Der entsprechende Wandel in den Schreibformen
Entsprechend zum Schritt vom Märchen zur Kurzgeschichte steht im Gebiet des Schreibens die Abkehr von der Nacherzählung und die Hinwendung zur Inhaltsangabe. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass sich die distanzierte Haltung des analytischen Lesens im Schreiben fortsetzt und damit mehr als nur die Erweiterung oder Vertiefung einer einmal angelegten Kompetenz. Die Identifikation des Lesers und nun auch Schreibers mit handelnden Personen und der Blick von innen auf den Text müssen enden, der Blick von außen auf Figuren, Geschehen und Hintergründe muss sich etablieren. Der Bildungsplan verlangt in der Orientierungsstufe zunächst nur, dass die Schülerinnen und Schüler
(3) Inhalte von Texten herausarbeiten und textbezogen erläutern; einen Text nacherzählen
für die Klassenstufe 5/6. Es geht also um inhaltliche Textverstehensarbeit. Für die Klassenstufe 7/8 heißt es an entsprechender Stelle:
(3) Inhalte von Texten herausarbeiten und zusammenfassen; dazu aussagekräftige Textbelege auswählen.
Zusätzlich aber heißt es in 7/8:
(6) das Thema eines Textes bestimmen und benennen.
Dieser Standard stellt eine bedeutende neue Herausforderung dar. Um ihm zu entsprechen, muss die Handlungsebene des Textes verlassen werden, damit der Blick für thematisierte Grundfragen und –probleme frei wird. Auch die Orientierung an der chronologischen Ordnung der Darstellung endet. Hier werden in der Hierarchisierung Anfänge der Abstrahierung verlangt, besonders aber der Distanznahme. Der Standard 6 in 7/8 hat daher in 5/6 keine Entsprechung. Außerdem fällt auf, dass die Fähigkeit nachzuerzählen von den Klassenstufen 7/8 an nicht mehr erwähnt wird. Das ist deshalb so wichtig, weil ansonsten im neuen Bildungsplan nachdrücklich darauf geachtet wird, dass Kompetenzen fortgeführt und entwickelt werden. Interessanterweise findet sich aber das Nacherzählen auch in den prozessbezogenen Kompetenzen wieder, die ja Aussagen über das gesamte Curriculum stellen. So heißt es im Bereich „Schreiben“, dort im Abschnitt „kreativ und produktiv gestalten“:
(31) anschaulich erzählen und nacherzählen, Erzähltechniken anwenden, auf die Erzähllogik achten.
Was über die Klassenstufen 5/6 hinaus fortgesetzt werden soll, ist allerdings weniger das Nacherzählen als das Erzählen. Eigentlich gehören ja von Anfang an auch Formen der Erlebniserzählung zur Schreibdidaktik, die eigenes Erleben, erinnert oder imaginiert, ins Zentrum des Beschreibens und Erzählens rücken. Auch hier ist das Identifizieren von größter Bedeutung und bleibt es in verwandten Schreibformen bis in die Kursstufe. Das Identifikatorische bleibt also auf der Produktionsseite bis zum Ende der Schulzeit erhalten, in der Analyse literarischer Texte wird es zumindest nicht mehr explizit gemacht. Dass es relevant bleibt, soll später noch gezeigt werden.
Der Unterschied der Schreibhaltungen kann den Schülerinnen und Schülern von der Klasse 7 an nicht deutlich genug gemacht werden. Zum Beispiel hat sich die Verwendung von Präsens und gegebenenfalls Konjunktiv in Inhaltsangaben und verwandten Schreibformen ja noch in Abituraufsätzen nicht hinreichend durchgesetzt. Der hohe Anspruch des neuen Bildungsplans bereits in 7/8 zeigt sich auch in den zentralen Schreibformen, wo „Informierend (z.B. Inhaltsangabe), analysierend und interpretierend (z.B. Charakterisierung literarischer Figuren, Interpretationsaufsatz, auch gestaltend“. Gefordert wird tatsächlich die Fähigkeit zur Distanznahme und ihre schriftlichen Fassung. Der Weg vom identifikatorischen zum analytischen Schreiben sei beispielhaft an einer der im Unterricht gängigsten Kurzgeschichten skizziert.
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