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Bei­spiel

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Ein Bei­spiel aus dem The­men­kreis Par­al­le­lo­gramm soll die Ab­stu­fun­gen der „Be­grün­dungs­kom­pe­tenz“ il­lus­trie­ren.

Schaubild Pro­blem­stel­lung:

Aus zwei über­ein­an­der ge­leg­ten Blät­tern Pa­pier wer­den zu­sam­men zwei Recht­ecke aus­ge­schnit­ten. Die Recht­ecke wer­den an je­weils län­ge­ren Sei­ten an­ein­an­der­ge­legt und ein Stück ver­scho­ben. 

Han­delt es sich bei dem Vier­eck ABCD um ein be­son­de­res Vier­eck? Be­grün­de!

In jeder Stufe der Ent­wick­lung soll­ten Bei­spie­le ge­zeich­net und dar­aus die Ver­mu­tung ge­won­nen wer­den: Beim Vier­eck ABCD muss es sich um ein Par­al­le­lo­gramm han­deln.

Diese Ver­mu­tung kann nun auf ganz ver­schie­de­nen ko­gni­ti­ven Stu­fen be­grün­det wer­den.


Stufe 1: Die Schü­ler ver­bin­den mit dem Be­griff „Par­al­le­lo­gramm“ das Phä­no­men der Ge­samt­fi­gur, des ge­zeich­ne­ten Ob­jekts. Die­ser Er­kennt­nis­stand ist pro­pä­deu­tisch, eine lo­gi­sche Struk­tu­rie­rung fehlt völ­lig. Man „sieht“ es ein­fach.


Stufe 2:   Die Schü­ler be­zie­hen sich bei der Be­ur­tei­lung, ob ein Par­al­le­lo­gramm vor­liegt, nicht mehr nur auf die Figur. Sie wis­sen, dass das ein Par­al­le­lo­gramm be­stimm­te Ei­gen­schaf­ten haben muss, die sie aber zu­nächst als Auf­lis­tung for­mu­lie­ren: „Bei einem Par­al­le­lo­gramm sind ge­gen­über­lie­gen­de Sei­ten gleich lang und par­al­lel und ge­gen­über­lie­gen­de Win­kel sind gleich weit und die Dia­go­na­len hal­bie­ren sich und ...“. Diese Ei­gen­schaf­ten wer­den durch Nach­mes­sen oder an­schau­li­che Be­grün­dun­gen „nach­ge­wie­sen“. Eine Tren­nung in eine de­fi­nie­ren­de Ei­gen­schaft und sich dar­aus er­ge­ben­de Ei­gen­schaf­ten hat noch nicht statt­ge­fun­den. Das ist etwa der Stand in Klas­se 5.


Stufe 3: Die Schü­ler wis­sen (ohne for­ma­le Be­grün­dung), dass man von einem Vier­eck nicht alle der oben an­ge­führ­ten Ei­gen­schaf­ten wis­sen muss, um auf ein Par­al­le­lo­gramm zu schlie­ßen.

Es ge­nügt z.B.

(i) Das Vier­eck hat zwei Paare par­al­le­ler Ge­gen­sei­ten  oder

(ii) Das Vier­eck hat ein Paar par­al­le­ler und gleich lan­ger Ge­gen­sei­ten  oder

(iii) Das Vier­eck hat zwei Paare gleich lan­ger Ge­gen­sei­ten  oder  ...

Die an­de­ren Ei­gen­schaf­ten fol­gen dann „au­to­ma­tisch“.

Viel­leicht kann man auch schon Sach­ver­hal­te in der „Wenn. ..., dann ...„ -Form for­mu­lie­ren:  „Wenn in einem Vier­eck ge­gen­über­lie­gen­de Sei­ten gleich lang sind, dann sind ge­gen­über­lie­gen­de Sei­ten par­al­lel“ usw..

Jetzt sind erste Be­wei­se auf der Basis von Ab­bil­dun­gen bzw. Sym­me­trie mög­lich (etwa gegen Ende der Klas­se 6):

Schaubild zu 3a 3a) Ein Sch. könn­te sagen: Das obere Recht­eck geht aus dem un­te­ren Recht­eck mit­tels einer Punkt­spie­ge­lung an P (Mitte von AC) her­vor. (Diese Aus­sa­ge spielt jetzt die Rolle eines Axi­oms.) B wird auf D ge­spie­gelt, A auf C. Die Stre­cken AB und DC sind des­halb gleich lang und par­al­lel, das er­gibt sich aus den Ei­gen­schaf­ten der Punkt­spie­ge­lung. 

3b) Ein Sch. könn­te auch an­schau­lich mit einer Ver­schie­bung ar­gu­men­tie­ren (nicht im Kern­cur­ri­cu­lum).
Schaubild zu 3b Das obere Recht­eck ist aus dem un­te­ren Recht­eck durch Ver­schie­bung mit dem ein­ge­zeich­ne­ten Pfeil ent­stan­den. (Diese Aus­sa­ge spielt jetzt die Rolle eines Axi­oms.)

Beim Ver­schie­ben blei­ben Stre­cken­län­gen und Win­kel­wei­ten gleich, also sind AB und DC par­al­lel und gleich lang.

Man sieht in bei­den Fäl­len:  Hier gibt es zum ers­ten Mal ein „Weil ..., also ...“, ein ers­ter Schritt zum de­duk­ti­ven Den­ken.


