computers in
diesem Zusammenhang nicht nur in dem, was Mandl u.a. als "Impuls-Charakter"
bezeichnen, sondern in seiner Eigenschaft als originärer
Erfahrungsraum
:
als virtueller
- Leseraum
- Schreibraum
- Gesprächsraum
- Bilderausstellung (multimedial im variantenreichen Zusammenspiel von Texten und Bildern)
- Hör- und Sprechraum
- mehr oder weniger öffentliche Bühne, zu deren Publikum und zu deren Darstellern, Regisseuren, ja, sogar Autoren man selber gehört
- und dies alles miteinander zur
gleichen Zeit und im gleichen Raum (in der gleichen Lernumgebung).
Computer
und Internet eröffnen im Deutschunterricht "Spielräume im Erfahren
von und Umgehen mit
symbolischen Universen
" (Sybille Krämer,
Netzadresse
s.u
.) - symbolischen Universen der Literatur
und des Wissens allgemein, zu denen die moderne Medientechnik Zugang verschafft,
indem sie nicht nur den Weg der Rezeption, sondern auch den der Produktion und
Veröffentlichung - individuell und kooperativ - freigibt. Die Möglichkeiten
der viel diskutierten
Interaktivität
der Neuen Medien liegen ja nicht
nur in der (möglichst) selbstgesteuerten Navigation im Raum der "symbolischen
Universen" durch Mausklick und Tastaturbedienung, im Suchen und Finden und
in der Auseinandersetzung mit dem Gefundenen, sondern auch - interaktiv-produktiv
- in der eigenen Antwort an Ort und Stelle im Netz und damit der
Teilhabe
am Geschehen in den "symbolischen Universen". Genau dieses Zusammenspiel
von Lesen-Schreiben-Präsentieren-Veröffentlichen, der Handlungszusammenhang
in einer und derselben Arbeitsumgebung (Interface), macht den
Erfahrungscharakter
dieses Umgangs mit Computer und Internet im Deutschunterricht aus.
Unterrichtsbeispiele,
die diesen Aspekt beleuchten, finden sich im Modul III ("Ein Thema erarbeiten
und präsentieren").
3.
Wenn von den
Neuen Medien als
Lehr- und Lerninhalt
die Rede ist, ist der Aufgaben-bereich der Medienpädagogik
gemeint. Als Ziel der Medienerziehung wird immer wieder
Medienkompetenz
genannt und i.A. als das Ensemble von differenzierter Medienkunde und den drei
Fähigkeiten adäquater Mediennutzung, kritischer Medienreflexion und
eigenständiger Mediengestaltung bestimmt, wobei der reflektierte und kritische
Umgang mit den Medien meist in den Vordergrund gestellt wird. Für den Deutschunterricht
ist "eine Integration der funktionalen und reflexiven Medienpädagogik"
(
Mandl
u.a., S. 24) wünschenswert, also eine enge Verknüpfung
der dargestellten Tool-, Impuls- und Erfahrungsraum-Funktionen mit kritischen
Zielsetzungen, wie sie kürzlich z.B.
Volker Frederking
formuliert hat:
"Bewusstwerdung und Reflexion der eigenen medialisierten
Lebenswirklichkeit und des eigenen Selbst- und Weltverhältnisses zum Aufbau
einer reflektierten, selbstbestimmten und manipulations-resistenten Medienrezeption".
Anstelle der Entwicklung eigenständiger Unterrichtseinheiten zur Medienerziehung
empfiehlt sich die Anbindung der kritischen Auseinandersetzung mit Medien und
Medieninhalten an die konkrete deutschunterrichtliche Nutzung der Medien (im Zusammenhang
der Arbeitsvorschläge zu den einzelnen Modulen).
Literatur (Netzadressen):
Mandl, Heinz u.a.: Gutachten zur Vorbereitung
des Programms "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien
in Lehr- und Lernprozesse". BLK für Bildungsplanung und Forschungsförderung:
Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung H. 66. Bonn 1998.
Frederking,
Volker: Auf dem Weg zum virtuellen Klassenzimmer? Deutschdidaktik im Zeichen der
Medialisierung (Antrittsvorlesung Uni Erlangen 2001).
http://deutschdidaktik.ewf.uni-erlangen.de/cweb/ewf/home.icom?id=131 [Link funktioniert z.Zt. nicht]
Switalla,
Bernd: Lernen in Zeiten des Internet. (Vortragstext, ohne Datum).
Groeben,
Norbert (Hrsg.): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft: Zentrale Begriffsexplikationen.
Kölner Psychologische Studien IV(1999), H. 1, S. 105 - 115.
http://www.ammma.de/switalla/home/index,id,12,selid,133,type,VAL_MEMO.html
Schmidt,
Siegfried J.: Transkription von 10 Vorlesungen über "Medientheorie"/Sommersemester
2000/Uni Münster.
http://kommunix.uni-muenster.de/IfK/sjs/vorlesung_medientheorie.htm [Link funktioniert z.Zt. nicht]
Krämer,
Sybille: Von der sprachkritischen zur medienkritischen Wende? Ein Kommentar zur
Mediendebatte in sieben Thesen. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung an der FU
Berlin: Was ist ein Medium? Geistes- und kulturwissenschaftliche Perspektiven.
(ohne Datum/ nach 1998).
http://www.netz-kasten.de/lesen/information/cult/kraemer.php3