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Die Erschleichung der Inhaltsangabe

Wenn zwei Jahre lang nacherzählt worden ist, ist eine Kompetenz gewachsen, die nicht mit einem Handstreich durch eine neue ersetzt werden kann und sollte. Die Inhaltsangabe ist zunächst nicht nur wenig kindgerecht, sie widerspricht auch den bisherigen Anforderungen des spannenden Erzählens 1 und Einfühlens in Figuren und Situationen.

Der Wechsel in der Schreibhaltung, der mit dem der Lesehaltung sinnvoller Weise parallel läuft, kann weniger abrupt und im Sinne einer Weiterentwicklung gestaltet werden. Vor allem aber kann er die im Zusammenhang mit der Nacherzählung erworbenen Kompetenzen nutzen.

Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“ eignet sich ganz besonders für diese kontinuierliche Distanznahme auf dem Weg zum analytischen Lesen. Die Kurzgeschichte eignet sich auch deshalb so gut für das Vorhaben, weil der zentrale Konflikt in der Handlung, der Vertrauensverlust in der langjährigen Beziehung, kaum explizit gemacht wird. Im letzten Satz, „Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.“, steckt das ganze Drama und möglicherweise der Beginn seiner Lösung. Zwischen den beiden Lesehaltungen liegt nun der zu bewältigende Schritt. Identifikatorisch gelingt das Einfühlen in die bedrückende Situation des Paares, analytisch wird die Spannung zwischen Beziehung und Vertrauen sichtbar.

Vorausgesetzt wird für das empfohlene Verfahren, dass die Schülerinnen und Schüler versierte Nacherzähler sind. Mithilfe einer von den Kompetenzen her progressiven Reihe von Schreibaufgaben ändern sich Blickwinkel und Lesehaltung hin zum Analytischen. Die Aufgabenreihung umfasst mindestens die folgenden drei Schritte:

  1. Eine Nacherzählung aus der Perspektive des Mannes (leichter als aus der der Frau, weil die schwierige Schlussszene nicht bis ins Letzte verstanden sein muss).
  2. Eine Nacherzählung aus der Sicht der Küchenuhr, die nur das mitbekommt, was in der Küche als äußere Handlung geschieht, außerdem die letzten Jahrzehnte miterlebt hat.
  3. Eine echte Inhaltsangabe.

Das Entscheidende geschieht in Schritt 2. Hier findet eine Distanznahme statt, die aber auch aus dem identifikatorischen Lesen und Denken heraus bewältigt werden kann. Die Perspektive der beobachtenden Randfigur, die gleichwohl noch mitfühlen darf, wird ergriffen. Die Herausforderung dieser Aufgabe liegt neben dem Perspektivwechsel darin, dass auch da, wo Motive des Handelns für den sich einfühlenden Leser auf der Hand liegen, sie, weil von außen nicht zu beobachten, auch nicht ausgeführt, höchstens vermutet werden dürfen. Vor allem aber wird eine dezidierte Außenperspektive eingenommen. Entsprechend lassen sich für die meisten der Kurzgeschichten, die sich in Deutschbüchern der Klassen 7 und 8 finden, Aufgaben gestalten.

Die Gestaltung des Wechsels von der Nacherzählung zur Inhaltsangabe als Übergang birgt möglicherweise einen weiteren Vorteil gegenüber dem abrupten Wechsel. Wenn beide Schreibformen als Alternativen begriffen werden, fällt auch die bewusste Entscheidung zwischen ihnen leichter, vorausgesetzt, der konzeptionelle Unterschied wird sorgfältig im Unterricht thematisiert. Das aber legt Konsequenzen bis in die Kursstufe hinein nahe, wo in Aufsätzen, dort in Textwiedergaben und Situierungen, immer wieder Rückfälle ins Nacherzählen zu beklagen sind. Dagegen ist auch in der Kursstufe, zum Beispiel in der Schreibform des Essays, das gute Erzählen und Nacherzählen durchaus erwünscht. Wieder wird deutlich, dass es in 7/8 nicht um eine Ablösung des Nacherzählens geht, sondern um eine Erweiterung des Inventars an textbezogenen Schreibformen.


1   Das Ende der Nacherzählung bedeutet unter anderem den Tod der Erzählmaus.

 

Kurzprosa in den Klassen 7 und 8: Herunterladen [docx][32 KB]

Kurzprosa in den Klassen 7 und 8: Herunterladen [pdf][670 KB]

 

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