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Komik und Par­odie in der Bal­la­de

Auf die ko­gni­ti­ve Ent­wick­lung von Schü­le­rin­nen und Schü­lern re­agie­ren auch die­je­ni­gen Stan­dards, die sich mit Komik, Par­odie etc. be­fas­sen. Wäh­rend in 5/6 noch Komik er­kannt und un­ter­sucht wer­den soll (Stan­dard 8), ist in 7/8 be­reits von „Komik und Par­odie er­ken­nen und un­ter­su­chen (10) die Rede. Der Un­ter­schied ist be­zeich­nend. Wäh­rend Komik vor allem den Be­reich sub­jek­ti­ven Er­le­bens be­rührt, be­zieht sich die Par­odie auf eine Vor­la­ge, die zur Er­zeu­gung einer ver­zer­ren­den oder über­trei­ben­den Nach­ah­mung ver­stan­den wer­den muss und zu der Dis­tanz auf­ge­nom­men wer­den muss. Dabei wird Dis­tanz in der Re­zep­ti­on einer Par­odie erst er­zeugt, wäh­rend die Ge­stal­tung einer ei­ge­nen Par­odie Dis­tanz­nah­me be­reits vor­aus­setzt. Nun be­zieht sich der neue Bil­dungs­plan auf der Ebene der in­halts­be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­zen vor allem auf die Re­zep­ti­on li­te­ra­ri­scher Texte, Aus­sa­gen zum Schrei­ben fin­den sich haupt­säch­lich in einem ei­ge­nen Ab­schnitt der pro­zess­be­zo­ge­nen Kom­pe­ten­zen 1. Weil aber die neu er­wach­se­nen Fä­hig­kei­ten zu Ana­ly­se und Dis­tanz sich be­son­ders deut­lich in der Text­pro­duk­ti­on zei­gen, ist ein Blick auf im oder neben dem Un­ter­richt ent­stan­de­ne Ge­stal­tun­gen si­cher sinn­voll. Nun ist nicht jedes Par­al­lel­ge­dicht, das im Un­ter­richt ent­steht, gleich eine Par­odie. Über­all da, wo mit­hil­fe der Er­zeu­gung einer Par­al­lel­bil­dung Struk­tur oder Bau­prin­zip eines Ge­dichts ver­stan­den wird, kann von Dis­tanz­nah­me oder Par­odie nicht die Rede sein. Über­zeu­gen­de Ein­füh­lung ist, ent­spre­chen­de Be­ga­bung vor­aus­ge­setzt, eher zu er­war­ten. Die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Wei­sen, mit Li­te­ra­tur ge­stal­tend um­zu­ge­hen, er­wei­tern sich da­ge­gen in 7/8 ent­schei­dend.

Nach­fol­gen­des Bei­spiel stammt aus einem dies­jäh­ri­gen schul­in­ter­nen Schreib­wett­be­werb, die Au­to­rin ist Siebt­kläss­le­rin. Es steht in the­ma­ti­schem, nicht aber in un­ter­richt­li­chem Zu­sam­men­hang mit dem ge­schil­der­ten Un­ter­richts­ver­such.

 

Erl­kö­nig Par­odie

Wer sitzt so früh am Was­ser und Strand?
Es ist der Vater mit sei­nem lan­gen Ge­wand.
Da­ne­ben bud­delt das jauch­zen­de Kind,
Durch seine Haare pfeift der sal­zi­ge Wind.

Mein Sohn Kurt, was birgst du so bang dein Ge­sicht?
Siehst Vater, du, den Tsu­na­mi nicht!
Den Tsu­na­mi, mit so­viel Was­ser wie aus einer Quel­le.
Mein lie­ber Kurt, es ist eine win­zi­ge Welle.

Mein Vater, mein Vater, hast du’s nicht ge­hört?
Der Tsu­na­mi hat den Pa­last zer­stört!
Mein Sohn, ich seh’s doch, mein lie­ber Kurt,
Es ist doch nur un­se­re klei­ne Sand­burg.

