Handlung
Ein Holden Caulfield in der Provinz 1 - Pampa Blues von Rolf Lappert und der gleichnamige Film von Kai Wessel
Didaktischer Kommentar
Der Roman Pampa Blues bietet jungen Leserinnen und Lesern sowohl Identifikationsmöglichkeiten als auch Alteritätserfahrungen. Im Bildungsplan 2016 findet sich dazu folgende Formulierung:
„In der Auseinandersetzung mit fiktionalen Lebenswelten und Lebensentwürfen sowie durch die Beschäftigung mit literarischen Figuren machen sie Fremdheitserfahrungen. Dadurch bereichern sie ihre Weltsicht, entwickeln Empathiefähigkeit und Fremdverstehen und gelangen zunehmend zu einer Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität.“ 2
Sich mit Demenz auseinander zu setzen und dies in einem gottverlassenen Ort, dessen Provinzialität kaum zu überbieten sein dürfte, ist ein Thema, das den meisten Jugendlichen sicher doch eher fremd ist, zumindest in dieser Konzentriertheit. Wingroden, das sich im Film zu Endlingen verwandelt, ist jedoch nicht nur ein „Kaff am Arsch der Welt“, ein Ort, an dem man lieber nicht sein will, sondern in der Tat ist Wingroden ein Anagramm für Nirgendwo, was die Übersetzung von Utopie ist. Dieser Nicht-Ort hat in seiner Abgeschiedenheit also durchaus utopische Qualitäten. Und was das Utopische sein könnte, zeigen die Bewohner dieses Ortes: „Rolf Lappert beschwört eine Schicksalsgemeinschaft aus schrägen Figuren, die ihr Leben in die Hand nehmen.“ 3 Der Schluss unterstreicht diese Deutung, da der Ort sich in der Tat zukunftsträchtig entwickelt und Bens Fluchtgedanken gar nicht mehr so im Vordergrund stehen. Er hat gelernt zu warten.
Der Text zeichnet sich darüber hinaus durch die Authentizität der Figuren und des Milieus, durch pointierte Dialoge und Sprachkomik, „aber auch durch seine Ernsthaftigkeit aus, da er die Rezipienten mit einer ganzen Reihe gesellschaftlicher und menschlicher Probleme konfrontiert“ 4.
Es gilt zunächst einen langen Spannungsbogen zu bewältigen, der bei der Erstlektüre auch erfahrene Leserinnen und Leser abschrecken kann. Um diese Langsamkeit des Erzählens zu verstehen und vielleicht auch zu ertragen, müssen sich die Schülerinnen und Schüler auf die Bildlichkeit und auf die sprachliche Machart des Textes einlassen, die eine Atmosphäre voller Trägheit und Monotonie erzeugt. Sie benötigen die Fähigkeit zur Empathie und zum gedanklichen Miterleben der subjektiv geschilderten Vorgänge und Gefühle des Protagonisten Ben, der den Leser immer wieder durch seinen trockenen Humor gewinnt. Letzteres setzt ein grundlegendes Verständnis von Ironie 5 voraus.
Eine Fülle von Themen verbirgt sich in diesem Roman, nicht nur das offensichtliche Thema des Erwachsenwerden, der ersten Liebe und der Umgang mit Demenz und Tod, sondern auch Alkoholkonsum, Wirkung und Umgang mit Medien, Rolle der Familie, abwesende Väter und Mütter, Lebensentwürfe, Treue, Verantwortung, Lebensträume, Abenteuerlust ... Schließlich wartet der Roman mit einer Vielzahl intermedialer Verweise auf, die zur Charakterisierung der Figuren beitragen und gleichzeitig die Lebenswelt der Leserinnen und Leser mit einbeziehen. Gerade die intermedialen oder intertextuellen Verweise jedoch sind gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass dieses Buch gar nicht nur für ein jugendliches Publikum gedacht ist. Die Erwähnung von Doktor Schiwago etwa löst bei Jugendlichen heute mit Sicherheit keinerlei Assoziationen aus.
Nicht nur die Themen laden zu einer Beschäftigung ein, sondern auch die Verwendung der Sprache. Insgesamt zeigt sich eine große Nähe zur mündlichen Kommunikation. Auffallend in diesem Zusammenhang ist durchgehend die Erzählzeit des Präsens, eine Art simulierte Mündlichkeit (z.B. Fränk Sinatra), die Verwendung von Jugendsprache (S.231 Ach du Scheiße, S.225 am Arsch der Welt, S.169 Hirnzwerg) oder die häufige Verwendung von Ellipsen. Zugleich ist die Sprache aber auch sehr bildhaft, es finden sich oft Vergleiche insbesondere aus der Tierwelt entnommen (S.145 langsam wie eine Schildkröte).
Damit würde dieser Roman einlösen, was man von guter Jugendliteratur (und überhaupt von guter Literatur) erwarten würde, nämlich dass sie nicht nur Themen verhandelt, die Jugendliche anspricht, sondern dies in einer literarisch anspruchsvollen oder bewusst gestalteten Form tut.
Die Handlung sei kurz umrissen
Die Geschichte handelt von dem 16-jährigen Ben, der in dem verschlafenen Nest Wingroden in Norddeutschland festsitzt und sich um seinen leicht dementen Großvater Karl kümmern muss. In Wingroden gibt es nur eine Tankstelle, eine Dorfkneipe, den Baggersee und zehn Einwohner. Bens Vater lebt nicht mehr, seine Mutter tingelt als Jazzsängerin durch Europa und Ben träumt von einer Afrikareise mit einem VW-Bus, den er fahrtüchtig macht. Die wichtigste Bezugsperson für Ben ist Maslow, der Mäzen, Ideenstifter und Visionär der Gemeinde. Er will Wingroden zu einer Touristenattraktion machen und deswegen kommt er auf die verrückte Idee, ein UFO zu bauen, um die Reporter nach Wingroden zu locken. Als Lena in Wingroden auftaucht, scheint sein Plan zu funktionieren. Maslow hält sie für eine Reporterin und Ben verliebt sich in sie. Doch dann passiert ein Unfall. Maslows selbst gebasteltes UFO wird samt Jojo, der das UFO am Seil steuern sollte, in die Nachbarortschaft abgetrieben. Lena hinterlässt Ben einen Abschiedsbrief, er macht sich auf die Suche nach ihr, allerdings kann er seinen Großvater ja nicht alleine lassen und steht damit vor dem Dilemma, sich zwischen seinem Opa und Lena entscheiden zu müssen. Das Abliefern des Großvaters im Altersheim löst jedoch so entsetzliche Gewissensbisse bei Ben aus, dass er alle Träume fahren lässt und seinen Großvater nach wenigen Stunden wieder abholen will. Allerdings ist ihm da Lena schon zuvorgekommen, die ihn mit ihrem Abschiedsbrief nur auf die Probe stellen wollte. Es sollte eine Art Reifeprüfung sein.
1 Zitat von Robert Stadlober S.1 www.goethe.de/mmo/priv/14374091-STANDARD.pdf
4 siehe http://www.djlp.jugendliteratur.org/praxiskonzepte-28.html
5 „Ironie ... erkennen und analysieren“ führt der BP 2016 erst in der nächst höheren Stufe ein, in der Stufe 7/8 ist nur von „Komik und Parodie erkennen und untersuchen“ (10) die Rede.
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