Existentialismus
Sartre schrieb den Aufsatz „Ist der Existentialismus ein Humanismus“ 1946. In diesem Text reagiert Sartre auf Vorwürfe gegen den Existentialismus, die sowohl von marxistischer Seite vorgebracht wurden – der Existentialismus verharre in „einem Quietismus von Verzweiflung“ – als auch von christlicher Seite – der Existentialismus vernachlässige „die Schönheit des Lebens, die Lichtseite der menschlichen Natur“ (a.a.O., S.117). Dieser knappe Text, später unter dem Titel „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ veröffentlicht, ist einer der Basistexte des Existentialismus.
Der zentrale Gedanke ist der, dass der Mensch ein Wesen ist, „bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht“ (S.120). Er ist zunächst nichts, sondern er wird zu dem, zu dem er sich selbst schafft, oder wie Sartre sagt „Er wird erst dann, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird.“ (S.120) Da es keinen Gott gibt, gibt es auch keine vor jeder menschlichen Existenz geschaffene menschliche Natur. Da es das nicht gibt, ist der Mensch für sich selbst, für das, was er ist bzw. sein wird, selbst verantwortlich. Es gibt keinen Determinismus, er ist frei. Er ist aber nicht nur für sich als Individuum, sondern „für alle Menschen“ (S.121) verantwortlich. Diese Verantwortung, die darin begründet liegt, dass dem Menschen bewusst ist, dass er mit seinen Entscheidungen immer auch Entscheidungen für die gesamte Menschheit trifft, macht Angst.
Alle Verantwortlichen kennen diese Angst. Das hindert sie nicht zu handeln, im Gegenteil, es ist die Bedingung ihres Handelns; denn es setzt voraus, daß sie eine Vielzahl von Möglichkeiten ins Auge fassen, und wenn sie eine wählen, wird ihnen bewußt, daß diese ihren Wert nur dadurch erhält, daß sie gewählt wurde. (S.123f.)
Diese Verantwortung führt nicht nur zu Angst, sondern auch dazu, dass der Mensch allein ist. Sartre formuliert an dieser Stelle den Satz, der quasi als Kernsatz des Existentialismus zitiert wird „der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.“ (S. 125) Indem der Mensch das und nur das ist, was er tut, wird ihm Würde verliehen, denn er ist ganz Subjekt, wird nicht zum Objekt eines höheren Willen gemacht (vgl. S.133). Allerdings beinhaltet diese Freiheit, wählen zu können, auch, dass der Mensch nicht nicht wählen kann, denn „wenn ich nicht wähle, wähle ich immer noch“ (S. 135). Da alle Menschen gleichermaßen frei sind, ist die eigene Freiheit begrenzt durch die Freiheit der anderen oder anders gesagt „ich kann meine Freiheit nur zum Ziel machen, indem ich auch die der anderen zum Ziel mache.“(S.138) Damit ist letztlich auch der Bogen gespannt zu den Überlegungen, dass dadurch, dass ich die Freiheit der anderen zu meinem Ziel mache und meine Entscheidungen im Blick auf alle treffe, eine Gemeinschaft entstehen kann, die dieselben Werte teilt, dass der Mensch dem Leben selbst einen Sinn gibt (vgl. S.140). Sartre nennt den Existentialismus deshalb einen Humanismus: „weil wir den Menschen daran erinnern, daß es keinen anderen Gesetzgeber als ihn selbst gibt, und daß er in der Verlassenheit über sich selbst entscheidet; und weil wir zeigen, daß der Mensch sich menschlich verwirklicht nicht durch Rückwendung auf sich selbst, sondern durch die ständige Suche eines Ziels außerhalb seiner (S.141). Der Existentialismus versucht so „Konsequenzen aus einer kohärenten atheistischen Position zu ziehen“ überantwortet damit alle Verantwortlichkeit dem Menschen selbst, woran sich, auch wenn Gott existierte, nichts ändern würde, da „nichts ihn vor sich selbst retten kann“ (S.142).
- Versuchen Sie, die Chancen und mögliche Probleme dieses philosophischen Ansatzes zu benennen.
- Vergleichen Sie die Gedanken Sartres mit Orests Aussagen und seinem Handeln.
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