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Einführung

Was bietet sich mehr an für einen Vergleich literarischer Werke, will man sowohl die diachrone Betrachtung als auch die synchrone Betrachtung, Stoff- und Motivgeschichte, Gattungsgeschichte und verschiedene kulturelle Räume in den Blick nehmen, als ein Stoff der Antike? Gleichgültig, welchen Mythos man wählt, es werden sich zahllose Bearbeitungen in unterschiedlichen Gattungen quer durch die Jahrhunderte und in vielen Sprachen finden lassen.1

Besonders geeignet ist der Elektra-Stoff, weil er der einzige ist, der von allen drei Tragikern der Antike aufgegriffen wurde, somit also synchrones Betrachten bereits in der Antike verbunden mit dem Kennenlernen sehr konkreter Formen von Intertextualität ermöglicht, Stoff- und Motivgeschichte erfassbar macht und in nuce eine Gattungsgeschichte der Tragödie bietet.

Der Muttermord als zentrales Handlungselement, die unterschiedlichen Bemühungen, ihn zu legitimieren, die Funktion der Tat und ihre Folgen im jeweiligen Konstrukt, die Aspekte Rache und Schuld, die zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit antiken, christlichen und atheistischen Konzepten der Begriffe nötig machen, die verschiedenen Interpretationen der zentralen Frauenfigur, ihre dramaturgische Funktion, ihr Charakter und natürlich ganz zentral die jeweilige Wirkung, Funktion und damit Wirkabsicht der Texte bieten eine so große Vielfalt an Möglichkeiten der Auseinandersetzung, dass die größte Schwierigkeit darin besteht, aus der Fülle eine sinnvolle Auswahl zu treffen.

Es muss also einerseits darum gehen, die Texte zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen und zu benennen und, davon ausgehend, deren Wirkung zu beschreiben, die jeweiligen Texte in ihren Kontexten zu verorten, ihre Funktion zu analysieren und zu interpretieren. Sind dies in erster Linie analytische literaturwissenschaftliche Fragestellungen, so entsprechen sie ganz dem Bildungsplan Literatur, der genau darauf abhebt.

Der Stoff eignet sich aber nicht nur wegen seiner Exemplarität und der unbestreitbaren Zugehörigkeit der Texte zu einem anerkannten Kanon, sondern wegen seines zentralen Themas: Wie geht der Mensch damit um, dass Taten begangen werden, die von seiner Position aus nicht gerechtfertigt scheinen: Duldet er das Verhalten? Rächt er sich und erzeugt damit neue Schuld? Was bedeutet es, dass Ordnung nur durch neue Schuld wiederhergestellt werden kann? Bleibt es dann beim Kreislauf ‚Grausamkeit gebiert Grausamkeit‘? Gäbe es alternative Handlungsmöglichkeiten? Die bei Aischylos schon als Zielpunkt der Trilogie gesetzte Gerichtsinstanz setzt dem Fluch ein Ende. Warum wird dieser Gedanke in den späteren Bearbeitungen so selten aufgegriffen? Hier werden Schülerinnen und Schüler mit ganz elementaren Fragestellungen menschlichen Verhaltens und der Rolle des Menschen in der Welt konfrontiert.

Aus den mehreren zig dramatischen Bearbeitungen des Stoffes sollen hier natürlich nur einige thematisiert werden: Aischylos: Choephoren (458), Sophokles: Elektra (vor 413), Euripides: Elektra (413), Hugo von Hofmannsthal: Elektra (1903) und Jean Paul Sartre: Die Fliegen (1943). Am Rand gestreift bzw. ganz exemplarisch zum Vergleich herangezogen werden Eugene O’Neill: Trauer muss Elektra tragen (1931), Jean Giraudoux: Elektra (1937) sowie William Shakespeare: Hamlet (um 1601).

Anders als bei einem Vergleich eines einzelnen Motivs oder einer Situation bedarf der Vergleich zweier Bearbeitungen eines Stoffes die Betrachtung größerer Textpassagen, da nur dadurch die je unterschiedliche Figurenzeichnung, die Handlungsmotivation oder die Argumentationsweise einer Figur und damit die jeweilige inhaltliche Ausrichtung erkennbar wird. Nur über den Vergleich z.B. ganzer parallel konzipierter Szenen, die einander gegenübergestellt werden, wird man den Texten einigermaßen gerecht und kann entsprechende Erkenntnisse erlangen. Deshalb müssten hier sehr umfangreiche Textteile wiedergegeben werden, was zum Teil aus urheberrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Die meisten Texte lassen sich aber leicht durch die angegebenen Links im Netz finden. Wo immer längere zusammenhängende Textpassagen erforderlich sind, werden Beginn und Schluss zitiert und die für eine sinnvolle Arbeit mit dem Text notwendige Auslassung mit fett gedruckten eckigen Klammern markiert. Der Text, der durch unfett gedruckte Auslassungsklammern als entfallen gekennzeichnet ist, wird für die jeweilige Fragestellung im gegebenen Zusammenhang als entbehrlich betrachtet und kann für die Schülerinnen und Schüler gestrichen bleiben.

Die inhaltlichen Schwerpunkte sind so gewählt, dass wesentliche Aspekte der Dramen angesprochen und die Gemeinsamkeiten, aber vor allem auch die Unterschiede möglichst klar herausgearbeitet werden können. So bieten sich für die antiken Fassungen der Prolog, die Figur der Elektra, Anagnorisis, Agon und der Schluss an, bei Hofmannsthal stehen dann die Elemente im Mittelpunkt, an denen das Spezifische dieser Bearbeitung sichtbar wird, der Chor, das Verhältnis Elektras zu Chrysothemis und das zu Klytämnestra und auch hier der Schluss, bei Sartre ist natürlich Elektra ebenfalls zentral, aber es geraten, um die Besonderheit des Textes erkennbar zu machen, andere Figuren in den Blick: die des Orest und die von Jupiter und Ägisth. O’Neill schließlich und Giraudoux werden als Vergleichstexte für Hofmannsthal einerseits (O’Neill) und Sartre andererseits (Giraudoux) unter den Aspekten betrachtet, die für die jeweiligen Bezugstexte bereits angesprochen worden sind (Psychologie bei O’Neill; Politik und Ethik bei Giraudoux). Auf diese Weise werden nach und nach verschiedene inhaltliche und thematische Bereiche akzentuiert, die sich gegenseitig ergänzen, was aber nicht heißt, dass alles behandelt werden muss, sondern dass, wenn mehrere Texte behandelt werden, immer wieder neue Blickwinkel das Interesse am Thema erhalten sollen und zunehmend komplexere Fragestellungen möglich werden.

Um die Arbeit zu erleichtern, ist den jeweiligen Kapiteln eine meist relativ ausführliche kommentierende Inhaltsangabe vorangestellt, die einer ersten Orientierung dienen soll.

 

1 Leicht zugänglich und für eine erst Annäherung an den jeweiligen Soff- und Sagenkreis sehr geeignet ist die Reihe „Mythos …“ des Reclam-Verlages.

 

Vorschläge für Unterrichtseinheiten

Exemplarischer Unterrichtsverlauf

 

Drama: Elektra: Herunterladen [docx][8 MB]

 

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