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GOR­GI­AS 1: Was ist bes­ser – je­man­den wi­der­le­gen oder selbst wi­der­legt wer­den?

SO­KRA­TES: Ich denke, Gor­gi­as, auch du wirst schon bei vie­len Un­ter­re­dun­gen dabei ge­we­sen sein und dabei be­merkt haben, dass nicht leicht eine Zu­sam­men­kunft so aus­ein­an­der­geht, dass die Ge­sprächs­teil­neh­mer das Pro­blem, über das sie spre­chen woll­ten, ge­mein­schaft­lich be­stimmt und dann ein­an­der be­lehrt und von­ein­an­der ge­lernt hät­ten; viel häu­fi­ger ge­schieht es dass, wenn sie über etwas un­eins sind und einer den an­dern be­schul­digt, er rede nicht rich­tig oder nicht be­stimmt, sie in Zorn ge­ra­ten und mei­nen, der an­de­re sage so etwas aus Miss­gunst gegen sie, weil er näm­lich nur um seine Ehre sich er­ei­fe­re beim Ge­spräch, nicht aber die Ant­wort auf das vor­lie­gen­de Pro­blem suche. Ja ei­ni­ge gehen zu­letzt mit Schimpf­re­den und auf die schänd­lichs­te Art aus­ein­an­der, indem sie Be­haup­tun­gen in den Raum stel­len, für die sich sogar die an­we­sen­den Zu­hö­rer fremd­schä­men.

Wes­halb sage ich das? Weil es mir so vor­kommt, dass du ge­ra­de etwas ge­sagt hast, was nicht fol­ge­rich­tig und nicht zu­sam­men­stim­mend mit dem ist, was du vor­her [über die Rhe­to­rik] ge­sagt hast. - Ich scheue mich aber, dich zu wi­der­le­gen, damit du nicht denkst, ich sage es nur im Eifer auf dich und nicht im Eifer auf die Sache, damit wir sie auf­klä­ren. Nur wenn du wie ich daran in­ter­es­siert bist, wie sich die Sache in Wahr­heit ver­hält, dann möch­te ich dich gern be­fra­gen; sonst würde ich es las­sen.

Und um ganz offen zu sein: Ich ge­hö­re zu denen, die sich gern über­füh­ren las­sen, wenn sie etwas Un­rich­ti­ges sagen, aber auch gern selbst über­füh­ren, wenn ein an­de­rer etwas Un­rich­ti­ges sagt. Das erste üb­ri­gens nicht un­lie­ber als das Letz­te­re; denn ich halte es für ein durch­aus grö­ße­res Gut, wenn man selbst über­führt wird, denn es ist ja bes­ser, selbst vom größ­ten Übel be­freit zu wer­den, als einen an­dern davon zu be­frei­en. Und nichts, denke ich, ist ein so gro­ßes Übel für den Men­schen, als ir­ri­ge Mei­nun­gen über das zu haben, wovon wir ge­ra­de spre­chen [: Wie man leben soll].

Nur wenn du von dir auch be­haup­ten kannst, dass es dir darum geht, dann wol­len wir wei­ter­re­den; wenn es dir aber bes­ser scheint, dass wir es las­sen müs­sen, so wol­len wir es im­mer­hin las­sen und die Un­ter­re­dung auf­he­ben.“

(GOR­GI­AS 457c-458c; übers. v. F. Schlei­er­ma­cher, be­ar­bei­tet)

Me­tho­di­sche An­re­gun­gen

Lö­sungs­hin­wei­se

A1: Fasse die Ur­sa­chen für miss­glück­te Dis­kus­sio­nen zu­sam­men und un­ter­su­che die Funk­ti­on die­ser Pas­sa­ge (Z. 1-10) für eine wei­te­re Dis­kus­si­on.

A2: Be­stim­me die Sprech­ak­te des zwei­ten Ab­schnitts, d.h. was tut So­kra­tes, indem er sagt „Wes­halb sage ich das? ...“ (Z.11-16)

A3: Er­klä­re die Be­deu­tung von „über­füh­ren“ (Z. 19-24), gib dann den 3. Ab­schnitt in ei­ge­nen Wor­ten wie­der und be­ur­tei­le das darin ent­hal­te­ne Ar­gu­ment

A4: Prüfe, ob Selbst­täu­schung („ir­ri­ge Mei­nung  [dar­über, wie man leben soll“]) immer ein Übel ist.

z.B. fra­gen, er­läu­tern, kom­men­tie­ren, be­schwich­ti­gen, Zwei­fel aus­räu­men, mo­ti­vie­ren, Auf­merk­sam­keit auf...​len­ken, sich ver­ge­wis­sern, Rück­fra­gen stel­len, of­fe­ne Frage stel­len, auf­for­dern, ...

Nut­zen eines Me­ta­ges­prächs über (per­so­na­le) Vor­aus­set­zun­gen ver­nunft­ge­lei­te­ten Ar­gu­men­tie­rens.

                                           

Um­set­zungs­bei­spiel So­kra­tes: Her­un­ter­la­den [docx][117 KB]

Wei­ter zu GOR­GI­AS 2