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Jean Paul Sartre: Die Fliegen (1943)

Sartres Die Fliegen stellen einen völligen Kontrast zu den bisher betrachteten Elektra-Fassungen dar. Der Handlungsrahmen ist zwar wiederum sehr ähnlich, aber die Deutung, die die Handlungen erfahren, ist gänzlich anders, ja konträr.

In Argos herrscht ein durch Ägist auf Geheiß Jupiters inszenierter Reuekult. Jedes Jahr am Jahrestag der Ermordung Agamemnons wird ein mächtiger Stein, der sonst den Ausgang der Höhle der Toten versperrt, zur Seite geschoben, so dass sich an diesem Tag alle Toten wieder unter die Lebenden begeben können. Das Volk wird von Unmengen von Fliegen, Symbolen des schlechten Gewissens, geplagt. Orest kommt an diesem Tag mit dem ihn begleitenden Pädagogen. Er weiß, dass er nicht zu den Argaiern gehört, dass er nichts mit ihnen gemein hat, auch nie einer der ihren werden wird, und ist schon entschlossen zu gehen, als Elektra auftritt. Sie scheint selbstbewusst, wendet sich gegen Jupiter und hält sich nicht an die von Ägist vorgegebenen Regeln der Trauer und Reue, da sie sicher ist, keine Schuld auf sich geladen zu haben. Sie versucht die anwesenden Argaier von der Richtigkeit ihrer Position zu überzeugen, tanzt und wirkt glücklich, so dass in den Anwesenden der Verdacht keimt, sie würden von Ägist belogen. In diesem Moment greift Jupiter ein, lässt den Stein vom Eingang der Höhle rollen, die Fliegen kommen, der Priester deutet dies als Zeichen der Strafe dafür, dass alle Elektra gelauscht haben, und sofort wenden sich die Argaier gegen Elektra. Ihr Versuch, das Volk aufzuklären, scheitert.

Orest gibt sich sehr umstandslos zu erkennen und Elektra glaubt ihm sofort. Elektra will den Bruder, der sich so gar nicht als der kämpferische, entschlossene Bruder erweist, den sie erwartet hat, sondern der, statt sich zu rächen, mit ihr weggehen möchte, wegschicken. Orest hofft auf ein göttliches Zeichen, das Jupiter bereitwillig gibt. Orest ist von diesem Zeichen wenig beeindruckt, kommt aber selbst zu dem Schluss, dass er handeln muss, und ist nun bereit, Elektra zu unterstützen, als „Reuedieb“ die Reuegefühle der Argaier auf sich zu nehmen, um sie damit von den Fliegen zu befreien.

Im Palast hinter dem Thron versteckt, belauschen Elektra und Orest ein Gespräch zwischen Jupiter und Ägist, in dessen Verlauf ihnen die ganze Ideologie und die Mechanismen, mit denen das Volk unterdrückt wird, offenbart werden. Orest ermordet Ägist, Elektra äußert Zweifel, ob der Mord an Klytämnestra noch notwendig ist. Orest lässt sich jedoch nicht aufhalten. Er geht, Elektra bleibt zurück und rechtfertigt vor sich in einem Monolog die Taten.

Die Geschwister ziehen sich in den Apollontempel zurück, wo sie von Erinnyen umlauert werden. Als Elektra erwacht, ist sie sich ihrer Schuld bewusst. Es entspinnt sich ein Kampf um Elektra zwischen Orest, der mit ihr fliehen will und die Tat immer wieder rechtfertigt, und Jupiter, der den Geschwistern den Thron verspricht und seinen Schutz, wenn sie bleiben und Reue zeigen. Elektra unterwirft sich Jupiter, während Orest in einer Rede an das Volk jeden Herrschaftsanspruch zurückweist, das Volk aufruft, zu den eigenen Taten zu stehen, die eigene Freiheit zu erkennen und selbstbewusst die eigene Zukunft zu gestalten. Er verlässt Argos, die Fliegen mit sich nehmend, die ihm nichts anhaben können.

Der Mord an Agamemnon wird hier weder durch Klytämnestras Bedürfnis nach Rache für Agamemnons Mord an Iphigenie noch für seine Untreue mit Kassandra noch als Notwendigkeit, um die Beziehung Klytämnestras und Ägists und damit dessen Macht nicht zu gefährden, legitimiert, sondern dient dem Machterhalt Jupiters. Das reumütige Volk und die reumütigen Herrscher werden durch ihre Schuldgefühle in Abhängigkeit gehalten und begehren nicht auf. Entsprechend entspringt Orests Entschluss zur Tat weder einem Rachegedanken noch dem Wunsch, seinen legitimen Herrschaftsanspruch durchzusetzen, sondern allein dem Wunsch, den Menschen die Augen zu öffnen, sie von der ihnen oktroyierten Reuereligion zu befreien und damit ihnen ihre Freiheit zurückzugeben.

Elektra und Orest vertreten in mehrerlei Hinsicht konträre Positionen: Elektra versucht die Argaier aufzuklären, sie vertraut auf das Wort, Orest schreitet zur Tat, macht sich schuldig durch die Morde an Ägist und Klytämnestra; Elektra schreckt vor dem Postulat absoluter Freiheit und Eigenverantwortlichkeit, das Orest aufstellt, zurück und begibt sich erneut in die Abhängigkeit von Jupiter, Orest hingegen wird zum exemplarischen freien Menschen, er handelt aus selbstgewonnener Überzeugung, steht zu seiner Tat und nimmt die Folgen seines Handelns in Kauf. Elektra und Orest sind keine individuell gezeichneten Individuen, wie es für Elektra bei Hofmannsthal der Fall ist, sondern Exponenten von Haltungen, die sie repräsentieren.

Sicher wird man Sartres Die Fliegen ganz lesen lassen. Die im Folgenden vorgeschlagenen Schwerpunkte 5.1. – 5.4. lassen sich dann auch arbeitsteilig, z.B. in Form eines Gruppenpuzzles erarbeiten. Das in 5.6. angesprochene Thema Existentialismus kann nach dem Austausch der Ergebnisse der Expertengruppen als weiterführende Aufgabe in den Stammgruppen bearbeitet und die unter 5.5. abgedruckten Äußerungen Sartres im Plenum diskutiert werden. Denkbar wäre auch, 5.5. und 5.6. in die Stammgruppen zu geben.

 

Elektra

Jupiter – Ägist

Orest

Freiheit

Sartre über „Die Fliegen“

Existentialismus

Deutungsansätze – Diskussionspunkte

Eine Inszenierung analysieren

 

Drama: Elektra: Herunterladen [docx][8 MB]

 

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