Mein Vater, mein Vater, nun ver­ste­he ich dich,
Ich ent­schul­di­ge um meine Vor­sicht mich.
Mein Vater, mein Vater, da ist noch so ne klei­ne!
Nein, Kurt, lie­ber Kurt, ich sehe gar keine.

Doch, da vorn’ die, die sich über den gan­zen Ho­ri­zont er­streckt.
Mein lie­ber Kurt, wir müs­sen hier weg!
Dies ist ein Tsu­na­mi in sei­ner gan­zen Pracht,
Ach Mist, ich hab’s ver­ges­sen, er sollt ja kom­men, um Acht.

Mein Sohn Kurt, mein Sohn, nun renn schon weg,
Bevor der Tsu­na­mi sich übers Land er­streckt.
Da vorne auf die rie­si­gen Stei­ne!
Ich hoffe, da hängt noch die Klet­ter­lei­ne.

Dem Vater grau­set’s, er klet­tert ge­schwind,
In sei­nen Armen das la­chen­de Kind.
Er­reicht den Stein­gip­fel mit Mühe und Not,
zum Glück sind die bei­den auch nach dem Tsu­na­mi nicht tot!

Aus einer sieb­ten Klas­se

 

Das Bei­spiel zeigt ei­ni­ges recht deut­lich: Die Au­to­rin hat die in­halt­li­che Struk­tur der Vor­la­ge of­fen­sicht­lich er­kannt und weit­ge­hend re­pro­du­ziert 2. Be­son­ders gut ge­lun­gen ist die Re­pro­duk­ti­on der auch in der Vor­la­ge zen­tra­len Wahr­neh­mung­un­ter­schie­de. Neu ist al­ler­dings, dass sich die Per­spek­ti­ven auf der Hälf­te der Stre­cke um­keh­ren. Ist erst der Sohn in der Lage, den Tsu­na­mi zu er­ken­nen, be­weist spä­ter der Vater ret­ten­de Klar­sicht. Hier wird mit die Tra­gik der Vor­la­ge auf­ge­bro­chen, was sich auch in dem ver­söhn­li­chen Schluss aus­drückt. Der Stan­dard 10 des Bil­dungs­plans für 7/8 wurde ein­deu­tig er­füllt.

Für 9/10 spricht der neue Bil­dungs­plan sogar davon, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler Komik, Iro­nie, Sa­ti­re und Par­odie er­ken­nen und ana­ly­sie­ren (12) 3“. Der Zu­wachs, vor allem im Be­reich der Iro­nie, ist durch­aus an­spruchs­voll, folgt aber kon­se­quent der ko­gni­ti­ven Ent­wick­lung und den mit ihr wach­sen­den Fä­hig­kei­ten.

 


1   Eine Aus­nah­me bil­det in 5/6 der Stan­dard 3 des Ab­schnitts „Li­te­ra­ri­sche Texte“, in dem ge­for­dert wird, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler „einen Text nach­er­zäh­len“ kön­nen.

2   Auf Un­zu­läng­lich­kei­ten in Reim und Me­trum sei hier nicht ein­ge­gan­gen. Sie be­tref­fen jenen Be­reich der Nach­ah­mung, der in den Klas­sen 5/6 zen­tra­les Thema ist.

3   Die be­griff­li­che Un­ter­schei­dung zwi­schen Par­odie und Sa­ti­re ist nicht un­pro­ble­ma­tisch. Die Sa­ti­re sei hier als Aus­wei­tung der Par­odie auf ver­schie­dens­te Le­bens­be­rei­che ver­stan­den.

 

Komik und Par­odie in der Bal­la­de: Her­un­ter­la­den [docx][18 KB]

Komik und Par­odie in der Bal­la­de: Her­un­ter­la­den [pdf][568 KB]

 

Wei­ter zu Es­pe­ran­za