Didaktisch-methodischer Kommentar
Wer und wie will ich sein als Frau/Mann?
Soll/Will ich so als Frau/Mann sein?
Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9 und 10 befinden sich ihrer Entwicklung gemäß noch im Prozess der Selbstfindung, dem Ausloten, wer und wie sie sein können und wollen. In diesem Identitätsbildungsprozess orientieren sie sich an ihrem sozialen Umfeld, der Familie im engeren Sinne, dem Freundeskreis und verschiedenen medialen Formaten. Vermittels der Digitalisierung im Sinne von Computerisierung und digitaler Informationen steht Kindern und Jugendlichen eine Fülle an medialen Räumen und Formaten zur Verfügung, in denen sie sich bewegen, sich informieren, austauschen, treffen, Spaß und Unterhaltung finden. Dabei werden sie auf ihrem Weg zum Erwachsensein mit Vorstellungen, Bildern, Lebenskonzepten der digitalen Welt konfrontiert, von denen anzunehmen ist, dass sie auf die eine oder andere Weise, sei es durch Orientierungssuche, Habitualisierung, bewusstes Entscheiden, Nachahmung in ihrem Selbstwerdungsprozess Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen nehmen können. Im Vordergrund der verschiedenen Unterrichtssequenzen steht dabei die Leitfrage: Wer und wie will ich sein als Frau/als Mann? In diesem Zusammenhang kann nun im Hinblick auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität mit medialen Bildern und -produktionen verschiedener Art gearbeitet werden, sei/en es SR-Formate, Serien, Werbung, Moderation, Blogs, Clips etc. So wie etwa bei Smartphones zu Recht nach den Chancen und Risiken der Digitalisierung gefragt wird, ist diese Frage auch bei digital transportierten Inhalten zu stellen.
Im Hinblick auf den Selbstwerdungsprozess der Schülerinnen und Schüler spielt das Kennenlernen der eigenen Sexualität, die Entwicklung der sexuellen Identität und der Umgang mit möglichen Sexualpartner/inne/n eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang liegt es nahe, mediale Frauen- und Männerbilder auch danach zu befragen, inwieweit Jugendliche sich daran orientieren und sie zum Vorbild nehmen. Ausgewählt wurde für die folgenden Unterrichtssequenzen ein Bereich, der heutzutage allen Jugendstudien zufolge zu einem normalen Bestandteil des Lebens von Jugendlichen gehört, über den jedoch im Normalfall zwischen Jugendlichen und Erwachsenen nicht oder kaum gesprochen wird. Gemeint ist hier der Konsum von Internetpornos. Aus diesem Grunde liegt der Schwerpunkt dieser Unterrichtsvorschläge auf dem Konsum von pornografischen Darstellungen im Internet (d.h. auch auf Smartphones) verbunden mit der oben formulierten Leitfrage und der ihr untergeordneten Frage „Soll/Will ich so als Frau/Mann sein?“
Es versteht sich von selbst, dass im Unterricht keine Pornoclips gezeigt werden können und sollen und dass es sich auch als schwierig erweisen dürfte, direkt den Pornokonsum der Schülerinnen und Schüler zu thematisieren. Deshalb wird mit Ausschnitten aus Dokumentationen zum Pornokonsum Jugendlicher gearbeitet (z.B. „Jugend im Pornofieber“, „Sex im Internet – Kinder schauen Pornos, Eltern schauen weg“), in denen Jugendliche, Erwachsene und Psycholog/inn/en sich äußern, mit Grafiken, darüber hinaus mit Interviewausschnitten, was Fragen zum Pornokonsum direkt betrifft.
Es stehen 5 aufeinander folgende Unterrichtssequenzen zur Verfügung, die aufeinander aufbauen und sich grob beschreiben lassen als Einstieg mit einem Rollentausch (Rollenvorstellungen, -klischees verkehrt), einem Erarbeitungsteil zum Pornokonsum Jugendlicher anhand einer Dokumentation (Informationen, Interviews), Reflexion und Diskussion von Fragen nach Gerechtigkeit und Selbstbestimmung bezogen auf Sexualität, Problematisierung bezogen auf Verdinglichung, Auseinandersetzung mit dem Realitätsgehalt pornografischer Darstellungen, Reflexion der eigenen Vorstellungen von Sexualität und ihrem Wertegehalt. Additiv stehen verschiedene ethisch relevante Vertiefungen oder Exkurse zur Verfügung, die je nach Interesse und Bedarf eingesetzt werden können. Diese umfassen Informationen zum Wirkungsgrad von Pornokonsum bei Jugendlichen, Exkurse zu Lust, Begierde, zum Sein-Sollen-Fehlschluss, zu Verhalten und Handeln, Was ist der Mensch? und Gedankenexperimenten zum Abschluss der Einheit. Damit kann der Grad der ethischen Reflexion jeweils anders gewählt werden oder als Aufgabenform auch von verschiedenen Schülerinnengruppen bearbeitet werden.
