Geometrie als Wissenschaft
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Diese Erkenntnisse führten am Ende des 19.Jahrhunderts zu einem qualitativen Sprung, verursacht auch durch die Entwicklung in der Physik. Denn wenn der Begriff „Gerade“ sinnlich-anschaulich fundiert ist, bezieht sich die Geometrie auf den Anschauungsraum, also den uns umgebenden physikalischen Raum. Dort kann man „Gerade“ z.B. über Lichtstrahlen definieren, etwa so: Eine Gerade ist, was nicht von einem Lichtstrahl abweicht. Die Axiome einer solchen Geometrie sind dann empirisch-physikalische Aussagen d.h. aus der Erfahrung gewonnene Aussagen. Wie jede physikalische Aussage gelten sie nur vorbehaltlich einer späteren Revision. Und seit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie 1915 ist ja auch der Glaube an die „geradlinige“ Ausbreitung des Lichtes erschüttert (Licht wird von Masse abgelenkt; der physikalische Lichtstrahl entspricht also nicht unserem Idealbild von Geradlinigkeit).
Im Ergebnis löste sich die Geometrie von der Anschauung und wurde zu einer Struktur-wissenschaft. Es sollte nicht mehr ihre Aufgabe sein, das Wesen der behandelten Dinge zu ergründen oder ihre faktische Richtigkeit zu bestätigen. Pasch (Vorlesungen über neuere Geometrie, 1882) war der erste, der dies versuchte: "Es muss in der Tat, wenn anders die Geometrie wirklich deduktiv sein soll, der Prozess des Folgerns überall unabhängig sein vom Sinn der geometrischen Begriffe, wie er unabhängig sein muss von den Figuren ...". Man soll also mit den Objekten Punkt, Gerade usw. keinen anschaulichen Sinn mehr verbinden, sondern sie lediglich als logische Bausteine eines Systems betrachten. Die Objekte werden lediglich implizit durch die über sie formulierten Axiome charakterisiert. Bei Hilbert (1862 – 1943) gibt es keine Definitionen mehr darüber, was ein Punkt oder eine Gerade ist. Mathematische Objekte werden schon dann als existent betrachtet, wenn sie in einem System widerspruchsfrei zusammengebaut sind. Hilbert hat 1899 in Grundlagen der Geometrie sozusagen die Nabelschnur zwischen Anschauung und Geometrie durchschnitten. Er soll seinen Standpunkt pointiert so geäußert haben: "Man muss jederzeit an Stelle von Punkt, Gerade, Ebene auch Tisch, Bank, Bierseidel sagen können". Natürlich soll die Geometrie letztendlich auch zur Beschreibung der Realität geeignet sein, weshalb es vernünftig ist, sich durch die Wahl entsprechender Axiome an diese anzupassen. Die Mathematik kann aber letztendlich nicht entscheiden, ob diese Axiome tatsächlich die physikalische Wirklichkeit beschreiben.
Logisch-deduktiv strukturieren – Eine kognitive Herausforderung:
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