Zuhören und Lesen
Hörverstehen wird also mithilfe ähnlicher Kategorien und unter Annahme vergleichbarer zugrunde liegender Kompetenzen wie Leseverstehen beschrieben. Auch hier spielen vor allem Prozesse wie Information ermitteln, textbezogenes Interpretieren, Reflektieren und Bewerten eine Rolle. Allerdings kommen weitere Aspekte wie die Interpretation der Stimmführung hinzu, die z.B. Rückschlüsse auf die Emotionen des Sprechers zulässt. Wie beim Lesen kann hinsichtlich der Textsorte zwischen literarischen Texten und Sachtexten unterschieden werden, allerdings entfallen hier alle diskontinuierlichen Texte. Wie auch geschriebene Texte können Hörtexte danach eingeteilt werden, ob sie eher fiktional-literarisch sind (z.B. Hörspiele, Hörbücher) oder eher informierenden Charakter haben (z. B. informierende Radiobeiträge). Außerdem bezieht sich Zuhörkompetenz sowohl auf Texte, die konzeptionell schriftlich sind (z.B. Hörbücher), als auch auf solche, die konzeptionell eher mündlich sind (z. B. Interviews, Podcasts). Gerade letztere entsprechen dabei alltäglichen Hörsituationen, da in ihnen oft Alltagssprache verwendet wird, sie ein höheren Maß an Redundanz aufweisen, paraverbale Merkmale (Tempo, Prosodie, emotionale Tönung) relevant für die Interpretation des Gehörten sind und sie mit Interjektionen und Verzögerungslauten durchsetzt sind. 1
Ein zentraler Unterschied zwischen Lesen und Hören besteht hinsichtlich der schon angesprochenen Flüchtigkeit des Gesprochenen. Diese hat Auswirkungen auf die Aufgabenformate bzw. deren Durchführung. Bei Lokalisierungsaufgaben, bei denen gezielt nach Detailinformation gefragt wird, zeigt sich, dass diese mit Lesetexten leichter zu lösen sind, da der Schüler den Text gezielt nach der gesuchten Information scannen kann. Diese Möglichkeit entfällt für den Zuhörer, zumindest dann, wenn die Fragen nach einmaligem Zuhören präsentiert werden. Er kann nicht die relevante Textstelle wieder aufsuchen, sondern muss sich auf seine Erinnerung verlassen. Welche Inhalte erinnert werden, hängt allerdings von einer Reihe personaler Variablen ab (Vorwissen, Interesse etc.) Außerdem kann man zeigen, dass Inhalte beim Zuhören nach einiger Zeit nicht mehr wörtlich, sondern lediglich sinngemäß im Gedächtnis bleiben.
Diesen Unterschieden zwischen Leseverstehen und Hörverstehen muss also sowohl durch die Formate der Aufgaben als auch durch unterschiedliche Präsentationsformen (Fragen vor dem Hören präsentieren, Hörtext mehrfach oder in Abschnitten hören) Rechnung getragen werden.
Generell sind Schülerinnen und Schüler beim Hörverstehen dazu aufgefordert „Informationen aus dem Text zu entnehmen, diese zu memorieren und so zu verarbeiten, dass sie den Sinn des Textes erschließen können.“ 2 Unter Bezugnahme auf das Mehrebenenmodell bedeutet dies also, dass Aufgaben folgende Prozessebenen abdecken sollten:
- Wiedererkennen von prominenten Einzelinformationen,
- Verknüpfen von benachbarten Informationen,
- Wiedergabe weniger prominenter Information,
- Verknüpfung von verstreuten Informationen und
- Erfassung des Hörtextes als Ganzes.
Diese Abstufungen des Zuhörens werden mithilfe des entsprechenden Kompetenzstufenmodells dargestellt. Dabei geht es hier nicht darum, aufzuzeigen, in welchen Etappen Schülerinnen und Schüler Zuhörkompetenz erwerben – das wäre ein Entwicklungsmodell. Die hier formulierten Kompetenzstufen stellen keine strikte Abfolge dar, auch wenn untere Stufen hierarchiehöheren Stufen vorausgehen müssen.
Im Rahmen der Entwicklung der KMK-Bildungsstandards Deutsch für den Mittleren Schulabschluss und der Erarbeitung von Testformaten (VERA-8 und Ländervergleich) wurde für den Bereich Hörverstehen ein Kompetenzstufenmodell entwickelt, das an diese Überlegungen anknüpft. So können Mindest- Regel- und Optimalstandards für den Bereich des Zuhörens definiert werden. Dieses 5 Niveaus umfassende Kompetenzstufenmodell, das vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen Berlin erarbeitet wurde, orientiert sich stark am Modell des Leseverstehens, da in beiden Modellen der Aspekt des Textverstehens im Mittelpunkt steht. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass auf den unteren Stufen im Bereich der Lesekompetenz häufig Lokalisierungsaufgaben zu lösen sind, bei denen nach explizit genannter Information im Text gesucht werden soll. Wegen der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes ist dies für Zuhöraufgaben nicht möglich. Hier kann es also nicht um das Lokalisieren von Inhalten gehen. Vielmehr müssen Informationen erinnert werden. Außerdem wurde das Modell um spezifische Merkmale des Hörens (paraverbale Merkmale) ergänzt. Die 5 Kompetenzstufen des Modells werden im Folgenden beschrieben.
1 s. Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören –hier Zuhören – für den Mittleren Schulabschluss, KMK 24.04,2009, S. 4, sowie: Integriertes Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss und den Mittleren Schulabschluss im Fach Deutsch für den Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören, Teilbereich Zuhören, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 11.12.2014, S.8. ; https://www.iqb.hu-berlin.de/bista/ksm (Zugriff: 2.06.2016).
Zuhören im Deutschunterricht: Herunterladen [pdf][855 KB]
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