Eugene O‘Neill: Mourning becomes Electra (1931)
Eugene O‘Neill bezieht sich mit dieser Trilogie auf die Orestie des Aischylos. Die Dramen spielen, außer in einem Akt, am Rand einer kleinen Hafenstadt in New England im Frühjahr oder Sommer 1865-1866, also am Ende der Sezessionskriege. O’Neill verlegt die Handlung in die amerikanische Vergangenheit, rückt sie damit näher an die Welt der zeitgenössischen amerikanischen Rezipienten und deren Werte und Normen, als es der antike Kontext oder ein zeitenthobener, abstrakter ermöglichen würde, und schafft gleichzeitig Distanz zur Handlung durch die Verlagerung in einen mehr als sechzig Jahre zurückliegenden Zeitraum, der aber einen Kriegskontext bietet, wie er für die Orestie zentral ist. Den Zuschauern wird durch dieses Spiel mit Annäherung und Distanzierung die Möglichkeit geboten, das Dargestellte mehr oder weniger als Spiegel der eigenen Gesellschaft wahrzunehmen.
Die wichtigsten Personen sind Brigadier-General Ezra Mannon (Agamemnon), Christine, seine Frau (Klytämnestra), Lavinia, ihre Tochter (Elektra), Captain Adam Brant (Ägisth), der Sohn von Ezras Bruder, Geliebter von Christine und auch von Lavinia geliebt, Captain Peter Niles und seine Schwester Hazel Niles, Jugendfreunde von Lavinia, Peter möchte Lavinia heirate, Hazel später Lavinias Bruder Ori (Orest), Seth Beckwith, ein Hausangestellter.
Eine knappe Inhaltsangabe findet sich bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Trauer_muss_Elektra_tragen
In dieser Familienhölle, in der sich die Handlungsmotive in erster Linie aus unterdrückter Sexualität, Missbrauch, dem Ödipus- und dem Elektrakomplex quasi als modernem Schicksal herleiten, misshandelt und missbraucht fast jeder jeden, Ezra Christine, Christine Lavinia, Adam Brant (vielleicht) Christine und Lavinia, Lavinia Orin, Orin Lavinia …. Jeder sehnt sich nach Liebe, jeder belauert jeden, jeder misstraut den Worten des anderen, jeder hat seine Geheimnisse, seine Eifersucht. Hazel und Peter können als Außenstehend die Verflechtungen kaum ahnen.
Zwei Aspekte sollen hier angesprochen werden, zum einen die Rolle, die die Öffentlichkeit (in Gestalt der Gesellschaft einerseits, in Gestalt von Polizei und Justiz andererseits) spielen könnte, zum anderen die Gestaltung des Schlusses.
Natürlich eignen sich zahlreiche weitere Aspekte und Textstellen für einen Vergleich, so z.B. das Streitgespräch Christine – Lavinia (Homecoming, 2. Akt), in dem Lavinia, die bereits um den Ehebruch der Mutter weiß und für die Rechte ihres Vaters kämpft, erfährt, dass ihre Mutter ihren Vater hasst, dass sie selbst der als Vergewaltigung empfundenen Hochzeitsnacht entstammt, weshalb Christine sie nie lieben konnte, oder die Figur des Orin, der seinen Ödipuskomplex explizit formuliert, wenn er z.B. nach dem Mord an Brant explizit sagt: “If I had been he I would have done what he did! I would have loved her as he loved her – and killed Father too – for her sake!“ (The Hunted, 4.Akt) und zahlreiche weitere interessante Facetten zeigt (seine Hinweise auf die Wirkung des Militärdienstes, seine Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und sein Bedürfnis nach Gerechtigkeit), oder die Funktion der Bürger, die hier den Chor ersetzen.
Orins Ankunft
Christine hat Ezra mit Gift, das Brant besorgt hat, umgebracht. Die letzten Worte des Vaters „She‘s guilty – not medicine!“ (Homecoming, 4. Akt) wecken in Lavinia den Verdacht, die Mutter habe den Vater getötet, der so schnell zur Gewissheit wird, dass sie Christine unmittelbar darauf droht: „I‘ll make you pay for your crime! I‘ll find a way to punish you!“
Orin ist zurückgekommen und hat vom Tod des Vaters erfahren. Lavinia hat ihn schon in einem Brief über die Beziehung der Mutter zu Brant in Kenntnis gesetzt, was in Orin Eifersucht ausgelöst hat.
Orin (resentfully): I'm sorry! […] Christine hurries out.)
[...]
Christine (immediately recovers her […] door behind her.)
(The Hunted, Act 1) http://gutenberg.net.au/ebooks04/0400141h.html#p03
- Benennen Sie Christines Befürchtungen.
- Überlegen Sie, welche Folgen einträten, wenn Christine mit ihren Befürchtungen Recht hätte. Spielen Sie verschiedene Handlungsvarianten durch.
Der Schluss des Dramas
Lavinia (in a low voice) […] guilty conscience, too!
(The Haunted, Act 2)
Orin: I love you […] weren't a coward!
(The Haunted, Act 3)
Orin erschießt sich. Am Schluss bleibt Lavinia allein zurück. Die geplante Eheschließung mit Peter wird nicht stattfinden, weil Peter gebunden an seine Mutter, bestimmt von den puritanischen Normen und abhängig von der Akzeptanz durch die Gesellschaft ist. Als Lavinia, die zuerst möglichst schnell heiraten und weggehen möchte, um alle Erinnerungen hinter sich zu lassen, erkennt, dass dies nicht möglich ist, kämpft sie nicht mehr weiter.
Lavinia (in a dead voice): […]
(Curtain)
(The Haunted, Act 4)
http://gutenberg.net.au/ebooks04/0400141h.html#p03
- Beschreiben Sie, welche neuen Aspekte mit diesem Schluss dem Elektra-Stoff hinzugefügt werden.
- In den anderen Elektra-Bearbeitungen sind die Regieanweisungen viel weniger ausführlich als hier. Beschreiben Sie die Wirkung die diese zusätzlichen Informationen auf den Leser oder die Leserin haben und leiten Sie daraus eine Begründung für die Wahl dieses Mittels ab.
- Vergleichen Sie den Schluss dieses Dramas mit dem Schluss von Hofmannsthals Elektra und mit dem Schluss von Aischylos‘ drittem Teil der Orestie Die Eumeniden.
Drama: Elektra: Herunterladen [docx][8 MB]
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