prozessbezogene Kompetenzen |
inhaltsbezogene Kompetenzen |
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2.1 Wahrnehmen und sich hineinversetzen 4. durch Perspektivenwechsel und wechselseitigen Austausch mögliche Empfindungen und Sichtweisen Beteiligter oder Betroffener erfassen und benennen 7. Situationen und Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven betrachten und beschreiben |
3.2.1.1 Liebe und Sexualität (1) anhand von Beispielen Liebe und Sexualität als Grundbedürfnisse des Menschen darstellen und verschiedene Lebensformen daraufhin erläutern (zum Beispiel Ehe, Familie) (2) die Bedeutung von Liebe und Sexualität anhand von Beispielen beschreiben und Deutungen und Erscheinungsformen von Liebe und Sexualität in zwischenmenschlichen Beziehungen diskutieren (zum Beispiel Partnerschaft) (3) sich mit verschiedenen Formen und Auffassungen von Liebe und Sexualität im Spannungsfeld von Freiheit, Verantwortung und Selbstbestimmung auseinandersetzen (zum Beispiel durch Rollenbilder von Partnerschaft, Ehe, Familie, sexueller Identität, Gender) (4) Möglichkeiten eines verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgangs mit Liebe und Sexualität im Sinne gelingender Beziehungen erarbeiten und erörtern 3.2.3.1 Werte und Normen in der medial vermittelten Welt (1) die welterschließende und weltverändernde Wirkung von Medien in einer zunehmend digitalisierten Welt beschreiben und diskutieren (2) Begriffe wie Digitalisierung, virtuelle Welt, medial konstruierte Wirklichkeit und Lebenswelt erläutern und unterscheiden (3) mediale Darstellungen unter ethisch relevanten Fragestellungen analysieren und beurteilen (zum Beispiel bezogen auf Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrechte, Privatsphäre, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit) (4) den Stellenwert von moralischen Werten und Normen für mediale Darstellungen aus verschiedenen Perspektiven beschreiben und diskutieren (zum Beispiel Produktion, Vertrieb, Rezeption) 3.2.6.1 Glück und Moral (1) Lebens- und Glücksvorstellungen wiedergeben und unter verschiedenen Aspekten vergleichen (zum Beispiel Glücksversprechen, Sinnsuche, Freiheit, Hedonismus, Utopien) (3) Lebens- und Glücksvorstellungen im Kontext von Selbstbestimmung und Verantwortung erläutern und deren Vereinbarkeit mit Werten, gesellschaftlichen Konventionen und Pflichten prüfen und bewerten (zum Beispiel bezogen auf Ergebnisse der Glücksforschung) (4) Vorstellungen eines gelungenen Lebens entwerfen und ihre Vereinbarkeit mit Anforderungen der Moral überprüfen und diskutieren |
2.2 Analysieren und interpretieren 1. Informationen aus verschiedenen Quellen als Denkanstoß für die Deutung ethischer Sachverhalte erschließen 3. eine Meinung zu ethisch-moralischen Themen, Frage- und Problemstellungen darlegen und erläutern |
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2.3 Argumentieren und reflektieren 2. einen Standpunkt begründet und unter Bezug auf moralische Regeln und ethische Grundsätze vertreten 3. Werte und Normen bei ethischen Frage- und Problemstellungen diskutieren 7. in kommunikativ-argumentativen Kontexten (beispielsweise Rollenspiele, Szenarien, Fallbeispiele, Diskussionen) Position beziehen und gemeinsam neue Lösungsansätze entwerfen und vertreten |
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2.4 Beurteilen und (sich) entscheiden 4. eigene begründete Standpunkte entwickeln und moralphilosophische Begründungsansätze einbeziehen 5. Handlungs- und Lösungsansätze hinsichtlich der Realisierbarkeit, ihrer Normen- und Wertebasis und Folgen kritisch-argumentativ überprüfen (beispielsweise in Gedankenexperimenten, ethischen Dilemmata) und bewerten 6. eigene Handlungsoptionen entwerfen, im Hinblick auf Folgen und Realisierbarkeit bewerten und die Rolle von Vernunft und Gefühl beim Entscheiden kritisch prüfen |
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