Zur Hauptnavigation springen [Alt]+[0] Zum Seiteninhalt springen [Alt]+[1]

José F.A. Oliver: schwarzmilan

Vorbemerkung

Das 2020 im Jahrbuch der Lyrik erschienene Gedicht schwarzmilan ist ein Text, der die eigene Interaktion der Schüler fordert und sowohl im Hinblick auf Klang und Optik Gesprächsanlässe gibt, in denen eigene Lesarten und Sichtweisen vielschichtig diskutiert werden können.

 

Schritt 1 - Das Gedicht im literarischen Gespräch

  1. Vorbereitung

    Bilden Sie eine Gruppe (4-6 Schüler) und nehmen Sie folgende Arbeitsteilung vor: ein Gruppenmitglied bereitet in Einzelarbeit für die kommende Unterrichtsstunde einen Gedichtvortrag zu José F.A. Olivers Gedicht schwarzmilan vor. Die anderen Gruppenmitglieder sollen das Gedicht (M1) nicht lesen.

  2. Stundenbeginn:

    Gehen Sie in Ihre Gruppe und lassen Sie sich das Gedicht vortragen.

  3. Führen Sie in der Gruppe ein literarisches Gespräch mit Hilfe folgender Leitfragen:

    • Wie wirkt das Gedicht auf Sie?
    • Nehmen Sie reihum die einzelnen Verse/Verszusammenhänge nochmals auf: Was wird in diesem Gedicht zum Ausdruck gebracht?
    • Wie wird die Form zum Ausdruck gebracht?
    • Wie hat der Vortrag zu Beginn das Gedicht interpretiert? Welche Alternativen sind möglich?

      Begründen Sie diese.

  4. Abschluss in der Gruppe / Sicherung 1: Formulieren Sie eine erste Deutungshypothese
  5. Im Plenum: Tauschen Sie Ihre Deutungshypothesen auf und erläutern Sie kurz Ihre gedanklichen Entwicklungen.
  6. Sicherung 2: Formulieren Sie aus Ihrem Gruppenergebnis und aus dem gemeinsamen Austausch eine eigene Deutungshypothese für das Gedicht schwarzmilan.

 

Schritt 2 - Deutungen diskutieren und den eigenen Interpretationsprozess reflektieren

Arbeitsauftrag A

Lesen Sie die Nachbemerkung von Dagmara Kraus zu José F.A. Olivers Gedicht schwarzmilan aus dem Jahrbuch der Lyrik 2020 (M2).

Welche Deutungen nimmt sie vor? Diskutieren Sie diese.

Arbeitsauftrag B

Interpretieren Sie das Gedicht. Beziehen Sie die Erkenntnisse und Ergebnisse aus den vorigen Arbeitsschritten mit ein.

 

M1

Gedicht schwarzmilan

José F. A. Oliver, schwarzmilan. In: Jahrbuch der Lyrik 2020. Herausgegeben von Christoph Buchwald und Dagmara Kraus. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2020, S. 31.

 

M2

Dagmara Kraus: Wohin bleiben wir?

Das erste Gedicht, das mir im Rahmen dieser Anthologie zugesandt wurde, enthielt die Frage, die mich beim Lesen und Zusammenstellen der Beiträge begleitete und immer noch beschäftigt. „Wohin bleiben wir?“ So lässt José Oliver in schwarzmilan seinen sterbenden, nach Deutschland emigrierten Vater eindrücklich fragen.

Absurd wirkt dieser Ausdruck existenzieller Angst und Ungewissheit nur auf den ersten Blick. Aus einem Grammatikfehler Funken schlagend, um auf poetische Weise an die Grundfeste des Daseins zu rühren, öffnet die an Hölderlins Adler entzündende Frage dem Leser eine Tür in einen bislang ungekannten semantischen Raum. Durch die Kollision von Richtungsänderung („Wohin“) und Aufenthaltsverb („bleiben“) entsteht eine neue, taumelnde Sinneinheit, die Uneinholbares in Worte fasst.

Die paradoxe Frage erweist sich als Poesie der Grammatik und Grammatik als Poesie. Aber sie ist noch mehr. Als Kernfrage aller Migration ist sie Ausdruck des Exils, des irdischen wie des metaphysischen. „Wohin bleiben“ kann weder vor noch zurück. Es drückt eine Sehnsucht aus, einen Elan, der sich auf das große Unbekannte richtet und der manchmal, wie im Gedicht, über den Tod hinausführt. Die schlichten Worte werden zur unruhigen Metapher für den Menschen, wie er sich in vielen Versen der Gedichtsammlung zeigt: als Körper, der mit einem von sich wegschwärmenden Geist ausgestattet ist.

Im Kontext der Anthologie lässt sich die Frage „Wohin bleiben wir?“ auch als Leseanweisung verstehen: Bleiben und verweilen wir bei einem einzelnen Vers oder wandern die Augen zu einem anderen, einer anderen Dringlichkeit, einer anderen Sprechweise? Bleiben wir bei dem Bild, dem singulären Ausdruck, der uns bannt und im Gedächtnis bleibt, wenn wir das Buch schließen? Folgen wir einem Namen, der Bekanntes verspricht, oder lockt uns ein Unbekannter in eine neue Erfahrung...

Nachbemerkung von Dagmara Kraus aus dem Jahrbuch der Lyrik 2020. Herausgegeben von Christoph Buchwald und Dagmara Kraus. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2020, S. 225.

 

Lyrik: Sprache der Poesie - Poesie der Sprache: Herunterladen [docx][233 KB]

Lyrik: Sprache der Poesie - Poesie der Sprache: Herunterladen [pdf][421 KB]

 

Weiter zu Lyrik-Übertragung