Stufe 4:   In Stufe 3 wur­den die Ab­bil­dun­gen als Be­weis­mit­tel ein­ge­setzt. Dabei kön­nen die Be­grün­dungs­ket­ten nicht immer zu­frie­den­stel­lend auf­ge­baut wer­den. Dies wird in Klas­se 7 bes­ser, wenn die ers­ten Be­weis­mit­tel in Satz­form zur Ver­fü­gung ste­hen.

Schaubild zu 4 Zeige mit Hilfe der Sätze vom Stu­fen- und Wech­sel­win­kel, dass das Vier­eck ABCD ein Par­al­le­lo­gram­nm ist.

Wir zei­gen:
AB par­al­lel zu DC und AB = DC.
(i) AB = DC, da es sich um de­ckungs­glei­che Recht­ecke han­delt.
(ii) α 2 = α 1 (WW an par­al­le­len Recht­ecks­sei­ten)
  α 3 = α 1 (Ent­spre­chen­der Win­kel in de­ckungs­glei­chen Recht­ecken)
Also α 2 = α 3 .
Also AB par­al­lel DC (WW an AC).

(Hier liegt der Schü­ler­feh­ler nahe, Vor­aus­set­zung und Be­haup­tung zu ver­tau­schen:
α 2 = α 3  (WW), also AB par­al­lel DC  )


Stufe 5: Der Gip­fel des An­spruchs wäre er­reicht, wenn Schü­ler stel­len­wei­se in der Lage sind, eine sol­che Ver­mu­tung ziel­ge­rich­tet de­duk­tiv zu be­grün­den bzw. ein Pro­blem ziel­ge­rich­tet zu lösen. Ziel­ge­rich­tet be­deu­tet:  Die Be­weis­mit­tel „fal­len nicht vom Him­mel“, son­dern sind Er­geb­nis struk­tu­rier­ten Nach­den­kens.

Der Schü­ler würde dann etwa sagen (Ende Klas­se 8): „Ich will Par­al­le­li­tät nach­wei­sen. Dazu habe ich fol­gen­de Sätze zur Ver­fü­gung: Satz vom Stu­fen­win­kel; Satz vom Wech­sel­win­kel, Satz vom Par­al­le­lo­gramm, die Kon­gru­enz­sät­ze  (spä­ter auch Strah­len­sät­ze). Mit die­sen Sät­zen muss ich jetzt ar­gu­men­tie­ren. Ich warte nicht dar­auf, dass eine Be­weis­idee vom Him­mel­fällt, son­dern ich ver­su­che, ge­zielt diese Sätze an­zu­wen­den.“ Z.B.

a) “Ich suche nach kon­gru­en­ten Drei­ecken.“

Schaubild zu 5a Die bei­den klei­nen Drei­ecke sind nach dem Kon­gru­enz­satz sws kon­gru­ent. Also stim­men sie in allen ent­spre­chen­den Tei­len über­ein.

Es ist AD = BC. Auch ent­spre­chen­de Win­kel sind gleich usw.

Das wäre jetzt „Vor­wärts­ar­bei­ten“. Beim „Rück­wärts ar­bei­ten“ ginge das so:

Ich will AD par­al­lel BC nach­wei­sen. Dazu be­nö­ti­ge ich zwei glei­che Win­kel an der Ge­ra­de AC (Wech­sel­win­kel­satz). Die­sen Nach­weis kann ich mit Hilfe kon­gru­en­ter Drei­ecke füh­ren usw.

b) „Ich ver­wen­de den Py­tha­go­ras, weil es viele recht­wink­li­ge Drei­ecke hat.“

Schaubild zu 5b Mit dem Satz des Py­tha­go­ras er­hält man leicht AB = DC und AD = BC.

Wie komme ich jetzt von gleich­lan­gen Ge­gen­sei­ten auf par­al­le­le Ge­gen­sei­ten? Gibt es dafür Sätze?

Man sieht, dass auf die­ser Stufe das Be­wei­sen offen un­ter­rich­tet wer­den kann im Sinne von „es gibt ver­schie­de­nen fach­li­che Zu­gän­ge zum Be­weis“. Das gilt für die über­wie­gen­den An­zahl geo­me­tri­scher Pro­blem­stel­lun­gen. Vor­aus­set­zung für einen sol­chen Un­ter­richt ist na­tür­lich die Kennt­nis des Leh­rers im Hin­blick auf diese Fach­me­tho­den (Be­weis­mit­tel) und der Wille, die Wege zu einem Satz (einer Pro­blem­lö­sung) zu the­ma­ti­sie­ren, zu ver­glei­chen und zu be­wer­ten.        

Dabei soll klar ge­sagt wer­den: Diese Struk­tu­rie­rungs­vor­schlä­ge wol­len eine Dis­kus­si­ons­grund­la­ge bie­ten. Sie müs­sen, wie alle di­dak­ti­schen Über­le­gun­gen, an der schu­li­schen Wirk­lich­keit ge­mes­sen wer­den. Aber gül­tig bleibt: Wir Leh­rer müs­sen eine Struk­tu­rie­rung be­wusst aus­wäh­len, sie den Schü­lern sicht­bar ma­chen und den In­hal­ten damit in einem Ge­samt­ge­fü­ge einen Sinn und Be­deu­tung zu­mes­sen. Sonst kön­nen wir un­se­ren Schü­lern nicht  ver­mit­teln, was uns an die­ser Wis­sen­schaft be­geis­tert. 

 

Lo­gisch-de­duk­tiv struk­tu­rie­ren – Eine ko­gni­ti­ve Her­aus­for­de­rung:
Her­un­ter­la­den [pdf] [358 KB]