Reinhard Kleist, Der Traum von Olympia
Didaktischer Kommentar
Auch wenn die Graphic Novel nicht als verbindliche Textsorte in den Textgrundlagen des Bildungsplans auftaucht, so ist sie doch ein lohnenswertes und sich rasant entwickelndes Genre. Sowohl der erweiterte Textbegriff des Bildungsplans als auch der Umgang mit Medien legt eine verstärkte Auseinandersetzung mit dieser Form von Geschichten nahe.
Ausgehend von den Gestaltungsprinzipien eines Comics gibt es heute eine Vielzahl an unterschiedlich gestalteten, teilweise literarisch durchaus anspruchsvollen Graphic Novels.
Ein mittlerweile als Klassiker geltendes Werk „Fun Home“ von Alison Bechdel kann zur Gänze z.B. nur gewürdigt werden, wenn man die Anspielungen auf Edward Albee, Albert Camus, Colette, F. Scott Fitzgerald, James Joyce, Marcel Proust, William Shakespeare, Wallace Stevens und Oscar Wilde zumindest einordnen kann.
Da Comics für die meisten Jugendlichen heute in ihrer Lesesozialisation eine durchaus beträchtliche Rolle spielen, sollte man diese Chance nicht ungenutzt lassen. Insbesondere Jugendliche, die keine Vielleser sind, kann man über diese Form Geschichten zu erzählen, erreichen und vielleicht sogar ihr ästhetisches Bewusstsein schärfen.
Der Traum von Olympia eignet sich für eine 7. oder 8. Klasse aus verschiedenen Gründen.
Es handelt sich um eine Biographie, die bis auf Prolog und Epilog linear erzählt wird und von der Erzählstruktur sehr leicht rezipierbar ist. Interessant ist im Zusammenhang damit jedoch die Frage, in welchem Verhältnis Realität und Fiktion 1 stehen. Der Zeichner und Autor Reinhard Kleist äußert sich dazu:
„Als ich schließlich auf die Geschichte von Samia Yusuf Omar stieß, erschütterte mich deren Wucht nachhaltig. Dank der Unterstützung der Journalistin Teresa Krug, die mit ihr befreundet war, konnte ich persönlich mit ihrer Schwester Hodan Yusuf Omar sprechen, der es 2006 gelungen war, nach Helsinki zu flüchten ....
Samia Yusuf Omar hat während ihrer Odyssee nahezu die gesamte Zeit über Facebook Kontakt zu Freunden und Familie gehalten. Inzwischen sind ihre Einträge jedoch gelöscht worden. Die Facebook-Nachrichten in diesem Buch dienen der Vermittlung von Informationen für den Leser, und dafür habe ich sie mehr oder weniger frei erfunden, bis auf eine: ihren verzweifelten Hilferuf aus Tripolis, den sie an Teresa Krug gerichtet hatte.“ 2 (S.5)
Das Thema Sport, in diesem Fall Sport als Traum von einer besseren Lebensperspektive, als Traum von einem Leben in einem sicheren Land, in dem Frauen gleichberechtigt sind, könnte Jugendliche dieser Altersstufe ansprechen.
Gleichzeitig verbindet sich damit aber auch die Wahrnehmung des Andersseins. Sowohl der kulturelle Kontext, als auch die geografische und politische Verortung des Geschehens dürfte für die meisten SuS doch fremd sein.
Durch die Reduzierung auf schwarz und weiß und durch die künstlerische Darstellung wird das, was man im Fernsehen sozusagen life sehen kann, einerseits künstlerisch überhöht, aber gleichzeitig auch sehr emotional und einprägsam erzählt. Die Abstumpfung, die die täglich übermittelten Bilder nach sich ziehen, wird hier abgelöst durch den Versuch einer künstlerischen Text-Bild-Gestaltung.
Die Bildsprache bietet im Hinblick auf Medienkompetenz verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten, einige Beispiele finden sich auf dem Arbeitsblatt.
Für die grundsätzliche Beschäftigung mit Comics und Graphic Novels empfiehlt sich einer der Bände von Will Eisner, einer der Urahnen des Comics und ein absoluter Klassiker, der einen mit Grundbegriffen des Seitenaufbaus, der Anordnung von Panels auf unterhaltsame Weise etc vertraut macht.
Nachtrag:
Eine sehr schöne Ergänzung zu dem im Moment oft gelesenen Jugendbuch „Nenn mich nicht Ismael“ von Gerard Michael Bauer ist die Graphic Novel „Moby Dick“ von Christophe Chaboute. Das Jugendbuch bezieht sich auf verschiedenen Ebenen auf „Moby Dick“ von Herman Melville. Ismael, die Hauptperson, hat den Namen in Anlehnung an eine wichtige Figur des Romans, erhalten, fünf Zitate aus dem Roman durchziehen und strukturieren das Buch und Ismael liest auf Anraten seines Vaters auch irgendwann diesen Roman und wägt dann ab, mit welcher der Personen er sich identifizieren kann, am wenigsten letztlich mit seinem Namensgeber.
Die erwähnte Graphic Novel lässt sich mit den äußerst reduzierten und dadurch sehr expressiven Längs – und Querpanels am Ende sehr schön in Beziehung setzen mit dem Ende des Jugendbuchs. Nachdem man das langsame Verschwinden des Wals samt Harpune und Ahab sehen kann im Längsformat, treibt eine Figur mit Sarg, Ismael; auf dem Ozean und wird schließlich gerettet, dies alles in Querpanels dargestellt. Und auch der Held des Jugendbuchs wird nicht gerade gerettet, aber er ist endlich im Reinen mit sich und seinem Namen, er ist angekommen und er erkennt, dass der Name Ismael vielleicht doch besser zu ihm passt als der des rachedurstigen Ahab.
Aber wollt ihr wissen, was wirklich verrückt war? Gut, ich sage es euch. Als ich nämlich da lag und nur meinen heiseren Atem im Ohr und das weiche Gras des Spielfeldes von St Daniel’s unter meinem Körper spürte, hätte ich schwören können, dass ich auf der Oberfläche eines weichen grünen Ozeans trieb. Erinnert euch das an jemanden? Ja, nennt mich Ismael 3. S.299
1 (5) zwischen Sachtexten und literarischen Texten unterscheiden; Fiktionalität erkennen (BP)
2 Reinhard Kleist (2015). Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar.
3 Michael Gerard Bauer (2008), Nennt mich nicht Ismael!
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